Druckartikel: Auch Priester kämpfen mit Depressionen

Auch Priester kämpfen mit Depressionen


Autor: Tom Müller

Münsterschwarzach am Main, Mittwoch, 30. Januar 2013

In Münsterschwarzach und auf dem Schwanberg heilen zwei Organisationen die Seelen der Seelsorger. Ihr Therapiekonzept ist einzigartig im deutschsprachigen Raum.
Foto: Armin Weigel/dpa


Er arbeitet eigentlich bloß am Sonntagvormittag, abgesehen von der einen oder anderen Beerdigung unter der Woche. Er ist immer gut gelaunt und fehlerlos. Schließlich hat er den direkten Draht zu Gott. Eine Haushälterin oder die Ehefrau schmeißt ihm den Haushalt. So viel zum Klischee. Die Wahrheit sieht anders aus, ganz anders. Der Beruf des Pfarrers ist eine ständige Herausforderung. Immer mehr führt sie direkt in den Burnout.

Wer Pfarrer ist, füllt eine zweifellos interessante Vollzeitstelle mit regelmäßigen Überstunden und Wochenendarbeit aus. Er richtet Menschen auf, hilft an jeder Ecke, macht Mut, spendet Trost, gibt Religionsunterricht, schlägt sich mit einem enormen Verwaltungskram und dem Gemeinderat herum, verzweifelt an der oft fehlenden Unterstützung, an immer größeren Gemeinden mit immer weniger Gläubigen - und letztlich am eigenen Anspruch, "allen alles zu sein", wie Paulus es

formuliert.

Fünf Prozent aller Seelsorger in Deutschland sind vom Burn-out betroffen, schätzt Andreas von Heyl, Autor des "Anti-Burn-out Buchs für Pfarrerinnen und Pfarrer". Die Dunkelziffer liegt weit höher. "Bedienstete der Kirche quälen sich oft jahrelang mit einem Selbstbild herum, das einem Ideal gehorchen will und vor der Wirklichkeit zerbricht", sagt Dr. Wunibald Müller, Leiter des "Recollectio-Hauses" der Abtei Münsterschwarzach.

Einzelbegleitung hilft

Das von ihm geleitete Angebot für Angehörige der katholischen Kirche ist einzigartig im deutschsprachigen Raum. Sein Pendant auf protestantischer Seite ist es ebenso. Zufall oder nicht, beide Einrichtungen sind nur einen Steinwurf entfernt.

Das Therapiezentrum "Respiratio" für hauptamtliche Mitarbeiter der evangelischen Kirche befindet sich auf dem Schwanberg. Beide Einrichtungen setzen auf ein Programm, das "Psychotherapie und Spiritualität vereint und für den Genesungsprozess nutzbar macht", erklärt Dr. Müller. Also nicht nur Exerzitien im Kloster, nicht nur Besinnungswochenende oder Mediationsseminar, sondern psychologische und psychotherapeutische Einzelbegleitung durch medizinisch ausgebildetes Personal, das die Lebenswelt der Kirche kennt, plus spirituelle Einbindung ins Klosterleben über mehrere Wochen.

Und wie sein katholischer Kollege, so ist auch der Leiter der evangelischen Einrichtung, Dr. Hans-Friedrich Stängle, psychologischer Psychotherapeut. Beide haben unabhängig voneinander in den USA studiert und die Idee für ihre Tätigkeit von dort mitgebracht.

Beide Einrichtungen nennen ihre Patienten "Gäste". Diese sind, was auf den ersten Blick überrascht, meist nicht naive Berufsanfänger, die sich beim Start ins geistliche Leben vergalloppiert haben und ihre Ausrichtung neu definieren müssen. "Die meisten, die wir begleiten, sind zwischen 45 und 55 Jahre alt", berichtet der "Respiratio"-Chef. "Bei vielen überschneiden sich berufliche und persönliche Probleme, manche haben kritische Lebensphasen hinter sich oder leiden an einer zerbrochenen Ehe".

Letztere gibt es auf katholischer Seite natürlich nicht. "Unser Ziel ist es, dass Menschlichkeit mit all ihren Schwächen und Grenzen von den Akteuren im kirchlichen Amt akzeptiert wird", so Müller. Er will nicht das große Ideal des Pfarrerberufs demontieren. Er will nur die Lasten anders verteilen. "Du hast mehr Möglichkeiten, als du ahnst - ganz zu schweigen von den ungeahnten Möglichkeiten Gottes", so sein Credo. Er hat einige Leitsätze, die er seinen Gästen mit auf den Weg gibt. Ein anderer lautet: "Wer gut zu sich ist, nimmt dem lieben Gott viel Arbeit ab". In vier bis zwölf Wochen haben seine Gäste die Botschaft verstanden.

Erst die Selbstanalyse

Gut zu sich werden, setzt aber erst einmal eine schonungslose Selbstanalyse voraus. "Wer in einem helfenden Beruf die Rolle eines Hilfsbedürftigen annimmt, erlebt oft eigene Scham und gerät in eine Sinnkrise", berichtet Hans-Friedrich Stängle. "Ab diesem Zeitpunkt beginnt aber der therapeutische Prozess". Dieser führt dann in der Regel zu einem neuen Rollenverständnis des kirchlichen Leitamts, weg vom Entertainer für alle, hin zum Nein-Sager und gerade deshalb zum Wohle der Gemeinde, die nun stärker mitwirken kann. "Alle drei, der Pfarrer, die Kirche und die Gemeinde, müssen lernen, Aufgaben zu teilen", so Stängle. "Das entspricht auch dem christlichen Grundverständnis, wonach wir einen Leib, aber viele Glieder haben". Und - Gott sei Dank - hat ein Pfarrer auch bloß zwei Hände.