Chirurg für uralte Bänder
Autor: Diana Fuchs
Kitzingen, Dienstag, 05. November 2013
Wie aus einem jungen Technik-Begeisterten der Retter alter Ton- und Filmaufnahmen geworden ist.
Hab' ich an der falschen Tür geklingelt? Der Mann, der öffnet, sieht mit seiner randlosen Brille, dem weißen Kittel und den Handschuhen aus wie ein Arzt. Zweifelnde Blicke ist er anscheinend gewohnt: "Sie sind schon richtig. Schäfer", stellt er sich vor. "Kommen Sie nur rein."
Gleich hinter der Feuerschutztür stapeln sich Projektoren und Kameras aller Größe, Farbe und Form. Jürgen Schäfer beachtet sie nicht, sondern führt seinen Gast in einen großen Raum unterm Dach des Brückenecks. Durch die schrägen Fenster auf beiden Seiten hat man einen prima Blick über die Altstadt sowie nach Etwashausen. Doch vor allem ziehen die vielen Bildschirme sowie stattliche Mischpulte mit allerhand Reglern, Knöpfen und Rollen die Aufmerksamkeit auf sich.
Alt neben Neu - das ist der erste Eindruck, der sich einem aufdrängt.
"Darauf sind zum Beispiel Derrick- und Tatort-Filme geschnitten worden", erklärt Jürgen Schäfer und deutet auf die Geräte: "Das sind Steenbeckschneidetische. Das war bis Ende der 90er Jahre der Standard in der Filmproduktion."
Jürgen Schäfer ist zwar kein Mediziner im eigentlichen Sinn, aber man kann ihn vielleicht als Arzt für alte Medien bezeichnen. In seinem "Schäferfilm"-Studio an der Alten Mainbrücke kann er sämtliche historischen Ton- und Filmmaterialien von 1900 bis heute nicht nur sichern und digitalisieren, sondern auch verbessern. Wenn er nicht gerade Film-Workshops abhält oder selbst Filme dreht - für Firmen oder Privatleute - ist er quasi Schönheits-Chirurg für alte Film- und Video-Bänder.
Wie er zu dieser außergewöhnlichen Tätigkeit kommt? Bis kurz vor der Jahrtausendwende war Schäfer als Cutter und Tontechniker bei zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen beschäftigt, unter anderem in den Bavaria-Studios in München. Außerdem hat er auch als Sounddesigner und Kameramann gearbeitet. "1999 habe ich mich selbstständig gemacht. Ich wollte mehr Zeit haben, auch mal meine eigenen künstlerischen Ideen zu verwirklichen."
Vor gut fünf Jahren mietete der gebürtige Rhöner das Dachgeschoss im Brückeneck an. Hier empfängt der 53-Jährige seine - vorwiegend ältere - Kundschaft. "Manche Leute haben uralte VHS-Vidoekassetten dabei und wollen diese gern auf DVD gebrannt haben. Andere haben auf dem Dachboden verstaubte und längst vergessene Filmrollen gefunden, die sie nicht abspielen können", erzählt Schäfer. "Ich kann hier alle möglichen Formate überspielen und digitalisieren."
So manche Überraschung haben die Kunden deshalb schon erlebt. Doris Badel, die Leiterin des Kitzinger Stadtarchivs, hat sich zum Beispiel kürzlich riesig gefreut, als auf einem alten Film Farbaufnahmen der Neuen Mainbrücke aus den 40er Jahren entdeckt wurden.
Jürgen Schäfer hat die verwackelten Aufnahmen mit viel Fingerspitzengefühl und moderner Technik so verbessert, dass das Anschauen heute eine reine Freude ist. Das historische Flair ist geblieben, aber die lästigen Kratzer und das Flimmern des Zelluloids sind verschwunden. "Ich finde es ungeheuer spannend, alles an Qualität rauszukitzeln, was möglich ist", erklärt Schäfer seinen Antrieb. Schon als Kind sei er ein Technik-Freak gewesen und habe Vaters Tonbandgerät in alle Einzelteile zerlegt. "Das fand er gar nicht lustig..."
Der Reiz des Analogen
Als in den 90er Jahren die Digitaltechnik aufkam und ihre analogen Vorfahren immer mehr verdrängte, änderte sich die Arbeit des Cutters entscheidend. "Früher überlegte man immer erst dreimal, bevor man einen Filmschnitt setzte; Änderungen waren nämlich sehr aufwändig; heute kann man das per Mausklick. Und auch ratzfatz wieder rückgängig machen."
Die digitalen Möglichkeiten sind aber auch eine wahre Schatzkiste für Jürgen Schäfer. Ob unscharf, unterbelichtet oder verfärbt: Allein fürs Filmverbessern hat der 53-Jährige zehn verschiedene Programme zur Verfügung. "Schauen Sie, was man damit alles machen kann", sagt er und winkt den Gast an eine futuristisch anmutende Bildschirmwand. "Sogar aus schier hoffnungslosen Bildern kann man noch etwas rausholen..."
Wenn Jürgen Schäfer mit der Maus gezielte Klicks setzt und konzentriert kleinste Veränderungen steuert, hat die Szenerie doch ganz schön viel Ähnlichkeit mit einem Operationssaal, in dem ein Chirurg das Skalpell führt.