Druckartikel: Ein Lehrer aus Paraguay ist zu Gast in Franken

Ein Lehrer aus Paraguay ist zu Gast in Franken


Autor: Ralf Dieter

Kitzingen, Mittwoch, 27. November 2013

Ronald Thiessen ist Lehrer in Paraguay. In Deutschland fallen ihm Unterschiede auf.
Ungewohnt: In Paraquay fahren keine Züge. Für Ronald Thiessen gehörten die Fahrten ab dem Kitzinger Bahnhof deshalb zu den besonderen Erlebnissen.


30 Jahre alt und noch nie Zug gefahren? Unvorstellbar. Für uns. Doch in dem Land, in dem Ronald Thiessen lebt, fahren schon lange keine Züge mehr. Von der Außenwelt abgeschnitten ist Paraguay deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil: Ein Besuch in Deutschland gehört etwa zum Pflichtprogramm für angehende Lehrer. Zumindest in den Privatschulen des Landes.

Drei Wochen verbringt der Lehrer am Armin-Knab-Gymnasium, lernt Unterrichtsmethoden, Lehrer und Schüler kennen und bereist nebenbei die nähere Umgebung. "Solche internationalen Kontakte sind wichtig für die Schule", sagt Direktorin Margit Hofmann. Entsprechend oft waren Gastlehrer schon am AKG. Aus Rumänien, aus der Ukraine, aus Slowenien oder aus Usbekistan. "In diesem Jahr wollte ich mal jemanden aus Südamerika", sagt Hofmann. Spanisch wird am Kitzinger Gymnasium seit Jahren unterrichtet.

Und ist sehr beliebt.

Wer Ronald Thiessen sieht, der würde nicht auf den Gedanken kommen, einen Südamerikaner vor sich zu haben. Europäisch wirkt er mit seiner blassen Haut und den klaren Augen. Kein Wunder: Seine Vorfahren kommen aus Europa.

Ronald Thiessen ist Mennonite. Rund 30.000 Mitglieder dieser evangelischen Freikirche leben in Paraguay. Von Russland aus ist eine große Gruppe im 19. Jahrhundert nach Kanada ausgewandert. Andere sind 1930 über Deutschland nach Paraguay gekommen. Darunter Thiessens Großeltern. Dort, zwischen Bolivien, Brasilien und Argentinien, haben sich auch viele der Kanadier wieder angesiedelt. Vor allem im Norden des Landes, im so genannten Chaco, haben sie Kolonien gegründet.

Ronald Thiessen lebt in der Kolonie Fernheim. Sein Deutsch ist akzentfrei, perfekt. Um die Sprache zu lernen, ist er ganz sicher nicht nach Deutschland gekommen. "Ich wollte schon immer das Land meiner Muttersprache kennenlernen", sagt er.

Mit 21 Jahren hatte Ronald Thiessen ausgelernt, seit neun Jahren ist er Lehrer. Die Mennoniten haben private Schulen gegründet. Religion und Deutsch-Unterricht sind ein wichtiger Bestandteil. "Wir beginnen jeden Tag mit einer fünfminütigen Morgenandacht", berichtet er. Nicht der einzige Unterschied zum Unterricht in deutschen Schulen.

Ronald Thiessen ist vorsichtig, wenn er über seine Eindrücke vom deutschen Schulsystem spricht. "Sehr viel Frontalunterricht am Gymnasium", sagt er. "Das hat mich doch überrascht." In manchen Klassen ist ihm aufgefallen, dass es dort "überraschend lebendig zugeht", wie er es ausdrückt. Thiessen ist sich noch nicht ganz schlüssig, ob das am jeweiligen Lehrer oder doch am Klassenverbund liegt.

In den privaten Schulen der Mennoniten sind die Schüler bis zur sechsten Klasse zusammen, ein Lehrer unterrichtet mehrere Fächer. "Das ist ähnlich wie hier an der Grundschule", sagt Thiessen. Von der 7 bis zur 12. Klasse geht es an die so genannte Zentralschule. Eine Aufteilung in Gymnasien, Real- und Mittelschulen gibt es nicht.
Mitte Dezember geht es wieder zurück in die Heimat für den 30-Jährigen. Vorher will er noch eine Tante in Bielefeld besuchen und eventuell nach Berlin. Drei Tage Paris sind fest eingeplant. Die Ausflüge nach Rothenburg, Würzburg oder Nürnberg haben ihn beeindruckt. "Besonders die gotischen Kirchen finde ich großartig." Und die Zugfahrten hat er problemlos überstanden. "Die Mitreisenden haben mir immer sehr geholfen."

Gegen ein wenig Schnee hätte Ronald Thiessen auch nichts einzuwenden. Der ist in Paraguay nämlich Mangelware. "Im Moment haben wir 48 Grad im Chaco", sagt er und zieht den Mantelkragen hoch. Im Gepäck für die Heimreise wird er deshalb nicht nur Weihnachtsgeschenke, sondern auch ein paar Pullover, Handschuhe und Schals unterbringen müssen.



Info
Paraquay ist ein Binnenstaat in Südamerika, der im Osten an Brasilien, im Süden und Westen an Argentinien und im Norden und Westen an Bolivien grenzt. Mit einem Staatsgebiet von knapp 407000 km² ist das Land ungefähr so groß wie Deutschland und die Schweiz zusammengenommen. Etwa 6,5 Millionen Menschen leben in Paraquay. .