Unterirdische Zustände herrschen am Haßfurter Bahnhof: unzumutbar

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Der Haßfurter Bahnhof ist seit Jahrzehnten ein Ärgernis: Die Unterführung ist eklig und barrierefrei schon gar nicht.Niklas Schmitt
Der Haßfurter Bahnhof ist seit Jahrzehnten ein Ärgernis: Die Unterführung ist eklig und barrierefrei schon gar nicht.Niklas Schmitt
Die Unterführung: eine stinkende Zumutung
Die Unterführung: eine stinkende Zumutung
 
Die Bahnsteige sind für Behinderte ein unerwindbares Hindernis.
Die Bahnsteige sind für Behinderte ein unerwindbares Hindernis.
 
 

Der Haßfurter Bahnhof ist noch immer nicht annähernd barrierefrei. Eine Statusmeldung.

Will man von Haßfurt nach Schweinfurt mit dem Zug fahren, braucht man 13 Minuten und muss 6,80 Euro zahlen. Außer man hat eine Behinderung, muss einen Kinderwagen mitnehmen oder ist auf einen Rollator angewiesen - kann also nicht ohne fremde Hilfe Treppensteigen. Dann dauert die Fahrt 50 Minuten und kostet 20,84 Euro. Ein unzumutbarer Zustand, wie viele Bahnkunden finden. Auf einen Berichtüber die Barrierefreiheit der regionalen Bahnhöfe (der Haßfurter Bahnhof war nicht berücksichtigt), meldeten sie sich online. Knapp 15 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage bewerteten den Bahnhof als "gar nicht barrierefrei" - ein vernichtendes Urteil. Damit kritisierten den Zustand des Haßfurter Bahnhofs in der Onlineumfrage so viele Stimmen wie bei keinem anderen in der Region.

Vor Ort ist es nicht schwer, kritische Stimmen zu sammeln. Dass von einer Barrierefreiheit keine Rede sein kann, fanden am Dienstag alle Befragten. "Alleine geht es nicht", meint ein Bahnkunde zur Situation der körperlich Beeinträchtigten, "da muss man mithelfen." Denn ein Mitarbeiter der Bahn, der helfen könnte, ist an dieser Station dafür nicht vorgesehen.

Behinderte im Zug

Die freundliche Mitarbeiterin am Haßfurter Service-Point erklärt die traurigen Möglichkeiten: Wer nach Schweinfurt will, muss in den Zug auf Gleis 2 einsteigen. Das ist allerdings nur nach zweimaligem Treppensteigen hinunter durch die Unterführung und auf der anderen Seite wieder hinauf, zu erreichen. Also bleibt dem beeinträchtigten Bahn-Kunden nichts anderes übrig, als auf Gleis 1 den Zug nach Bamberg zu nehmen, um dort barrierefrei in den Zug nach Schweinfurt umzusteigen.

"Hier passiert einfach nichts", sagt eine Anwohnerin, die den Bahnhof aus ihrer Kindheit kennt. Getan hat sich nichts. "Er ist einfach alt", fasst sie den Zustand lakonisch zusammen. Doch das ist nicht das einzige Problem. Der Geruch in der Unterführung ist sehr penetrant, sagt ein Bahnkunde: "Da unten urinieren die Leute, weil oben eine Toilette fehlt." Manchmal sehe man, dass der Durchgang mit Wasser durchgespritzt worden sei, ergänzt ein anderer. Er fragt sich, ob das Problem bei der Bahn wirklich bekannt ist und wenn, warum man dann nichts dagegen unternimmt. Der Geruch jedenfalls hält sich hartnäckig. Es riecht so, als ob der Urin seit Jahrzehnten im Untergrund versickert wäre.

Dafür, so informiert der "Stationssteckbrief Haßfurt" im Internet, hat der Bahnhof eine "dynamische Fahrgastinfo" und ist für den "Einsatz moderner Niederflurfahrzeuge" geeignet. Schön für all diejenigen, die sich mit moderner Technik auskennen. Für alte Menschen durchaus ein Problem.

Umsteigehilfe vor Ort oder nach Voranmeldung und ein Blindenleitsystem? Fehlanzeige. Die Situation bringt Michael Schulz auf die Palme. Bereits 2008 hat der kommunale Behindertenbeauftragte und Mitglied im Seniorenbeirat einen Antrag bei der Bahn eingereicht, die für den Ausbau zuständig ist. Passiert ist über die letzten zehn Jahre nichts.

Verkehrszentrum Haßfurt

Dabei, so Schulz, benutzen über 2000 Personen am Tag in der Kreisstadt den Bahnhof. Das ist Voraussetzung, um als Bahnhof zu gelten, der es würdig wäre, barrierefrei ausgebaut zu werden. Außerdem verweist er auf die Behinderten- und Seniorenheime in der Stadt. Heike Ehlert vom Alten- und Pflegeheim St. Bruno sagt zwar, "unsere Bewohner fahren relativ selten mit dem Zug", aber wenn es notwendig wäre, gäbe es ein Problem. Dann müsste man sich Hilfe selbst organisieren. Doch sie hat Hoffnung: "Eine Umgestaltung ist gottseidank geplant."

Die Umsetzung zieht sich hin. Nach jahrelangen Bemühungen der Stadt sah Bürgermeister Günther Werner (FW) im April endlich Licht am Ende des Tunnels und kündigte den Start der Baumaßnahmen durch die Deutsche Bahn für 2019 und eine Fertigstellung im darauffolgenden Jahr an. Im Oktober klingt es schon wieder anders. Erst 2020 soll mit dem umfassenden Umbau des Bahnhofs begonnen werden. Grund dafür ist eine "notwendige Streckensanierung zwischen Würzburg und Fürth sowie Treuchtlingen", wie Bürgermeister Günther Werner die Bahn zitiert.

Was für einen barrierefreien Bahnhof notwendig ist, steht immerhin schon fest. Auf Gleis 1, neben der Treppe zur Unterführung, und ebenfalls auf dem Bahnsteig zwischen den Gleisen 2 und 3 werden Aufzüge installiert. Dafür muss der Bahnsteig verbreitert werden, um ausreichend Platz für Rollstuhlfahrer darauf zu gewähren. Die Bahnsteige werden auf die Normhöhe von 70 Zentimetern angehoben, es werden Bodenindikatoren angebracht, um blinden Menschen eine Tast-Orientierung zu geben. Außerdem sollen der Busbahnhof erweitert und eine behindertengerechte Toilette gebaut werden. Die Deutsche Bahn und die Stadt Haßfurt wollen beide am Bahnhof Maßnahmen umsetzen.

Im Gesamtkonzept für eine barrierefreie Gemeinde, das im September 2017 vorgestellt wurde, klang die Stadt für ihren Teil der geplanten Verbesserungen noch optimistisch: "Maßnahmeschwerpunkte dieser Art mit Außenwirkung gelten als Leuchtturmprojekte und sind mit Vorrang zu bearbeiten." Allerdings obliegt der Umbau des Gebäudes, inklusive der Kosten, alleine der Bahn, sodass der Stadt die Hände gebunden sind. "Ich hätte es gerne schon längst verabschiedet", sagt Bürgermeister Werner und betont, dass die städtischen Planungen schon abgeschlossen seien. Denn erst, wenn der Bahnhof selbst barrierefrei gestaltet ist, kann die Stadt das Bahnhofsumfeld umbauen - schließlich soll der Übergang zwischen Bahn- und öffentlichem Raum ebenso kantenlos sein.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hängte jüngst den Anspruch für die Barrierefreiheit ziemlich hoch. "Dies ist ein christlicher, aber auch ein ethischer Anspruch, den unser Land hat." Online hat sich tatsächlich schon einiges getan. Mit der App "DB Barrierefrei" wirbt die Bahn: "Planen Sie Ihre barrierefreie Reise von der Haustür bis zum Ziel: Mit unserem Service für mobilitätseingeschränkte Reisende." Planen kann man seine Reise von Haßfurt aus schon mal. Die Frage ist, ab wann man sie auch barrierefrei antreten kann.