Seilerin: Viel mehr als Tauziehen
Autor: Matthias Litzlfelder
Berg, Donnerstag, 28. März 2019
Michelle Kolbinger lernt Seilerin. Der Beruf ist äußerst selten. Aber wer sich in Franken dafür interessiert, hat zwei Vorteile: Deutschlands einzige Berufsschule hierfür und den Hidden-Champion-Betrieb Liros - beides ganz nah.
Die meisten ihrer Freundinnen, die sie in einem solchen Moment fragend anblicken, machen Verwaltungsarbeiten im Büro.
"Ich bin Seilerin." Michelle Kolbinger ist diese Blicke gewohnt, wenn sie über ihre Ausbildung spricht. Und auch ein wenig stolz. Die 17-Jährige aus dem Landkreis Hof hatte nach dem qualifizierenden Mittelschulabschluss auf einer Ausbildungsmesse die ihr bis dahin unbekannte Firma Liros kennengelernt. "Ich fand es sehr spannend, wollte mir das näher anschauen und habe ein Praktikum gemacht", berichtet sie.
Seit 1854
Inzwischen ist sie im zweiten Lehrjahr - und arbeitet an etwas, was deutschlandweit nur wenige tun: Seile unterschiedlicher Stärke fertigen, auf die sich deren Nutzer verlassen können. Ihr Arbeitsplatz liegt nicht weit von der A9-Ausfahrt Berg/Bad Steben, in einer Firma, die seit 1854 besteht und 170 Mitarbeiter beschäftigt.
Wer gegenüber Wassersportlern den Namen Liros erwähnt, stößt auf anerkennendes Kopfnicken. Kein Wunder. Zumindest in Europa ist Liros in diesem Segment klarer Marktführer. Geliefert wird aber weltweit, bis nach Australien oder in die Karibik. Die Olympiasieger bei den Seglern fahren alle mit dem Tauwerk aus oberfränkischer Produktion. Gleichwohl hört in Franken der Bekanntheitsgrad von Liros schon hinter Hof auf. Aber das familiengeführte Traditionsunternehmen hat erfolgreich eine Nische gefunden - und mehrere Standbeine. Das Geschäft umfasst nicht nur Seile für Yachten. "Nahezu in jedem Gleitschirm weltweit sind wir vertreten", sagt Sven Rosenberger, der geschäftsführende Gesellschafter. Zur Sicherung in der Baumpflege werden Liros-Seile ebenso verwendet wie in Sonnenrollos oder Cabrioverdecken. Auch in Rasenmähern oder auf Theaterbühnen sind sie zu finden.
Nur in Münchberg
Für den theoretischen Teil ihrer Ausbildung muss Michelle Kolbinger nicht weit fahren. Im nahe gelegenen Münchberg treffen sich alle Seiler-Azubis Deutschlands. Zehn sind es aktuell im zweiten Lehrjahr. Sie ist das einzige Mädchen. Im Betrieb ist das nicht anders. Die anderen acht Azubi-Kollegen bei Liros im ersten, zweiten und dritten Lehrjahr sind Jungs. "Wir haben aber schon mehrere Mädchen ausgebildet", wirft Kevin Killmann ein. Der 30-Jährige hat vor knapp 14 Jahren seine Ausbildung bei Liros begonnen. Inzwischen ist er Seilermeister und selbst Ausbilder.
Liros biete jedes Jahr Ausbildungsplätze. Für den nächsten Ausbildungsstart im Herbst habe er heuer noch vergleichsweise wenige Bewerbungen, berichtet Killmann. Doch nicht nur am Anfang seien die Chancen hoch. "Eine Anstellung danach ist sehr wahrscheinlich. In den nächsten Jahren gehen viele Kollegen in den Ruhestand."
Hornhaut und Blasen
Wer die teils dicken Taue bearbeitet, braucht Kraft in den Händen - und bekommt sie auch mit der Zeit. "Ich merke, dass ich im Vergleich zum Ausbildungsbeginn ganz anders zupacken kann", sagt Kolbinger. Wehleidig sollte man nicht sein. "Man bekommt Hornhaut an den Fingern und am Anfang auch Blasen", erzählt die Auszubildende. "Da helfen Creme und Handschuhe. Und dann funktioniert das wieder", sagt Ausbilder Killmann. Er lässt allerdings nicht unerwähnt, dass die Azubis im Rahmen der Ausbildung auch an Drahtseilen arbeiten müssen. Nicht bei Liros, denn dort werden nur Kunststoffseile gefertigt, aber überbetrieblich in München. "Und da tut man sich auch als Mann schwer."