Beste Aussicht auf neue Vulkan-Abenteuer
Autor: Ralf Dieter
Kitzingen, Dienstag, 29. Januar 2013
Ein nackter Mann, eine weibliche Brust und Rauchwolken über dem Popo: Wer wie der 75-jährige Peter Schöderlein in Mexiko Vulkane besteigt, hat einiges zu berichten.
Ein Mal im Jahr bricht er auf zu einem neuen Abenteuer. Die höchsten Berge in Asien, Südamerika und Afrika hat er bereits bestiegen. Jetzt zog es ihn nach Mexiko - auf eine ganz heiße Tour. Der 75-jährige Peter Schöderlein bestieg die vier höchsten Vulkane des Landes.
Das Abenteuer begann am Institut für Höhentraining in Würzburg. Dort nutzte er die Gelegenheit, sich heimatnah für große Höhen über 5000 Meter zu akklimatisieren. Eine gute Idee, denn die Tour sollte anstrengend werden. Neben der Besichtigung von Mexiko Stadt und Kultstätten stand die Besteigung der vier berühmtesten Vulkane des Landes auf dem Plan: dem Ajusco (3945m), dem Nevado de Toluca (4690m), der Ixtaccihuatl (5286m), auch genannt die schlafende Frau, und dem höchsten Gipfel Mexikos, dem Pico de Orizaba (5700m).
Die Reise begann mit einer unliebsamen Überraschung: Das Wetter meinte es nicht gut mit den Besuchern. Nachdem sie die steilen Stufen der 63 Meter hohen Sonnenpyramide emporgestiegen waren, wurde der sonst so einzigartige Weitblick auf die "Straße der Toten", die Mondpyramide und den Tempel des Totengottes Quetzalcoatl durch Nebel- und Regenwolken getrübt. "Normalerweise sind zu dieser Jahreszeit nur wenige Regentage zu erwarten", berichtet Schöderlein. "Und so standen die Chancen, den Rest der Reise bei Sonnenschein zu erleben, recht gut."
Ein guter Berg zum warm werden
Am nächsten Tag stand die Besteigung des Ajusco, des Hausvulkans von Mexiko Stadt, auf dem Plan. Seine beiden Gipfel Pico del Aguila (3910m) und Cruz del Marquez (3945m) erheben sich gut 1700 Meter über den Häusern der Stadt. Der längst erloschene Vulkan ist ein Wanderberg mit steilen Pfaden und eignet sich daher gut zum Akklimatisieren.
Beim Ausgangspunkt an der Cabaná La Palapa, gut 3100 Meter hoch, lernten die Gipfelaspiranten ihre Bergführer Humberto und Carlos kennen. Sie sollten sie auf allen Gipfeln begleiten. Mit Lunchpaketen versorgt und in Regenkleidung gehüllt machten sich alle auf den Weg, anfangs ansteigend durch Nadelwaldbestand, dann schnell steiler werdend durch Rinnen, über mehrere kleine Lichtungen in freies Gelände. Weiter ging es gratartig über Lavagestein mit leichter Kletterei zum Vorgipfel Pico del Aguila, dann nach einem kurzen Abstieg durch eine Mulde ansteigend zum Hauptgipfel Pico la Cruz del Marquez. "Zwischenzeitlich hatte es aufgehört zu regnen", erinnert sich Schöderlein. "Aber die sonst so grandiose Sicht auf die Millionenstadt Mexico City war durch Nebelwolken verhangen."
Der nackte Mann
Tief beeindruckt von den Kulturen der Vorkolonialzeit, hieß es nun Abschied nehmen von Mexiko Stadt. Der Bus brachte die Reisegruppe in knapp drei Stunden zur Albergue Nevado de Toluca, den die Indianer Xinantécatl ("der nackte Mann") nennen. Die Guides hatten bereits die Böden gewischt, Feuer im großen offenen Kamin entfacht und mit der Zubereitung des Abendessens begonnen. "Alle Hütten in Mexiko sind reine Selbstversorgerhütten", erzählt Schöderlein.
Bei Tagesanbruch fuhr der Bus zum Ausgangspunkt der Tour, einer meteorologischen Station auf 3900 Meter. Über einen kleinen Sattel und dann leicht ansteigend erreichte die Gruppe die beiden Kraterseen - den großen Sonnen- und den kleinen Mondsee. Eine herrliche Gratkletterei führte über mehrere kleine Vorgipfel hinauf über den Ostgrat zum Gipfel des Nevado de Toluca (4690m).
"Beim Blick über die Kraterseen konnte man den rauchenden Popocatépetl und die Ixtaccihuatl, das nächste Ziel erkennen", erzählt der Dettelbacher. Der Abstieg führte nach Westen, kurz abkletternd, dann über Schutthalden "abfahrend" bis zu den Kraterseen. Hier machte sich bei einem der Teilnehmer die dünne Höhenluft mit heftigen Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen bemerkbar. "Im Schneckentempo gelang es, den höhenkranken Unglücksraben hinunter zum Bus und weiter talwärts zu schaffen."
Vorsicht, Vulkan!
Alle wollen zum Popocatépetl - aber man darf nicht hinauf. Warum das so ist, verkündet seit 1994 ein Schild auf dem Paso Cortez (3650m): "Vulkanische Aktivität" steht da als Begründung. Schöderlein findet den Popocatepetl gar nicht so attraktiv. "Eigentlich sieht die Ixtaccihuatl auf der anderen Seite des Passes viel interessanter aus." Sie hat nicht die Kegelgestalt des aktiven Vulkanes, sondern ist ein sehr lang gezogenes, riesiges Massiv mit Wänden, Scharten und Pfeilern.
Die lange Besteigung der "Ixta" begann morgens um 4 Uhr. Höchster Punkt einer auf dem Rücken liegenden Frau ist die Brust - dort wollten die Bergsteiger hin. Da die Dame dem Pass ihre Füße zeigt, hatten sie eine lange Wegstrecke vor sich. "Wer endlich auf dem Fuß steht und zum Knie blickt, sieht noch lange keine Brust", erinnert sich der Bergsteiger.
Wölkchen über dem Po
Zunächst ging es deshalb auf steilen Schotterwegen zum Pass Portillo de los Pies (4200m), dann durch den Sattel zwischen "Knien" und "Füßen", dem markanten Südostrücken folgend weiter zu den Biwakschachteln auf 4600 Metern. Über einige Vorgipfel erreichte die Gruppe schließlich über Schnee, Eis- und Felsgrate bergab und bergauf, ein großes Gletscherfeld querend, nach acht Stunden endlich den höchsten Punkt, genannt "El Pecho" (5286m). "Eine eigenartige Gletscherwelt mit ungewöhnlichen Landschaftsformen ließ die Strapazen des Aufstieges vergessen", sagt Schöderlein. "Immer wieder lockten hübsche Rauchwölkchen über dem Popo als willkommenes Fotomotiv."
Auf demselben Weg ging es wieder zum Ausgangspunkt zurück. Nach zwölf Stunden saßen sechzehn erschöpfte Gipfelstürmer wieder im Bus. Im Quartier für die letzte und größte Bergbesteigung herrschte reges Treiben. Bereits andere Bergsteiger hatten die Holzlager in dem engen Raum beschlagnahmt. Auf Gaskochern brutzelte jede "Abteilung" für sich Abendessen. Die Nachtruhe war ohnehin kurz. Gegen 2 Uhr begann die lange und anstrengende Besteigung des Pico Orizaba (5700m), des höchsten Vulkans von ganz Mexiko.
Berg der Sterne
In vorspanischer Zeit trug er den indianischen Namen Citlaltépetl, was "Berg der Sterne" bedeutet. In der Dunkelheit hieß es, eine gute Wegspur über die steinige Flanke zu finden. Nach zwei Stunden war die Firn- und Eiszone auf zirka 5000 Meter Höhe erreicht. Für den weiteren Aufstieg war Eisausrüstung erforderlich.
An den anbrechenden Tag am "Sarcofago", einer auffallenden Felsformation auf zirka 5350 Meter, wird sich Schöderlein noch lange erinnern. "Der Tag dämmerte nicht, er brach aus in Form einer Eruption von Licht und Farben." Fünf bis sechs Stunden Aufstieg standen noch bevor, teilweise in bis zu 40 Grad steilem Eis und Firn an der Gipfelflanke. "Die Gletscherspalten waren so schmal, dass seilfreies Gehen möglich war", berichtet der 75-Jährige. "Jeder ging für sich, fand seinen Rhythmus. Nichts lenkte ab von der Mühe des Steigens, kein Flachstück, keine Kletterstelle, keine Geländestruktur, kein Grat." Die Neigung nahm zu, das Eis wurde härter. Eine letzte Kehre, dann war der Berg zu Ende. "Das heißt, drüben, einige hundert Meter weiter, ging er weiter. Dazwischen klaffte das Kraterloch, geschätzt 200 Meter tief."
Nach dem Abstieg ging es zurück nach Tlachichuca, wo die Gruppe nochmals von der Familie Humbertos bekocht wurde. Dann ging es noch am selben Tag weiter nach Puebla. Am nächsten Morgen hieß es erst einmal ausschlafen. Auf dem Programm stand eine Stadtführung durch die viertgrößte Stadt Mexikos und Weltkulturerbe der Unesco. In einer der Bierkneipen unter den Arkaden am Zòcalo ging die Reise langsam zu Ende. Am nächsten Tag hieß es Abschied nehmen von Mexiko, seinen gigantischen Millionenstädten, geheimnisumwitterten Kultstätten und sagenumwobenen Vulkanen. Doch Peter Schöderlein hat schon das nächste Ziel vor Augen - ein echtes Kontrastprogramm. In diesem Sommer will er nach Grönland. Auch dort gibt es Berge. Aber wohl kaum einen nackten Mann.