Vor sechs Wochen hat der Lichtenberger Manuel S. gestanden, Peggys Leiche im Mai 2001 im Wald vergraben zu haben. Das Mädchen sei bereits tot gewesen, als er es von einem anderen Mann im Bushäuschen übernommen hat. Wer der gewesen sein soll, hat die Polizei bisher nicht verraten. So geht es wieder von vorne los: das Misstrauen, die Spekulationen und Gerüchte. Manch einer verdächtigt jetzt wieder Ulvi K. Norbert Rank schlägt mit der flachen Hand auf den Holztisch in der Ulvi-Kneipe: "Lachhaft! Das Bushäusle ist nicht gebaut, um Leichen zu verstecken. " An der rostbraunen Außenwand des Bushäuschens hängt ein blauer Briefkasten. "Soko Peggy" steht darauf. Gedacht ist er für Hinweise von Zeugen. Der Briefkasten ist leer.
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Zehn Meter vom Bushäuschen entfernt sitzt der Rentner Ludwig Landeck auf einer Holzbank vor seinem Haus. "Ich bin echter Lichtenberger." Er hat viel erlebt in seiner Heimatstadt. Mit Peggy habe das alles nichts zu tun. "Ich will nicht immer nur über Peggy reden."
Auch für Norbert Rank war der Fall erledigt. Aber jetzt ist alles wieder da. Dass Manuel S. die Leiche vergraben hat, habe er der Polizei schon damals gesagt. "Ich weiß das seit 17 Jahren. Das habe ich auf dem Fußballplatz gehört, vier Monate nach Peggys Verschwinden." Drei Mann sollen Schmiere gestanden haben - Rank ist überzeugt, dass er einen von ihnen am 9. Mai als Anhalter mitgenommen hat. "Der war mit den Nerven am Ende." Gudrun Rödel und er sind sich sicher, dass Peggy nicht auf dem Nachhauseweg von der Schule verschwand. Sondern später. Sie haben ihre eigenen Theorien. Ihr Vertrauen in die Polizei haben sie verloren.
Der Fall Peggy hat die Stadt gespalten
Es gibt Lichtenberger, die Ulvi immer für den Mörder hielten. Und es gibt Lichtenberger, die Ulvi immer für das Opfer einer Verschwörung hielten. "Diese Frage hat unsere Stadt gespalten", sagt Bürgermeister Knüppel. Die Schuld dafür gibt er auch der Polizei: "Es wurde schlampig ermittelt. Man hatte ständig das Gefühl, es werde etwas vertuscht." "Ihr seid doch auch nur wegen der Peggy da." Um einen warmen Empfang bemüht sich die Chefin im Burghotel erst gar nicht. Aber ihr Kuchen ist lecker, der Kaffee heiß und kräftig. Etwas fehlt. "Keine Gäste, nein." Im leeren Saal mit den holzvertäfelten Wänden kann man der Zeit beim Vergehen zuhören. "Tak, tak" schlägt die Uhr. "Sterben werde ich in Lichtenberg nicht", sagt die Chefin. Man kann mitten im Ort dem Wind zuhören und dem Laub, das er durch die Lüfte wirbelt. Früher gab es eine Metzgerei und eine Bäckerei, Bankfilialen, eine Post. Übrig geblieben ist die Bäckerei. Sie verkauft nicht mehr nur Brot, sondern auch Nudeln, Sauerkraut und Wurst. "Wer etwas Frisches will, muss nach Bad Steben", sagt Verkäuferin Annette Wolfrum.
Einst boomte der Tourismus
Mit frischem Kaffee dienen kann Annette Wolfrum nicht. Das lohne sich nicht für die Bäckerei. "Es kommen zu wenig Auswärtige." Früher war das anders. Vor dem Fall der Mauer machten Westberliner hier Urlaub. "Damals war Lichtenberg der erste Punkt der Freiheit. Wir sind überrollt worden", sagt die ehemalige Bürgermeisterin Elke Beyer. Das Feriendorf am Rande der Stadt ist ein Relikt der goldenen Jahre.
"Uns geht es so wie vielen fränkischen Kommunen", sagt Bürgermeister Knüppel. Erst verschwanden die Jobs, dann die Menschen. Viele Lichtenberger sind weggezogen, andere gestorben. Gekommen sind 46 Flüchtlinge. Sie kommen aus Äthiopien und anderswo her, und von dem toten Mädchen haben sie noch nie gehört. "Peggy? Wer?" Kadir Zenu Husen geht spazieren, seit einem Jahr lebt er mit Frau und Tochter in Lichtenberg. Er hat im Bauhof helfen dürfen, das sei aber vorbei. Ihm gefällt der Ort nicht. "Keine Arbeit hier. Drei Kilometer zum Supermarkt. Und zu viele Bäume."
Grün sind die Bäume, die Lichtenberg umschließen. Grün die Hoffnung. Grün die Aufkleber, die Bäume und Hoffnung zusammenbringen: "Ja zur Brücke". Mit 720 Metern soll die Hängebrücke über das Höllental die längste freigespannte Fußgängerbrücke der Welt werden. Ihr Bau soll 2020 beginnen und zwei Jahre dauern. "Der Tourismus ist unsere Zukunft", sagt Knüppel.
Lieber möchten sie über etwas anderes sprechen
Bürgermeister von Lichtenberg ist Holger Knüppel seit vier Jahren. Der gelernte Förster hat mit Manuel S. im Wald gearbeitet: "Ein zurückhaltender Typ." Knüppel sieht traurig aus. Lieber als über Manuel S. spricht er über die Gemeindefinanzen und den Zusammenhalt im Ort. Besonders gern spricht Knüppel über die Zudeldatschen.
Auf Ursel Czebriks rotem Sofa liegt ein halbes Dutzend Zudeldatschen. Eine alte Handwerkstechnik macht die Hüttenschuhe besonders flauschig. Etwa 30 Stunden ehrenamtlicher Arbeit stecken in einem Paar. Der Bürgerverein verkauft sie bis nach Brasilien. Er finanziert vieles, was sich die Stadt selbst nicht leisten kann. Das Dach des Schlossbergturms wurde gedeckt, die Fassade des Rathauses gestrichen. Um Lichtenberger wie Ursel Czebrik geht es Elke Beyer, wenn sie sagt: "Peggy wird immer Teil unserer Geschichte sein. Aber Peggy ist nicht die einzige Geschichte." Beyer will eine neue Chance für ihren Ort. Vielleicht ist die Brücke diese Chance. Lange hat Beyer geglaubt, dass Peggy noch lebt. "Das war bequem für uns." Aber die Ungewissheit nagte trotzdem auch an ihr. "Ob nicht doch jemand unter uns ein Verbrechen begangen hat." Sie hofft, dass der Fall endlich aufgeklärt wird. Und der Schatten verschwindet. "Es ist egal, was rauskommt. Wir alle müssen uns fragen: Wie gehen wir danach miteinander um?"
Als Peggy verschwand, kam die Angst nach Lichtenberg
Wer Peggy kannte, trägt seine Erinnerungen mit sich herum. "Am Badesee hat sie mich angesprochen", sagt Norbert Rank. Irgendwie anzüglich - so kam es ihm vor. Er hat sich seinen Reim darauf gemacht: "Ich glaube, dass mit der Peggy Geld gemacht worden ist." Beweise dafür hat er nicht.
Peggy war ein Jahr jünger als die Tochter von Elke Beyer. "Ich sehe sie heute noch vor mir. Ihr Gesicht, ihr Lächeln - aber nicht die strahlend blauen Augen von denen in der Presse immer die Rede ist." Einmal stand Peggy am Gartenzaun von Holger Knüppel. Sie kannte seine Tochter aus der Schule. "Das ist meine letzte Erinnerung an sie." Zwei Tage später war Peggy verschwunden.
Als Peggy verschwand, kam die Angst nach Lichtenberg. "Meine Tochter ist weniger frei aufgewachsen, als ich mir gewünscht hätte", sagte Knüppel. Vor einiger Zeit hat sich die junge Frau, um die er so viel Angst hatte, in Lichtenberg ein Grundstück gekauft. "Sie sieht hier ihre Zukunft." Aus Holger Knüppel spricht ein stolzer Vater. Aus ihm spricht der Bürgermeister einer Stadt, die nach vorne schauen möchte.
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