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"Acht"-geben auf die Neun


Autor: Tom Müller

Kitzingen, Freitag, 21. Juni 2013

Wie lange lernen unsere Gymnasiasten in Zukunft? Die Freien Wähler wollen erreichen, dass sie selbst zwischen G8 und G9 wählen können. Aktuelle Abiturienten wissen, wie sie sich entscheiden würden.
Neun Finger für das G9. Leander Treutlein und Ullrich Jany machen nächstes Jahr ihr Abitur - im G8. Sie würden aber für das G9 stimmen und fordern mehr Klasse statt Masse im Lehrplan des Gymnasiums. Fotos: Tom Müller


Mit der Bildung ist es etwa so wie mit Kalorien, sollte man meinen. Wo viel reinkommt, müsste demnach auch viel ansetzen. Und weil heutige Gymnasiasten sowieso viel aufnahmefähiger als ihre Vorgänger sind, geht noch mehr Stoff in sehr viel schnellerer Zeit ins Hirn als früher. "So ist es leider nicht", betont Robert Scheller, Rektor des Egbert-Gymnasiums in Münsterschwarzach. "Es wird nur mehr Momentan-Wissen angehäuft. Dieses so angefressene Wissen wird später schnell wieder ausgespuckt. Verdaut wird davon nur sehr wenig".
Sätze wie diese haben dazu geführt, das "G8" - die Abiturprüfung nach der 12. und nicht mehr wie früher nach der 13. Klasse - bereits nach kurzer Laufzeit wieder in die Schusslinie der Bildungspolitik zu zerren.

Die Freien Wähler sind es, die dem Protest eine politische Stimme geben und nach dem erfolgreichen Volksbegehren gegen die Studiengebühren nun eines für die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 auf den Weg bringen wollen.
"Wir brauchen 25 000 Unterschriften", sagt Dr. Susanne Knof, Geschäftsführerin im Kreisverband Kitzingen, Mitglied im unterfränkischen Bezirksvorstand und aktuell auch Landtagskandidatin der Freien Wähler. Die Mutter zweier Gymnasiasten zweifelt nicht daran, dass die Partei diese Hürde mit links nimmt. Zu groß ist die Fraktion aus Lehrern, Eltern und Schülern, die das G8 ablehnt. Ganz abschaffen wollen aber selbst die Freien Wähler das G8 nicht. "Wer schnell zum Abi kommen will, soll das weiterhin auch in acht Jahren schaffen können", sagt Knof. Sie plädiert dafür, dass die gesamte Schule sich in Zukunft zwischen einer der beiden Formen entscheidet oder zwei verschiedene G-Zweige zur Wahl stellt.

Schule soll fördern

Ersteres mache Sinn, den zweiten Vorschlag lehnt Schulleiter Scheller eher ab. "Das ermöglicht dann schon wieder einen Besser-Schlechter-Vergleich", sagt er und meint damit, dass die, die ein Jahr schneller zum Abi kommen, als die Überflieger gelten, den anderen, die sich mehr Zeit dafür lassen, aber das Image der Langschläfer anhaften könnte. Darum aber könne es bei der Bildung nicht gehen, schimpft der 60-Jährige, der schon manche Schulreform kommen und gehen gesehen hat: "Die Schule soll fördern und nicht nur fordern". Persönlichkeiten soll sie formen. "Das tut sie aber gerade in der Form des G8 nur sehr begrenzt", sagt Dr. Knof. "Beim G8 fehlt ein Jahr der Reifezeit. Das trifft vor allem die Jungs". Die bräuchten nach Ansicht der Medizinerin länger, um aus der Pubertät zu kommen.
Frühere Generationen gingen nach der Schule noch zur Bundeswehr. Auch das gibt es heute nur noch selten. "Viele von uns sind 16 oder 17, wenn sie das Abi in der Tasche haben", sagt Nicole von der Tann. Sie hat die letzte mündliche Prüfung absolviert und verkauft gerade Karten für den Abi-Ball. Nach der Schule will sie erst mal ein Jahr Pause machen und ins Ausland gehen. "Mehr als 70 Prozent unserer Schüler machen das so", sagt Scheller. "Denen reicht es erst einmal mit dem Büffeln. Das so gewonnene Jahr wird nicht sofort wieder ins Studium investiert", wie die Bildungspolitiker einst hofften.

Mehrheit für G9

"Wenn wir könnten, würden wir das G9 wählen", sagt Ullrich Jany, der jetzt in der "Q11" ist und nächstes Jahr in die Abiturprüfungen geht. Medizin will er danach studieren. Er weiß, wie viel Einsatz dafür nötig ist, wie viele Opfer er bringen muss. "Ich habe im Verein Basketball und Tennis gespielt", sagt er. "Beides habe ich aufgegeben". Wie er, so vermisst auch sein Kollege Leander Treutlein, "dass wir ständig mit dem Stoff weitermachen müssen. Diskussionen oder kritische Auseinandersetzungen mit den Lerninhalten, all das bleibt auf der Strecke". Genau dieser Qualitäten aber rühmte sich das Gymnasium früher immer.
Nun ist Bildung immer so gut, wie die Bildungspolitik es zulässt. Die soll sich jetzt bessern und statt von einigen wenigen Entscheidungsträgern nun von einer breiten Mehrheit getragen werden. "Die Bevölkerung wurde damals nicht mitgenommen", sagt Dr. Susanne Knof und kritisiert die überhastete Einführung des G8. "Mit dem Volksbegehren wird das jetzt der Fall sein." Die Plakate dafür hat sie gerade ausgepackt. Der Bildungspolitik steht ein heißer Sommer bevor.



Kommentar von Tom Müller

Apfelernte in Frankreich

Früher machten zwei Äpfel und noch mal zwei Äpfel nach Adam Riese vier Äpfel. Dann war man sich dieser Weisheit plötzlich nicht mehr so sicher. Mathe-Ideologen entdeckten Teil- und Schnittmengen diverser Apfelstücke... dafür kannten sie Adam Riese nicht mehr. Eltern und Schüler rätselten gemeinsam über die neue "Mengenlehre". Dass in diesen Apfelstücken der Wurm drin war, entdeckten Bildungspolitiker einige Jahre später und verwarfen die ach so tolle Erkenntnis. Da war das Kind für eine ganze Schülergeneration aber schon in den Brunnen gefallen.
Mit dem G8 ist es ähnlich. Schneller, höher, weiter sollte es unsere Schüler bringen. Für viele ein Alptraum. Wieder wurde eine Generation einem bildungspolitischen Schachzug geopfert.
Jetzt rächt sich diese Generation und verhält sich ganz anders als die Bildungsstrategen geplant hatten. Man geht nach dem Abi nicht gleich an die Unis, die sowieso überfüllt sind. Stattdessen gehen viele erst mal ins Ausland. Dafür holen wir ausländische Fachkräfte nach Deutschland. Schüler-Austausch nach der Schule. Spanier arbeiten bei uns, Deutsche helfen dafür in Frankreich bei der Apfel-Ernte mit. Gut so. Zwei Äpfel und zwei Äpfel geben in Frankreich nämlich Cidre oder Calvados. Cidre? Was das ist? Dafür war im Lehrplan des G8 kein Platz mehr? Was soll's: Die besten Dinge lehrt das Leben selbst.