Wenn auf die OP das Leiden folgt

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Chirurgen operieren in einer Klinik einen Patienten, im Vordergrund liegt Operationsbesteck. Symbolfoto: Jens Ressing/dpa
Chirurgen operieren in einer Klinik einen Patienten, im Vordergrund liegt Operationsbesteck.  Symbolfoto: Jens Ressing/dpa
Symbolbild Foto: Helmut Will
Symbolbild  Foto: Helmut Will
 
Bettina Lesch-Lasaridis
Bettina Lesch-Lasaridis
 
Peter Lesch
Peter Lesch
 

Betroffene in der Gruppe können ein Lied davon singen: Die Selbsthilfegruppe "Menschen mit chronischem Schmerz" in Ebern befasste sich mit den Folgen von Behandlungsfehlern und hatten dazu Juristen eingeladen.

Die Selbsthilfegruppe "Menschen mit chronischem Schmerz" hatte am Donnerstag zu einer Informationsveranstaltung in das Kaffee des Seniorenzentrums "St. Elisabeth" in Ebern eingeladen. Referenten waren die Rechtsanwälte Peter Lesch und Bettina Lesch-Lasaridis, die sich den Themen "Arzthaftungsrecht" und "Rundum Sorglos-Paket" widmeten.

Langes Martyrium

Wie der Fragestellung und der Diskussion in der Gruppe unter Leitung von Waltraud Schneider zu entnehmen war, befanden sich unter den 19 Zuhörern einige, die mit Behandlungen wohl nicht die besten Erfahrungen gemacht haben. Im Vorfeld der Veranstaltung äußerte sich im Gespräch mit dieser Zeitung ein Mann, der sich sicher ist, Opfer von Behandlungsfehlern geworden zu sein. "Im Juni 1998 ging mein Martyrium los", sagte ein Senior unter vier Augen.
Zu Angaben war er nur bereit, weil ihm versichert wurde, dass sein Name, Krankenhäuser, in denen er behandelt wurde und auch Namen von Ärzten ,die mit ihm befasst waren, nicht genannt werden.
"Zum einen möchte ich, dass ich nicht bekannt werde, zum anderen befürchte ich, dass ich sonst künftig von Ärzten krumm angesehen werde", begründete der Mann seine Bedenken. Das Problem des älteren Herrn ist auch eher ein Tabuthema. Deshalb fiel es nicht leicht, darüber zu sprechen. Bei ihm war eine Erektile Dysfunktion (Potenzstörung) festgestellt worden. "Mein Hausarzt schickte mich deshalb zu einem Urologen von dem mir geraten wurde, mich operieren zu lassen", sagte der heutige Rentner.

Deshalb habe er ein Krankenhaus in Oberfranken aufgesucht und der dort für dieses Leiden zuständige Professor habe nach einer kurzen Untersuchung zu einer Operation geraten. "Das ist ein kleiner Eingriff und nach zwei bis drei Tagen können sie das Krankenhaus wieder verlassen, machte mir der Facharzt in der Klinik Mut", sagte der Se-nior. Nach einigen Tagen Bedenkzeit und nach Rücksprache mit seiner Frau hatte sich der Mann entschlossen, den Eingriff vornehmen zu lassen.

Probleme nach der OP

"So richtig ging mein Leiden aber erst nach dieser Operation los", sagte der Mann mit Tränen in den Augen: "Ich war davon ausgegangen, dass ich von dem mich untersuchenden Professor operiert werde, musste dann aber erfahren, dass mich ein ganz junger Arzt operiert hat." Wahnsinnige Schmerzen habe er nachher gehabt, konnte länger kein Wasser lassen, hatte Stauungen im Schwellkörper. Der Oberarzt der betreffenden Abteilung im Krankenhaus habe auch bei einer ersten Visite nach der Operation "nur den Kopf geschüttelt", erinnert sich der Rentner.

Sein Hausarzt sei, nachdem er vom Krankenhaus entlassen war und er sich bei diesem vorstellte, über die Operationsmethode und das völlig unbefriedigende Ergebnis "schier ausgeflippt." "Was haben die da denn für einen Murks gemacht", habe er verärgert ausgerufen. Auch sein Urologe fand für die OP kein gutes Wort. "Dieser wollte mich für eine zweite Operation, die aufgrund der Verpfuschten notwendig war, in eine anderes Krankenhaus schicken", sagt der Rentner. Letztlich habe er sich nach Rücksprache mit dem Chefarzt der Erstklinik entschlossen, sich dort erneut auf dem OP-Tisch zu legen. Das Ergebnis sei allerdings wieder nicht zufriedenstellend gewesen. "Damit meine ich nicht in etwa eine Erektion, sondern wieder die enormen Schmerzen.

Krank entlassen

Von dem Krankenhaus bin ich nach etwa zehn Tagen krank entlassen worden", ist sich der Mann sicher. Er meint im Nachhinein, dass er vor den Operationen auch nicht "so richtig über die Risiken aufgeklärt wurde." Sobald sich fortan eine Erektion eingestellt habe, ging dies einher mit "wahnsinnigen Schmerzen", an Geschlechtsverkehr war nicht zu denken. "Diese Operationen wurden verpfuscht", ist sich der Rentner sicher. Selbst nach einer dritten Operation und einem zehntägigen Aufenthalt in einer Uniklinik trat keine Besserung ein. Zur Schmerzbehandlung und der Hoffnung auf Besserung, wurde nochmals ein Krankenhausaufenthalt von vier Wochen notwendig, berichtete der Senior.

Sein Urologe habe ihm schließlich geraten, das Krankenhaus, in dem die ersten beiden OPs durchgeführt wurden, zu verklagen und bei der Staatsanwaltschaft Anzeige zu erstatten. Er habe sich einen Rechtsanwalt genommen und mit diesem zunächst mit dem Chef der Abteilung gesprochen, wo die Operationen durchgeführt wurden. "Das war für die Katz, der Professor wies jede Schuld oder einen Operations- oder Behandlungsfehler von sich."

Mehrere Gutachten

Verschiedene Gutachter wurden beauftragt, wobei jede Untersuchung mit enormen Qualen einher gegangen sei. "In einem Fall hat mir der untersuchende Gutachter bestätigt, dass bei der OP etwas schief gelaufen sein muss. Allerdings wurde das anschließend schriftlich nicht so dargelegt. Später habe ich erfahren, dass er Chef des untersuchenden Gutachters, der auch mit unterschrieben hat, da wohl anderer Meinung war." Der Senior sagt den bekannten Ausspruch: "Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus."

Gutachten sind für die Entscheidung eines Gerichts wichtig. "Was bei solchen Gutachten rauskommt, wo niemand einen Behandlungsfehler bestätigt, kann man sich ja denken", sagt der Mann. Seine Klagen wurden sowohl in erster- als auch in zweiter Instanz abgewiesen. Einen Vergleich, den man ihm angeboten hatte, lehnte der Mann ab. "Ich wollte, dass ich wieder hergestellt werde, was nützen mir da ein paar tausend Euro?", sagte er. Der Rentner sagt verbittert: "Die ganzen Jahre hatte ich den Eindruck, dass alle Ärzte gegen mich und die Gutachter für ihre Kollegen arbeiteten."

In all den Jahren habe er sich Fachliteratur zu seinem Problem besorgt und viel darin studiert. "Ich meine dadurch erkannt zu haben, dass bei mir vieles falsch gemacht wurde." Bestätigt wurde er hierin durch seinen Hausarzt und seinen Urologen. Deren Meinungen hatten gegenüber den Gutachtern aber kein Gewicht, ist sich der Rentner sicher. Ständige Nachbehandlungen waren und sind noch nötig, um die Schmerzen zu lindern, sagte er. "Damit werde ich wohl leben müssen. Drei OPs, vier Krankenhausaufenthalte und bestimmt um die 50 schmerzhafte Untersuchungen musste ich über mich ergehen lassen. Mein Problem konnte nicht beseitigt werden, Schmerzen bleiben, eine Entschädigung oder Schmerzensgeld gab es nicht", fasste der Mann verbittert zusammen.

Haftungsprozesse nehmen zu

Der Vortrag von Rechtsanwältin Bettina Lesch-Lasaridis brachte etwas Licht in die Sache. "Arzthaftungsprozesse nehmen zu", sagte sie, was sie an einer besseren Aufklärung von Patienten festmachte. Diese würden auch Unterstützung von Krankenkassen erhalten. Eine einheitliche Statistik über Behandlungsfehler gebe es nicht. Ihren Worten zufolge gibt es bundesweit pro Jahr etwa 40 000 Vorwürfe wegen Behandlungsfehlern, 12 000 würden nachgewiesen. "Behandlungsfehler ist jeder Verstoß gegen ärztliche Pflichten", sagte die Anwältin.

Das beginne damit, wenn vor einer Operation keine umfassende Anamnese oder keine richtige Aufklärung und Erläuterung der Risiken erfolge. Die Anwältin machte auch klar, dass nicht jeder Behandlungsfehler automatisch zu Schadenersatzansprüchen führe. Ein Anspruch bestehe nur dann, wenn ein Behandlungsfehler nachgewiesen ist, eine damit einhergehende Gesundheitsbeeinträchtigung vorliege, die zu einem Schaden führe. "Die Kausalität zwischen diesen Punkten muss vorhanden sein", so Bettina Lesch-Lasaridis. Sie verwies darauf, dass für eine zivilrechtliche Auseinandersetzung ein "langer Atem" erforderlich sei.

Klein beigegeben

Das bestätigte eine betroffene Zuhörerin. "Ich habe geklagt, drei Gutachter waren damit befasst, zwei sprachen sich für einen Behandlungsfehler aus, einer dagegen, und nach dessen Gutachten richtete sich das Gericht", sagte die Frau mit verbitterter Stimme. Schließlich konnte sie die lange Auseinandersetzung mit Versicherungen und Gericht nicht mehr verkraften. "Ich habe mich geschlagen gegeben, um meine Ruhe zu haben."

"Darauf", so der Einwand eines Besuchers, "spekulieren die Versicherungen." Die Durchführung eines Zivilprozesses scheitere auch häufig am Geld. "Es ist schwierig, wenn man da nicht eine entsprechende Versicherung hat", so die Anwältin. Habe man den Verdacht auf einen Behandlungsfehler, sollten ab diesem Zeitpunkt Beweise gesichert und das eigene Leiden mit allen damit einhergehenden Nebenerscheinungen dokumentiert werden. "Die Verjährungszeit beträgt in solchen Fällen drei Jahre", so die Anwältin.

Rechtsanwalt Peter Lesch befasste sich in seinem Vortrag mit dem sogenannten "Rundum-Sorglos-Paket. Er gab Tipps und Anregungen für die Erstellung einer Vorsorgevollmacht als wichtiges Element des Selbstbestimmungsrechtes alternder Menschen. Mit einer Betreuungsverfügung könne im Fall der Fälle die vormundschaftliche Betreuungsanordnung eingeschränkt oder überflüssig werden. Unter Patientenverfügung verstehe man allgemein die in gesunden Zeiten schriftlich niedergelegte Erklärung, sich in bestimmten Fällen lebensverlängernden Intensivmaßnahmen zu verweigern. Die Abfassung sollte im Zusammenwirken mit dem Hausarzt erfolgen, riet der Jurist. In jedem Fall sollten für die Verfügungen absolute Vertrauenspersonen bestimmt werden, die den erklärten eigenen Willen der verfügenden Personen auch durchsetzen.