Als die Frauen noch dicke Hüften haben wollten
Autor: Sabine Paulus
Kitzingen, Sonntag, 14. Oktober 2012
Das Schönheitsideal hat sich innerhalb von 100 Jahren rasant geändert. Früher wollten die Damen mit Kleidung ihre Häuslichkeit und Gebärfähigkeit ausdrücken, heute wollen sie so schlank wie möglich sein. Tracht aus der alten Zeit stellt demnächst das Städtische Museum Kitzingen aus.
Über eine großzügige Schenkung aus Biebelried freut sich die Leiterin des Städtischen Museums. Die wertvollen Trachten hat sie dem Sammler Werner Gimperlein zu verdanken.
Werner Gimperlein hat eine gute Tat vollbracht, eigentlich zwei. Der Biebelrieder hat wertvolle Trachten aus der Zeit von 1880 bis 1930 aus Müllsäcken gerettet und die Tücher, Schürzen und Röcke dem Städtische Museum in Kitzingen geschenkt. Gimperlein: "Ich wusste, dass noch Trachten in unserer Familie da sind, aber nicht mehr viele."
Er musste unbedingt verhindern, dass seine Angehörigen die Kleidung "beim Ausmisten" wegwarfen.
"Das hätte mir so leid getan", sagt Gimperlein. Er ist Mitglied des Arbeitskreises für Volkskunde und fränkisches Brauchtum ist und in diesen Kreisen bekannt als leidenschaftlicher Sammler.
Werner Gimperlein ist auch im Archäologischen Netzwerk tätig. Er und Museumsleiterin Stephanie Nomayo M.A. kennen sich schon lange. Er ging auf sie mit der guten Nachricht zu, alte Tracht für das Museum zu haben.
Versteht sich, dass Stephanie Nomayo begeistert ist.
"Die Tracht stammt aus einer Familie, und die Person, die sie getragen hat, ist bekannt", freut sie sich. Es war Ida Keller, die verstorbene Schwiegermutter von Gimperleins Bruder. Nomayo: "Das Besondere ist das Authentische.
Tracht spielte im Kitzinger Land nur eine kurze Rolle. Was erhalten ist, ist sehr wertvoll. Deshalb wurden die Kleidungsstücke von der Mutter auf die Tochter und auf die Enkelin übergeben.
Alles, was Werner Gimperlein ins Museum gebracht hat, ist äußerst gut erhalten: ein Brust- oder Schultertuch aus einer Art Damast, Stoffe in Atlasbindung mit floraler Ornamentik, mehrere Schürzen, Wollstoffe und mit Rosen bedruckte schwarze Tücher aus Viskose, weiterhin Röcke, noch original zusammengebunden.
Bauchfrei gab natürlich nicht
Den Rock, den Ida Keller trug, hat Nomayo dem Modell einer französischen Schaufensterpuppe übergestreift. Dazu hat sie ein Oberteil drapiert, Mutzen genannt. Charakteristisch für den Mutzen sind die Keulenärmel, die an der Schulter mit Pappe und Kartoffelstärke so erhöht wurden, dass sie die Schultern überragen. Der Mutzen ist sehr kurz, so dass die Taille unter der Brust endet. "Bauchfrei" könnte man heute sagen. Doch weit gefehlt! Die Frauen trugen einen Rock dazu, meist plissiert, aufwändig Falte für Falte gebügelt, der weit über die Taille ging. Der Rock wurde mit zunehmendem Alter der Trägerin erweitert.
An der Hüfte wurden Wülste in die Röcke eingenäht, so dass sie weit von der Hüfte abstanden - das blanke Gegenteil des heutigen Schönheitsideals!
Denn das Ganze sieht fassförmig aus. "Eigentlich waren die Frauen viel schlanker. Der Idealtyp war früher ein ganz anderer als die superschlanke Frau von heute", sagt Nomayo.
Vor allem Frauen trugen die Tracht, Männer selten, sie sind auf Hochzeitsfotos zum Beispiel mit städtischer Kleidung zu sehen, mit Anzug, Melone oder Zylinder. Warum? Der Mann betont mit seiner Kleidung seine ihm zugedachte Rolle außer Haus, während die Frau als häusliches, bodenständiges Wesen dargestellt wird.
Nach seiner Rettungsaktion hat sich Werner Gimperlein erst mal alles angeschaut. Als die anderen Familienmitglieder merkten, dass Gimperlein an der Tracht interessiert ist, haben sie ihm noch den Mutzen und den Rock gegeben, die ab 11. November zusammen mit anderen Kleidungsstücken im Städtischen Museum ausgestellt sein werden.
Es sind katholische Trachten, die evangelischen sind längst nicht so farbenfroh gehalten.
Damals wurden die Stoffe nicht einfach gekauft, sondern von fahrenden Händlern angeboten. Die Schneider haben aus den Stoffen dann etwas für die Ewigkeit genäht. Dabei ging es bunt und nicht immer Ton in Ton zu.
Heute muss farblich alles zueinander passen, bei den Trachten früher war das nicht so wichtig.
Nicht immer kann Stephanie Nomayo alte und schöne Dinge, die gut in ein Museum passen würden, auch annehmen.
Denn sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, das auszuwählen, das sozialgeschichtlich relevant ist. Nomayo: "Ich sammle nur, was aus Land und Stadt Kitzingen kommt und eine Geschichte und Tradition hat. Andere Sachen kann ich nicht annehmen, auch wenn es mich als Wissenschaftlerin schmerzt." Der Grund für diese Zurückhaltung: Depotfläche kostet Geld, jeder Quadratmeter.
Vor allem im Frühjahr und im Herbst werde bei ihr angeklingelt. Manche Leute wollten sogar Sachen verkaufen. Sie müsse vieles ablehnen, um wenn es noch so schön, antik und wertvoll ist.