Die Freinacht
Autor: Diana Fuchs
LKR Kitzingen, Montag, 28. April 2014
Ohne Rudi Stöckinger wäre Kitzingen ärmer. Genau gesagt: Um eine beliebte Tradition ärmer - und um einige Geschichten rund um den ersten Mai.
Der heutige Ehrenkommandant der Kitzinger Feuerwehr hat Anfang der 1980er Jahre darauf gedrängt, dass in der Weinstadt am Main ein Maibaum aufgestellt wird, ähnlich wie in vielen Orten der Umgebung. Damals konnte man in Kitzingen noch mit dem Auto über den Marktplatz fahren. Meistens jedenfalls. Am 30. April 1981 war das Stadtzentrum allerdings den Fußgängern vorbehalten. Und einem schön geschmückten Holzkarren, auf dem die Feuerwehrleute Kitzingens allerersten Maibaum in einem feierlichen Marsch ins Zentrum beförderten.
Zur Musik des Kolping-Musik-Corps wurde die prachtvolle Birke geschmückt, aufgestellt und auch freudig begossen.
Ob vielleicht zu viel Bier im Spiel war? Jedenfalls stand der Premierenbaum nicht allzu lange. Am Morgen des 1.
Nach diesem Erlebnis war die FFW gewarnt. In den Folgejahren wurde der Baum in der Nacht auf den 1. Mai jeweils mit Argusaugen bewacht. Dass irgendwann trotzdem ein echtes Fahrrad am Stamm hing, quittierten die FFW-Verantwortlichen mit einem Augenzwinkern und holten das Zweirad per Drehleiter wieder auf den sicheren Boden.
Dafür gab es zur Jahrtausendwende einen riesigen Aufreger. Die FFW konnte die Verantwortung für das Baumstellen im Markt nicht mehr übernehmen. Durch die räumliche Enge war das Manövrieren gefährlich geworden. Außerdem hatten sich Händler beschwert. Die Wehr schlug daher vor, das Maifest ans Gerätehaus zu verlegen.
"Das hat einen Mords-Wirbel gegeben - und einen Leitz-Ordner voller Briefe", erinnert sich Scherer. Letztendlich etablierte sich das Fest in den Folgejahren am FFW-Haus.
Barfuß durch den Wiesen-Tau
Warum stellt man denn überhaupt einen Maibaum auf? Kreisheimatpfleger Karl-Heinz Wolbert hat interessante Spuren in der Vergangenheit entdeckt. Zum Beispiel hat er einen Bericht aus dem Jahr 1224 gefunden, in dem es um einen Machtkampf zwischen Pfarrer und Stadtvogt geht. Der Geistliche ließ einen vom Stadtvogt errichteten Maibaum gegen den Widerstand der Bürger umlegen; als Antwort stellten diese einen noch höheren Baum auf.
Vom Anfang des 16. Jahrhunderts gibt es Quellen, die von der in Franken und Schwaben gepflegten Sitte berichten, einen großen Baum zur Freude für das ganze Dort zu errichten. Der Brauch hat sich überallhin ausgeweitet. "Landschaftlich verschieden sind nur die Gestaltungen", stellt Karl-Heinz Wolbert fest. Meist holen die Burschen eines Ortsvereins den Baum am Vortag aus dem Wald - bei uns meist eine Birke oder Fichte. "Sie soll, geschmückt mit Bändern oder einem Kranz, zum Zeichen der Ortsgemeinschaft, aber auch aus Freude über einen neuen Sommer über die Dächer ragen."
Früher war es gang und gäbe, dass der Lehrer und seine Schulkinder sich tatkräftig an der Maifeier beteiligten. "Im Zug der Schulreform ging diese Tradition jedoch mehr und mehr verloren", weiß Wolbert.
Nach wie vor aktuell ist jedoch die Sitte, dass die Burschen den Baum vor fremdem Zugriff schützen. In der so genannten Freinacht gilt das ungeschriebene Gesetz, wonach abgesägte oder gestohlene Bäume mit Freibier ausgelöst werden müssen.
"Früher wurden die Mädchen sogar ersteigert."
Karl-Heinz Wolbert
"Der Mai ist der Monat der Hoffnung und der Liebe", sagt Wolbert. Beim Tanz unterm Maibaum fand schon so manches Mädchen seinen Schatz. "Früher wurden die Mädchen sogar ersteigert. Die Burschen mussten sie dann das ganze Jahr hindurch betreuen und zu Tanzveranstaltungen einladen."
Noch einen interessanten Brauch gab es: Maikuren gegen Haut- und Augenleiden. "Dafür musste man barfuß durch den Tau der Wiesen laufen", berichtet der Heimatpfleger.
Auch wenn das heute nicht mehr "in" ist: Das Maibaum-Aufstellen ist ein festliches Ereignis mit Tanz, Gesang und Musik geblieben. Damit die Freude lange währt, haben viele Festveranstalter Vorkehrungen getroffen. Die Freiwillige Feuerwehr Kitzingen zum Beispiel stellt den von der Jugendwehr geschmückten Baum wie eh und je mit so genannten Schwalben auf - das sind je zwei Stöcke aus Holz oder Alu, die mit Stricken verbunden sind und mit denen FFW-ler den Baumstamm in die richtige Position bugsieren. Danach wird mit dem Publikum gefeiert.
Zu früh schlafen gehen, ist nicht angesagt. Schon einmal ist die Baumwache zu bald ins Bett gekrochen; der Maibaum wurde noch in den Morgenstunden angesägt.
Vor wenigen Jahren hat die Feuerwehr sogar - fast - Rot gesehen. In der Nacht vor dem Maifest hatte jemand heimlich den Baumstamm bemalt - in Schweinchenrosa. "Wir haben überlegt, was wir machen", erinnert sich Engelbert Scherer. "Und beschlossen, den Baum erst recht aufzustellen." Stefan Münch (stellvertretender Vorstandsvorsitzender) ergänzt grinsend: "Wir haben sogar extra noch rosa T-Shirts angezogen." Wer den Baum damals "verziert" hat, weiß man nicht.
So witzig mancher Vorfall auch war: Heuer wollen die jungen Feuerwehrler durchhalten. In einem Feuerkorb werden sie den Maibaum vom Vorjahr verschüren. Und den neuen eisern bewachen. Da dessen Stamm zusätzlich durch ein Eisengitter geschützt wird, finden Sägewillige gleich zwei Barrieren vor. Aber Freibier will ja auch verdient sein...
Maibaumfest In Kitzingen
Am Mittwoch, 30. April, wird ab 18 Uhr am Kitzinger Feuerwehrhaus (bei schlechtem Wetter in der Halle) in den Mai hineingefeiert. Die Feuerwehrleute stellen den Maibaum mit bloßer Muskelkraft auf und sorgen für reichlich zu trinken und zu essen, zum Beispiel Fassbier, Bratwürste, Steaks, Pommes, Butter- und Rettichbrote.