Druckartikel: Ärzte im Kitzinger Land entsetzt über Pläne der Großen Koalition

Ärzte im Kitzinger Land entsetzt über Pläne der Großen Koalition


Autor: Daniela Röllinger

Kitzingen, Donnerstag, 21. November 2013

Die Koalition hat festgelegt, dass Patienten künftig nicht länger als vier Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten müssen. Ärzte des Gesundheitsnetzes Kitzinger Land sehen in diesen Plänen eine Gefahr für ihre wirklich schwer kranken Patienten.
Geht es nach dem Willen der Koalition, müssen Patienten künftig nicht länger als vier Wochen auf einen Termin beim Facharzt warten. Foto: dpa (Archiv)


"Ein Desaster" befürchtet Dr. Thomas Krichenbauer. Dr. Edgar Gramlich spricht von einem "fürchterlichen Bumerang". Der Vorsitzende des Gesundheitsnetzes Kitzinger Land und sein Stellvertreter sind entsetzt über die Pläne der Großen Koalition, die Wartezeiten beim Facharzt auf vier Wochen zu begrenzen. Solche Vorschriften sind nach ihrer Ansicht nicht nur unrealistisch, sie werden den Ärztemangel noch verstärken. Die Regelung sei eine Gefahr für wirklich schwer kranke Menschen.

Für die Patienten hört es sich gut an, was die Politiker von CDU, CSU und SPD sich da in Berlin überlegt haben. Patienten sollen nicht länger als vier Wochen warten müssen, bis sie einen Termin beim Facharzt haben. Bekommen sie den nicht, können sie sich an die Kassenärztliche Vereinigung wenden, die dann für den rechtzeitigen Termin sorgen soll.

Klappt auch das nicht, können die Patienten direkt in eine Klinik gehen.

Dr. Thomas Krichenbauer lacht mehrmals, als er über diese Pläne spricht, "die Phantasie der Politiker" nennt er sie. Es ist ein verzweifeltes Lachen, denn lustig ist die Situation für Ärzte und Patienten schon jetzt nicht - auch ohne die Neuregelung. Die Vier-Wochen-Vorschrift werde die Lage verschärfen.


Fünf-Minuten-Diagnosen sind nicht machbar


Sechs bis acht Wochen müssen Patienten warten, bis sie in der neurologischen und psychiatrischen Gemeinschaftspraxis, die Thomas Krichenbauer in Kitzingen mit fünf Kollegen betreibt, einen Termin bekommen. Dabei geht es nicht um Notfälle. Ruft ein Hausarzt in der Praxis an und macht deutlich, dass es sich um einen Notfall handelt, könne der Patient noch am selben Tag kommen, er wird zwischen die vorhandenen Termine eingeschoben. Die allgemeine Wartezeit auf vier Wochen zu verkürzen, hält der Facharzt dagegen nicht für möglich. Da müsse er eine Fünf-Minuten-Diagnose machen, das sei bei Neurologen und Psychiatern nicht machbar. 20 Minuten minimum sind für jeden Patienten eingeplant. Diese Zeit könne man nicht einfach halbieren und dafür doppelt so viele Patienten abfertigen.

Die Terminvergabe sei ein ständiges Thema in der Praxis, erzählt Krichenbauer. Diese Aufgabe dürfen nur fertig ausgebildete Helferinnen übernehmen, die nochmal extra geschult werden. Schließlich müssen sie mitentscheiden, wie schlimm die Situation des Patienten ist, ob es zu verantworten ist, eine längere Wartezeit einzuhalten - oder ob es sich nicht eben doch um einen Notfall handelt.


Die Nachfrage wächst


Gerade die Bedeutung von Neurologen, Kardiologen, Rheumatologen und Augenärzten ist laut Krichenbauer in den letzten Jahren und Jahrzehnten gestiegen. Die Menschen würden immer älter, damit wachse die Nachfrage in diesen Bereichen. Es müssen immer mehr Menschen behandelt werden. Auch die Fortschritte in der Medizin, die für die Patienten ja positiv sind, kosten Zeit. "Früher war bei der Diagnose MS nichts zu machen", nennt Krichenbauer ein Beispiel. Die heutige Therapie bringe den Patienten eine Menge, koste aber eben auch Manpower. Diese Leistungen müssten von den Ärzten erbracht werden, man könne sie nicht an Helferinnen delegieren.
Krichenbauer könnte noch zwei Ärzte aufnehmen, um die Situation in der Praxis zu entschärfen. Darf er aber nicht, denn laut Kassenärztlicher Vereinigung gibt es in Kitzingen schon genug Ärzte dieser Fachrichtung. "Kitzingen ist nach München angeblich das am stärksten überversorgte Gebiet in ganz Bayern", sagt Krichenbauer über die Fachrichtung Neurologie. Nicht beachtet werde dabei, dass viele Patienten auch von auswärts in die Praxis kämen.

Fachärzte sind auf die Hausärzte angewiesen. Sowohl, um die Situation des Patienten im Vorfeld des Termins zu beurteilen, als auch für die Nachsorge, zum Beispiel bei Schlaganfall-Patienten. "Als Facharzt kann ich nur im Verbund arbeiten", sagt Krichenbauer. Dr. Edgar Gramlich ist so ein Hausarzt, hat seit 1987 eine Praxis in Albertshofen. Auch für ihn und die anderen Hausarzt-Kollegen hat die Belastung zugenommen. Mehrere Allgemein- und Fachärzte haben in den letzten Jahren ihre Praxen aufgegeben, Nachfolger wurden nicht gefunden. "Einsle, Kroiß, Wörner, Hopfner", zählt Krichenbauer auf, dazu den Augenarzt Rostkron. Statt drei gibt es in Kitzingen nur noch zwei Augenarztpraxen - dass da jetzt länger auf einen Termin gewartet werden müsse, sei logisch.

Die Entwicklung setzt sich fort: Ein weiterer Hausarzt will demnächst aufhören, ein anderer ist schon 70 Jahre alt und praktiziere immer noch. "Er macht für seine Patienten weiter." Denn schon nach der Schließung der letzten Praxis in Kitzingen hat sich gezeigt, dass die anderen nicht einspringen können. "Die Hausärzte in der Innenstadt haben einen Aufnahmestopp", sagt Gramlich. Auch der 61-Jährige und seine Kollegin in Albertshofen merken, dass sie immer mehr beansprucht werden. "Der Großteil der Ärzte arbeitet am Limit", sagt er. Die Situation auf dem Papier der Kassenärztlichen Vereinigung sieht anders aus: Kitzingen sei mit 2,3 Hausärzten überversorgt, heißt es da.


"Die Hausärzte überweisen schneller"


Dass es keine Überversorgung, sondern eher eine Überlastung der Hausärzte gibt, merken auch die Fachärzte, berichtet Neurologe Krichenbauer. "Die Hausärzte überweisen schneller", sagt er. Und es kommen mehr Leute direkt zum Facharzt, ohne vorher den Allgemeinarzt konsultiert zu haben. "Da kommen viele Fehlläufer, die den Laden verstopfen." Krichenbauer fürchtet, dass bei der jetzt angestrebten Regelung deren Zahl noch zunimmt, und ist überzeugt, dass dann "die wirklich kranken Menschen im Rauschen untergehen".

Von der Lösung, dass die Patienten direkt in die Kliniken gehen, halten Gramlich und Krichenbauer nichts. Auch dort gebe es Probleme, Ausbildungsstellen zu besetzen, auch die dortigen Kollegen seien ausgelastet. Erst am Mittwoch wurde beim Deutschen Krankenhaustag eine Studie veröffentlicht, wonach 51 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland Verlust machen. Nach Ansicht von Experten ist mehr als jede vierte Klinik von der Pleite bedroht. "Wie soll das alles gehen, wenn jedes dritte Krankenhaus geschlossen wird?", fragt Gramlich deshalb.

Die beiden Vorsitzenden des Gesundheitsnetzes sind sich einig, dass es nur ein Ziel geben kann: "Wir brauchen mehr Ärzte, vor allem Hausärzte." Doch die zu finden, ist alles andere als einfach. Es müsse an mehreren Stellschrauben gedreht werden, sagt Edgar Gramlich. Da ist nicht nur die Hürde der Note 1,1, um zum Medizinstudium in Würzburg zugelassen zu werden. Anschließend dauert es Jahre, bis sich ein Arzt niederlassen kann. Und die Anforderungen an den medizinischen Standard, aber auch die Patientenrechte sind gestiegen. Ständig neue Vorschriften und ausufernde Bürokratie fressen den vorhandenen Ärzten die Zeit und schrecken neue ab. 50 Formulare habe ein Hausarzt derzeit immer parat, nennt Gramlich als Beispiel. Es gebe sogar einen Antrag auf Reha-Antrag, ergänzt Facharzt Krichenbauer. "Es ist ein Aberwitz". Er weigere sich, solche Vorschriften umzusetzen: "Ich bin in der Zeit lieber für meine Patienten da."