Der Müller-Thurgau wird 100 Jahre
Autor: Ralf Dieter
Volkach, Dienstag, 19. Februar 2013
In der Volkacher Mainschleifenhalle huldigen die Redner der Rebsorte Müller-Thurgau. Deren Bedeutung für die fränkische Weinwirtschaft ist den meisten Winzern im Saal nur all zu bewusst.
tAnton Hell kann sich noch gut an den Geruch erinnern. Im Kinderwagen ist er Anfang der 50er Jahre durch die elterlichen Weinberge am Großlangheimer Kiliansberg geschoben worden. Müller-Thurgau hatten die Winzer damals erstmals auf größeren Flächen gepflanzt. "Die Blätter haben ganz intensiv gerochen, duftig", sagt er. "Das hat sich mit den Jahren allerdings gelegt."
In der voll besetzten Mainschleifenhalle duftet es an diesem Dienstagvormittag nicht gerade nach Müller-Thurgau. Eher nach Kaffee mit einem Hauch von Männerschweiß. Die 55. Veitshöchheimer Weinbautage haben wieder hunderte Winzer aus ganz Franken nach Volkach gelockt. Staatsminister Helmut Brunner hält die Eröffnungsrede. Und er hat gute Nachrichten mit nach Mainfranken gebracht.
"Als Missionar für den fränkischen Weinbau" bezeichnet der Minister die Rebsorte Müller-Thurgau, bekennt aber im gleichen Atemzug, dass er in diesen Fragen nur ein Laie ist. Andere Themen aus dem Ministermund interessieren die Winzer weitaus mehr. Es geht ums Geld.
Die Förderung des Weintourismus und der Weinvermarktung soll verlängert werden. Für 2013 und 2014 liegt bereits eine Projektliste vor, die Brunner als realistisch einschätzt. Fördervolumen: Rund eine Million Euro. Auch das Bayerische Programm zur Stärkung des Weinbaus soll verlängert werden, dann bis 2018. Und für alle Weinbauern mit Steillagen hat der Minister noch eine gute Nachricht: Die Steillagenmechanisierung soll genau so gefördert werden wie der umweltgerechte Weinbau im Rahmen des Kulturlandschafts-programms. Die beste Nachricht für Frankens Winzer geht fast ein wenig unter: Der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments will die geltende Regelung im Pflanzrecht bis 2029/2030 verlängern. Brunner hofft, dass das Europäische Parlament diesem Vorschlag im März zustimmt. Einen besseren Schutz für die fränkischen Steillagen dürfte es kaum geben.
Silvaner und Riesling - und damit die anspruchsvollen Rebsorten - gedeihen dort vorwiegend. Der Müller-Thurgau kommt auch mit weniger guten Lagen zurecht. Nur einer vonvielen Vorteilen der Rebsorte, die Professor Hermann Müller vor 100 Jahren im Schweizer Kanton Thurgau züchtete.
Im gleichen Jahr holte der Bayerische Hofrat Dr. August Dern 400 Reben des Sämlings nach Franken. 300 soll er ohne Genehmigung des Züchters, quasi entführt, haben. Sie wurden in der Rebenbeobachtungsanstalt Sendelbach bei Lohr angepflanzt. Seine Blütezeit sollte der Müller-Thurgau in Franken aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg erleben.
Von 2458 Hektar auf rund 6200 Hektar stieg die Gesamtanbaufläche Frankens zwischen 1950 und heute. Die größte Fläche nahm ab den 70er Jahren der Müller-Thurgau ein. "Er war und ist unser Brot- und Butterwein", meinte denn auch Weinbaupräsident Artur Steinmann. Früher lieferte er ohne allzu große Anstrengungen der Winzer hohe Erträge, heute besticht er durch seine Vielfältigkeit: In Cuvees, im Rotling und im Secco ist der Müller-Thurgau zu finden. Frech, frisch und unkompliziert kommt er daher. "Ein Imageproblem hat er höchstens bei den Sommeliers und Fachleuten", meinte Steinmann. "Bei den Kunden sicher nicht."
Michael Schweinberger, geschäftsführender Vorstand der GWF, kann das nur bestätigen. "Der Müller-Thurgau ist für unsere wirtschaftliche Position sehr wichtig", sagt er. 35 bis 40 Prozent der gesamten GWF-Anbaufläche sind damit bestückt. Seine Daseinsberechtigung hat er für die größte fränkische Genossenschaft schon deshalb, weil er eine breite Masse von Konsumenten anspricht. Daran wird sich laut Schweinberger auch in naher Zukunft nichts ändern. "Der Müller-Thurgau ist nicht wegzudenken."
Allerdings: Die Fläche, auf der er in Franken angebaut wird, geht stetig zurück. Von 2800 Hektar in 1989 auf aktuell 1753 Hektar. Der Rückbau war vor allem eine Antwort auf die Krise Ende der 90er Jahre, als Frankens Winzer mehr auf Quantität denn auf Qualität setzten. Zwei Ernten, oder rund 900.000 Hektoliter lagerten in den Kellern - vor der Lese, wohlgemerkt. Dr. Hermann Kolesch: "Ein riesen Bauchladen wurde damals vor sich her geschoben."
Diese Zeiten haben sich längst geändert, Frankens Winzer setzen auf niedrigere Erträge und höhere Qualitäten. Der "Brot- und Butterwein" hat aber auch in dieser Zeit seine Berechtigung. Selbst in einem Betrieb wie dem Juliusspital, der sich bekanntlich auf die Herstellung hochwertiger Silvaner konzentriert. Vergleichsweise niedrige 15 Prozent beträgt der Anteil an Müller-Thurgau. Leiter Otto Kolesch schätzt die Stärken der Rebsorte dennoch. "Müller-Thurgau ist ein optimaler Türöffner." Gerade junge Menschen würden über ihn den Zugang zu hochwertigeren Weinen finden.
Also alles in Butter? Hoch das Glas auf weitere 100 Jahre Müller-Thurgau? Präsident Steinmann rief die Winzer jedenfalls dazu auf, sich zu der Rebsorte zu bekennen. Sie sei die ideale Ergänzung zu fränkischen Aushängeschildern wie Silvaner oder Riesling.
Behält jedoch Anton Hell Recht, wird es den Müller-Thurgau in 100 Jahren in Franken kaum noch geben. Hell prognostiziert wegen des Klimawandels einen massiven Rückgang des Müller-Thurgaus. "Er wird weiter Richtung Norden ziehen", prophezeit er. "Er gedeiht ja heute schon in Schweden." Wenn der Vorsitzende der Vereinigung "Fränkisches Gewächs" Recht behält, wird er im hohen Alter bis nach Skandinavien reisen müssen, um noch einmal den Geruch seiner Kindheit inhalieren zu können.