Wirtshaussterben: Viele Kneipen hängen am letzten Tropf
Autor: Ralf Kestel
Ebern, Freitag, 22. November 2013
Wanderer stehen vor verschlossenen Türen, der Mittagstisch wird gestrichen: Die Gastronomie beklagt Umsatzverluste, weil sich der Lebensstil gewandelt hat. Und im Landkreis Haßberge stehen Traditionshäuser leer, Betriebe mit älteren Wirten auf der Kippe.
Mit seinen 77 Jahren ist Heinz Gall aus Ebern nicht der älteste Wirt im Landkreis. Ernst Morgenroth, der gerade in Neubrunn Kirchweih feiert, beispielsweise zählt schon 81 Lenze. Aber beide haben ähnliche Probleme: Es fehlen die Nachfolger. "Wenn mir oder meiner Frau heute oder morgen etwas passiert, ist von einem Tag auf den anderen geschlossen", umschreibt Gall den Ernst der Lage. Das Wirtshaussterben - vor wenigen Tagen erst bei einer Tourismustagung in Nürnberg beklagt - hat im Kreis längst begonnen. Renommierte Häuser, wie die Rose (Mildenberger) in Pfarrweisach, das Gasthaus Hofmann in Altenstein, der Burggasthof in Lichtenstein oder der "Weiße Bock" in Breitbrunn haben in den vergangenen Monaten geschlossen.
Weitere werden folgen, ist sich Michael Bayer, der Kreisvorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes sicher. In Wirtenkreisen kursieren Dorfnamen wie Fabrikschleichach, Altershausen oder Dörflis.
Bald weniger Mittasgtisch?
Selbst in Städten wie Ebern wird es schon schwierig, zur Mittagszeit eine Einkehrmöglichkeit zur finden. Bayer, der selbst ein gut gehendes Lokal in Theinheim führt, kennt die Überlegungen etlicher Kollegen, keinen Mittagstisch mehr anzubieten. Und zeigt Verständnis: "Das ist ein Teufelskreis, machst du auf, musst du die ganze Maschinerie hochfahren und für den entsprechenden Vorrat sorgen. An einem Tag kommen drei Leute, am nächsten 30."
So geht es auch Heinz Gall in seinem Gasthof "Zur Post", den er in dritter Generation führt, da der Großvater anno 1904 vom Oberkellner, der fünf Fremdsprachen fließend beherrschte, zum Firmen-Chef aufstieg. "Mal haben wir zwei Essen am Mittag, mal 18."
Am Abend sieht es nicht viel besser aus: "Die Jugend ist eine ganz andere, die setzt sich nicht mehr bei einem Bier zusammen", hat Gall beobachtet. Ein Phänomen, das auch Jürgen Stahl aus Ebern, Zweiter Vorsitzender des Gaststättenverbandes, aus seinen Frankenstuben kennt: "Die Welt hat ist gewaltig geändert TV, Internet, Handy tragen dazu bei, dass sich die Leute nicht mehr im Dorfwirtshaus sich treffen."
So sieht es auch sein Vorsitzender Bayer: "Da vollzieht sich ein kultureller Wandel. Die Stammtische werden immer weniger. Die Leute haben ganz andere Interessen und Freizeitangebote. Da gibt dermaßen eine Vielfalt, dass sie eben nicht mehr jeden Tag ins Wirtshaus gehen."
Kosten und Kunden laufen davon
Die Kosten für Energie, Vorrat und Personal lassen sich laut Jürgen Stahl mit ein paar Bierchen am Abend gar nicht mehr verdienen. Und: "Bis die Jungen heutzutage am Wochenende weggehen, sind die meisten schon müd'", schimpft Heinz Gall.
Es gibt weitere Probleme. Heinz Gall erinnert daran, dass "früher die Wirten sämtliche Vereinsfeste ausgerichtet haben." Jetzt läuft es eher umgekehrt: "Die Wirtschaften sind leer, wenn die Vereine außen herum im Sommer ihre Feste machen." Selbst Kommunionfeiern, einstmals schon Jahre im Voraus gebucht, würden immer mehr in Vereinsheimen oder vom Partyservice ausgerichtet.
Hinzu komme ein Flut an Vorschriften. Mancher wirft das Handtuch, weil die Auflagen zu scharf werden. Heinz Gall: "Wir haben 2010 mit dem Schlachten im eigenen Haus aufgehört, weil sich die geforderten Investition einfach nicht mehr rechnen."
Probleme bei Betriebsübergabe
Eine Tatsache, die auch die Betriebsübergabe erschwert. "Die Jungen wollen oft das Risiko nicht eingehen", weiß Michael Bayer.
Es gibt aber auch Gegenbeispiele, "Dorfwirtshäuser mit guten Konzepten, die sich richtig gemausert haben und auch wirtschaftlichen Erfolg haben", findet Kollege Jürgen Stahl.
Dazu zählt zweifelsohne "Der wilde Kaiser" in Kirchlauter. Vor gut einem Jahr haben Uli und Gabriel "Jack" Kaiser das leer stehende (Gast-)Haus von einer Brauerei gekauft und in mühevoller Arbeit und mit viel Eigenleistung hergerichtet. "Da kamen Helfer, die sich einfach angeboten haben, weil sie diese Wirtschaft einfach wieder geöffnet sehen wollten und deswegen zwei Stunden lang den Dreck rausgefahren haben", blickt "Jack" Kaiser, der im Hauptberuf als CNC-Dreher bei FTE in Ebern arbeitet, zurück.
Entscheidung nie bereuth
Dieser (Schutt-)Berg ist genommen. Der Betrieb läuft - und zwar gut. Von Dienstag bis Samstag ab 14.30 Uhr, sonntags ab 10.30 Uhr.
"Wir haben die Entscheidung zum Kauf nie bereut, es macht einfach Spaß", freut sich Uli Kaiser, die vorher den Fränkischen Tag ausgetragen und regelmäßig im VfR-Sportheim gekocht hat. Die Mutter zweier erwachsener Kinder: "Die Kirchweih beispielsweise war stressig, aber super." Damit meint sie sicher auch den Blick in die Kasse. "Wir haben ganz gut reingesteckt und es wird noch ein paar Jahre dauern, bis da etwas rauskommt", umschreibt "Jack" Kaiser die Investition.
Und die Planungen gehen weiter: Der Saal mit einer Kapazität bis zu 100 Gästen soll nutzbar gemacht und barrierefrei erreichbar werden. Küche und Personal sind gerüstet: "Bei uns gibt es jeden Tag ab 14.30 Uhr ein warmes Essen". Die Familie sowie zwei Köchinnen im Wechsel stehen sonntags und bei angemeldeten Gesellschaften bereit.
"Mehr Platz brauchen wir auf jeden Fall", lehrt die Erfahrung der vergangenen Wochen. Und in noch einem Punkt unterscheidet sich der "wilde Kaiser" von anderen Dorfwirtshäusern, was Uli Kaiser mit einem Paradoxon beschreibt: "Der Stammtisch wird immer frei gehalten, weil den ham mer ständig voll."