An Boris Beckers Schuh von 1985 klebt noch Erde aus Wimbledon
Autor: Mathias Wiedemann
Iphofen, Samstag, 27. Juni 2020
Das Knauf-Museum Iphofen zeigt Schuhe, die Geschichten erzählen. Geschichten von Sieg und Niederlage und vom immer wieder neuen Versuch, Schönheit und Nutzen zu verbinden.
Schuhe. Jeder braucht sie, und fast jeder hat eine Meinung dazu. Es gibt sie für unterschiedlichste Zwecke, in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Mal sind sie Mittel zum Zweck, mal Ausdruck des persönlichen Geschmacks oder einer Lebenseinstellung. Mal sind sie buchstäblich Begleiter über Stock und Stein, mal sind sie mehr oder weniger kurzlebiges Modeaccessoire und Statussymbol.
Und manchmal erzählen sie sogar Geschichten. Abenteuergeschichten, Lebensgeschichten, Liebesgeschichten. Das Knauf-Museum in Iphofen zeigt bis 8. November in seiner Sonderausstellung "Schuh-Stories" etwa 80 Schuhe mit Geschichte, von der Römer-Sandale aus dem zweiten Jahrhundert bis zum rotbesohlten 6000 Euro teuren Loafer von Louboutin, den sich eine Sammlerin tapfer zusammensparte. Vom mittelalterlichen Schnabelschuh, dessen möglichst lange Spitze vom Reichtum des Besitzers zeugte, bis zum eher unscheinbaren braunen Slipper, den Außenminister Hans-Dietrich Genscher trug, als er am 30. September 1989 vom Balkon der bundesdeutschen Botschaft in Prag seinen berühmten Satz sprach: "Wir sind heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise . . . " Der Rest ging bekanntlich im Jubel unter.
Wer der eigenen (Lebens-)Geschichte zumindest eine Schuh-Episode hinzufügen möchte, der kann sich gleich im ersten Raum aus einem Regal mit möglichst ungewöhnlichen Schuhen bedienen, diese auf einem Laufsteg ausprobieren und sich dabei filmen lassen. Vielleicht inspiriert ja die silberne Monster-Plateausohle oder das rosafarbene Extrem-Stiletto zum einen oder anderen Stilwechsel.
Rassistische Anfeindungen nach der historischen Geste
Interessanterweise sind es auch und gerade Sportschuhe, die besonders viel Geschichte erzählen. Nicht nur Sportgeschichte. Fast gespenstisch gut in die Gegenwart passt die Geschichte des rote Puma-Laufschuhs mit den Minispikes, mit dem der Sprinter Tommie Smith 1968 in Mexico City Olympiagold über die 200 Meter holte. Bei der Siegerehrung senkten Smith und sein drittplatzierter Landsmann John Carlos, ebenfalls Afroamerikaner, den Kopf und reckten eine schwarz behandschuhte Faust in den Himmel. Dieser Protest gegen die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung brachte beiden Athleten jahrzehntelange rassistische Anfeindungen ein.
Bei Puma in Herzogenaurach hat Helmut Fischer 42 Jahre lang unzählige prominente Sportler betreut – von der Entwicklung der idealen Modelle für ihre Füße und ihre Sportart bis hin zur Ausstattung ihrer Vereine oder Verbände. Jetzt ist der 70-Jährige Archivar beim Sportartikelhersteller, oder "Senior Advisor", wie es auf seiner Visitenkarte heißt. Über die Jahrzehnte hat Fischer eine gigantische Sammlung mit 7500 Schuhen aufgebaut – vor allem Einzelexemplare, denn meist bekam und bekommt er von einem Paar Sieger- oder Rekordschuhe nur einen geschenkt.
Für die "Schuh-Stories" im Iphöfer Knauf-Museum hat Fischer, quasi auf dem Weg zu weiteren Ausstellungen in London und Bordeaux, neben Tommie Smiths historischem Treter noch einige mehr herausgerückt. Den Schuh etwa, in dem Boris Becker 1985 als "siebzehnjährigster Leimener aller Zeiten" (Süddeutsche Zeitung) Wimbledon gewann. Bemerkenswert sind dabei nicht nur die Erdkrümel des Centre Courts, die noch in der Sohle hängen. Bemerkenswert ist auch der rote Streifen: Becker habe damals den ersten nicht vollkommen weißen Schuh in der Wimbledon-Geschichte getragen, erzählt Fischer.
Eine Vitrine weiter der - bis auf weiteres - schnellste Schuh der Welt: Das Exemplar, mit dem Usain Bolt 2009 den Weltrekord von 9,58 Sekunden über 100 Meter aufstellte. Schuhgröße 44 übrigens. Tommie Smith, Boris Becker, Usain Bolt, Michael Schumacher oder die Fußballer Pelé und Marco Reus – Helmut Fischer ist ihnen allen nahe gekommen, die meisten hat er bei der Arbeit kennengelernt. Beim Tüfteln an der idealen Flexibilität einer Sohle oder der richtigen Dicke des Obermaterials.