Druckartikel: Ein Feuerwehreinsatz, der Narben hinterließ

Ein Feuerwehreinsatz, der Narben hinterließ


Autor: Tom Müller

Kitzingen, Mittwoch, 13. März 2013

Ende Januar wurde die Freiwillige Feuerwehr Kitzingen bewusst falsch alarmiert. Der gemeldete Hochhausbrand entpuppte sich als Spaßanruf. Auf der Fahrt zum Feuerwehrhaus verunglückten aber zwei Einsatzkräfte. Die Folgen sind bis heute noch nicht absehbar.
Nach zwei Operationen ist die linke Hand noch immer nicht einsetzbar. Sebastian Kehrbaum (links) nimmt es gelassen. Stadtbrandmeister Markus Ungerer hofft mit ihm auf baldige Genesung. Er braucht in Kitzingen jeden Mann.  Foto: tm


Er könnte auch wütend auf den Lümmel sein, Verachtung für einen dummen Jungenstreich empfinden. Alles Fehlanzeige. "Hoffentlich ziehen die Eltern ihrem Sohn ordentlich die Löffel lang". Das ist alles, was Feuerwehrmann Sebastian Kehrbaum für "Felix" übrig hat.
Unter diesem Pseudonym hatte eine sehr jung klingende Stimme am 27. Januar aus einer öffentlichen Telefonzelle am Falterturm einen Großalarm für sechs Feuerwehrfahrzeuge, zwei Rettungswagen samt Organisationsleiter und Polizeiwagen ausgelöst. Angeblich brenne ein Hochhaus mit rund 90 Bewohnern in der Keltenstraße. "Bei einem gemeldeten Wohnhausbrand gibt es keine Diskussion", sagt Stadtbrandmeister Markus Ungerer. "Da piepst der Meldeempfänger bei jedem der 80 Aktiven der Freiwilligen Feuerwehr Kitzingen.

Es muss schnell gehen

So auch bei Sebastian Kehrbaum.

Minuten entscheiden jetzt über Leben und Tod. Der 28-jährige fackelte daher nicht lange, ließ alles liegen und stehen, sprang ins Auto und machte sich auf den Weg zum Feuerwehrhaus. Alle Handgriffe und Bewegungen sind zig-mal ähnlich abgelaufen, sind schon Routine. Doch diesmal war es anders.
Beim Abbiegen aus einer Seiten- in die Bismarckstraße prallte ausgerechnet der Audi eines Kameraden, der ebenfalls zum Feuerwehrhaus unterwegs ist, frontal in die Fahrerseite des eigenen Wagens. Die Wucht des Aufpralls schleudert diesen gegen einen am Fahrbahnrand geparkten Golf. Bilanz: Drei Totalschäden, rund 70 000 Euro Schadenssumme, ein gebrochener Mittelhandknochen bei Kehrbaum sowie eine Platzwunde und ein Schleudertrauma beim Kollegen. "Felix", der den Einsatz ausgelöst hat, konnte bis heute nicht ermittelt werden.
Wer für die Feuerwehr in einen Einsatz zieht, ist über die Kommunale Unfallversicherung Bayern versichert. Die Paragrafen 35 und 38 der Straßenverkehrsordnung eröffnen den Ordnungskräften zusätzlich in gewissem Rahmen eine Befreiung von den Regeln des Straßenverkehrs. Dennoch hat ein Unfall einen Verursacher und mindestens einen Geschädigten. "Was strafrechtlich auf uns zu kommt, liegt bei der Staatsanwaltschaft", sagt Sebastian Kehrbaum. Mehr will er in diesem schwebenden Verfahren nicht zum Unfall sagen. "Mir ist nur wichtig zu betonen, dass wir keine kopflosen Raser sind".
Markus Ungerer nickt zustimmend. "Wir stehen als Einsatzkräfte unter einer eigenen Problematik. Fährst du mit Tempo 40 zum Einsatz, wirft man dir Bummelei vor, fährst du mit Tempo 60, dann bist du als Raser verschrien".

Von Kameraden gerettet

Die beiden Feuerwehrleute beurteilen den Unfall recht emotionslos. Keiner wirft dem anderen etwas vor. "Das ist einfach saudumm gelaufen", meint Kehrbaum. "Parkende Autos am Straßenrand ließen einen Blick in die Straße erst zu, als ich mit der Schnauze meines Autos schon drin stand". Einige Kameraden, die die Unfallstelle passierten, meldeten den Vorfall und fuhren postwendend zum Retten zurück, nachdem sie als "Einsatzreserve" im Feuerwehrhaus abgestellt worden waren.
250 Einsätze fährt die Freiwillige Feuerwehr Kitzingen durchschnittlich in einem Jahr. Ein Drittel aller Notrufe bezieht sich auf einen Brand, der überwiegende Teil auf so genannte "technische Einsätze". Alle Notrufe laufen zuerst in einer Rettungsleitstelle zusammen, von wo aus ein "Disponent" die Tragweite des Einsatzes abschätzt und die Rettungskräfte in Bewegung setzt.
Dabei bleibt nicht aus, dass die Einsatzkräfte umsonst ausrücken. Hierfür gibt es zwei Gründe. Eine "falsche Annahme" kommt angeblich relativ häufig vor. "Das geschieht dann, wenn man meint, beim Nachbarn brenne es, obwohl der in Wirklichkeit nur seinen Grill anheizt", erklärt der Stadtbrandmeister, der betont, dass er lieber einmal zu viel als einmal zu selten ausrückt. Ein "böswilliger Alarm" ist eine ganz andere Sache. "Da erlaubt sich einer bewusst einen Spaß", erklärt Ungerer.
Sebastian Kehrbaum trägt bis heute an den Folgen des zweifelhaften Vergnügens. Zwei Operationen an der Hand hat er über sich ergehen lassen müssen. Noch immer ist der Außendienstmitarbeiter krank geschrieben. Jetzt beginnt die Physiotherapie. Keine Sekunde hat er aber daran gedacht, das ehrenamtliche Engagement bei der Feuerwehr zu beenden. "Wenn man auf dem Weg zum Fußballplatz einen Unfall baut, hört man doch auch nicht mit dem Fußballspielen auf", meint Kehrbaum. "Eines aber hat auch dieser Einsatz bewiesen", sagt sein Vorgesetzter. "Das Gefährlichste an einem Einsatz ist weniger dieser selbst als vielmehr der Weg, bis alle am Einsatzort sind".