Druckartikel: Wer schlug das Opfer zu Boden?

Wer schlug das Opfer zu Boden?


Autor: Helmut Will

Haßfurt, Mittwoch, 17. Januar 2018

Zwei Gruppen "prallten" am Amtsgericht Haßfurt aufeinander: Die eine stützte die Angaben des 21-jährigen Angeklagten, die anderen die Angaben des Opfers.


Eine Gruppe lügt. Darin waren sich nach der Beweisaufnahme das Gericht und die Staatsanwältin einig. Was war wirklich passiert?
Wie die Anklagevertreterin vortrug, kam es im Juli 2017 in einer Ortschaft nahe Haßfurt zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Die Staatsanwältin warf dem Angeklagten aus dem Landkreis, der mit Rechtsanwalt Andrè Kamphausen als Verteidiger erschienen war, vor, dem Geschädigten ohne Grund einen Faustschlag versetzt zu haben, so dass dieser beim daraus resultierenden Sturz Platzwunden und Prellungen erlitt.
Der Angeklagte selbst gab sich unschuldig. Zwei oder drei Bier hätte er an diesem Abend getrunken und wäre auf der Straße von hinten von dem Geschädigten in den Rücken gestoßen worden. "Der war danach noch aggressiv und ging auf einen anderen los, von dem er einen Faustschlag erhalten hat", sagte der Soldat, der auch den seiner Meinung nach tatsächlichen Täter mit Namen benannte. Dieser war, da bisher von ihm nichts bekannt war, nicht zur Verhandlung geladen.


"Ich bekam eine gepatscht"

"Jetzt kommen Sie damit. Warum haben sie das nicht schon bei der Polizei in ihrer Vernehmung angegeben? Dann hätten wir uns diese Verhandlung eventuell sparen können", sagte Richter Martin Kober.
"Ja, es war ein Fehler, dass ich nicht gleich mit offenen Karten spielte, aber ich wollte den anderen, den ich kannte, schützen", sagte der Angeklagte.
Der Geschädigte, ein 20-jähriger Auszubildender aus dem Landkreis, schilderte den Vorfall anders. Er habe den Angeklagten aus Versehen "gestreift", worauf er von ihm gegen ein Auto geschubst und danach mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden sei. "Ich bekam von ihm eine gepatscht", sagte der 20-Jährige. Danach sei er umgefallen und wohl auch kurz bewusstlos gewesen. Eine Platzwunde an der Lippe und eine Prellung an Kopf und Knie hätten ihm zwei bis drei Wochen Probleme bereitet, berichtete der Geschädigte.
Er kenne den Angeklagten nicht und er wisse nicht genau, wer ihn schlug, sagte der Geschädigte auf Vorhalt des Richters. Er selbst hätte "zwei Bier oder so", getrunken gehabt.
Ein 19-Jähriger aus dem Landkreis, der relativ unsicher wirkte, als er den Gerichtssaal betrat, gab an, dass er den Geschädigten erst gesehen habe, als dieser am Boden lag. "Er blutete. Einen Schlag gegen ihn habe ich nicht gesehen", sagte der Zeuge. Weiter könne er sich eigentlich nicht mehr erinnern.
Das wollte das Gericht nicht so stehenlassen und hielt ihm vor, dass er bei seiner Vernehmung im August bei der Polizei detaillierte Angaben gemacht hätte. "Damals haben Sie gesagt, dass der Angeklagte ausgerastet sei, den Geschädigten gegen ein Auto gestoßen und ins Gesicht geschlagen habe. Wie war es nun wirklich?", fragte Richter Martin Kober.
Unsicherheit stand dem Zeugen ins Gesicht geschrieben. Das nahm die Staatsanwältin zum Anlass, ihn aufzufordern, sich zu konzentrieren und die Wahrheit zu sagen. "Ihre Aussage und der Vorfall sind noch nicht so lange her, und für mich ist es unglaubwürdig, dass Sie heute nichts mehr wissen wollen. Haben Sie vor jemandem Angst?"
Das bestätigte der Zeuge per Kopfnicken. Im Gespräch mit "Kumpels" sei zur Sprache gekommen, dass er mit dem Angeklagten Stress bekommen werde, wenn er ihn belaste. Der Angeklagte selbst habe ihm nicht gedroht, sagte der Zeuge auf Vorhalt der Staatsanwältin.
Nun bestätigte der Zeuge auch vor Gericht die bei der Polizei gemachten Angaben hinsichtlich des Tatherganges: "Es war definitiv der Angeklagte, der den Geschädigten schlug", sagte nun der 19-Jährige.


Angeklagter bleibt bei Aussage

Ein 22-Jähriger aus dem Landkreis bestätigte ebenfalls die Angaben des Geschädigten. Er habe die Auseinandersetzung von der anderen Straßenseite aus beobachtet und gesehen, wie der Angeklagte den Geschädigten gegen ein Auto schubste und ihn dann mit der Faust ins Gesicht schlug. "Der fiel um und war auch einige Zeit bewusstlos", sagte der Zeuge. Einen Dritten, der als Täter vom Angeklagten ins Gespräch gebracht wurde, kenne er nicht. Den Angeklagten selbst habe er schon gekannt, und dieser habe nicht versucht, ihn in seiner Aussage zu beeinflussen, sagte der 22-Jährige.
Die Staatsanwältin warf hier ein, ob der Angeklagte seine Angaben noch aufrecht erhalte. Darauf hin bat sein Verteidiger um eine Unterbrechung der Sitzung, um mit seinem Mandanten darüber zu sprechen. Nach kurzer Besprechung unter vier Augen teilte der Anwalt mit, dass sein Mandant bei seiner Aussage bleibe. Er beantragte, die vom Angeklagten als Täter benannte Person zu laden.
Zunächst marschierte aber Zeuge Nummer vier auf, ein 18-Jähriger aus dem Landkreis. Er sagte für den Angeklagten aus, indem er angab, dass dieser vom Geschädigten von hinten angerempelt worden sei. Der Angeklagte habe daraufhin nichts gemacht, nur gefragt, was das solle. Der Geschädigte habe aber Drohgebärden gegen seinen "Kumpel" eingenommen, worauf dieser ihn gegen ein Auto geschubst habe. Von einem Faustschlag habe er nichts gesehen.
"Ihre Aussage deckt sich haargenau mit der des Angeklagten", bemerkte die Staatsanwältin, die wohl eine Absprache vermutete. Sie wies darauf hin, dass die bisherigen Zeugen die Sachlage anders dargestellt hätten.
Trotz eindringlicher Ermahnung, die Wahrheit zu sagen, und einem Hinweis auf die Folgen einer Falschaussage blieb der Zeuge bei seinen Angaben ("Ich bin mir hundertprozentig sicher"), was die Staatsanwältin wörtlich protokollieren ließ.
Zeuge Nummer fünf, ein 18-jähriger Auszubildender und Bruder des vorher vernommen Zeugen, bestätigte ebenfalls die Aussagen des Angeklagten und seines Bruders. "Ich habe 100-, ja 1000-prozentig gesehen, wie der Geschädigte geschlagen wurde, aber nicht von dem Angeklagten", sagte dieser Zeuge. Er konnte auch den Namen des "Täters" nennen, der schon vom Angeklagten benannt worden war. Auch dieser Zeuge blieb trotz eindringlicher Anmahnung der Wahrheitspflicht bei seiner Aussage, die ebenfalls wörtlich protokolliert wurde.


Zeugen angeblich beeinflusst

Ein 23-Jähriger aus einem Haßberge-Ort will ebenfalls gesehen haben, dass nicht der Angeklagte Täter war, sondern ein anderer, den auch er mit Namen kannte. Auf Vorhalt erklärte dieser Zeuge, dass er vorher mit niemandem über die heutige Aussage gesprochen hätte. "Ich sage die Wahrheit. Ich war sieben oder acht Meter vom Geschehen entfernt und habe alles gesehen."
Zwei weitere 18-jährige Zeugen konnten zum direkten Tathergang keine Angaben machen, da sie nicht dabei waren. Sie hätten irgendwann nach dem Vorfall, es soll am Main gewesen sein, mit angehört, wie Zeugen dahingehend beeinflusst wurden, nicht gegen den Angeklagten auszusagen. Nähere Angaben hierzu konnten oder wollten sie nicht machen.
Da Verteidiger Andrè Kamphausen beantragt hatte, den vom Angeklagten benannten "Täter" zu hören, wurde die Verhandlung ausgesetzt. Sie wird am 5. Februar fortgesetzt.