Umzug in ein neues Zeitalter
Autor: Johanna Eckert
LKR Haßberge, Freitag, 16. Januar 2015
Fast ein halbes Jahrhundert der Rummelsberger Dienste geht in Ditterswind zu Ende: Am Mittwoch haben 48 Schlossbewohner das Dorf mit all ihren Habseligkeiten verlassen. 20 weitere werden im Sommer nach Ebern ziehen.
"Verdammt groß ist dieser Einschnitt", meint Tina Reinwand. Sie spricht über den Auszug der mehrfach behinderten Menschen aus dem Schloss Ditterswind. Lange hatte er sich bereits angekündigt, doch trotzdem stand der Abschied, nicht nur für die Bewohner sondern auch für die Dorfbevölkerung, ganz plötzlich vor der Tür. "Wir ziehen erst im Sommer aus", sagt Tina Reinwand und macht sich auf den Weg zu ihren "Rentnern" ins Nebengebäude des Schlosses. Für Ludwig Geier, den sie an der Hand führt, ist alles ungewohnt. Viele Menschen fehlen.
Die rund 65 Mitarbeiter der Behinderteneinrichtung in Schloss Ditterswind mussten sich in den letzten Wochen nicht nur um die Bewohner selbst kümmern, sondern auch unzählige Kisten packen. Von Bastelsachen bis zu persönlichen Sammeleien musste alles verstaut werden.
Überstunden und Samstagsarbeit waren nicht ausgeschlossen. Sie machten sich Gedanken, wie das mit der Inklusion an den neuen Wohnorten funktionieren könnte und wussten ganz schnell: "Der große Park und die Natur werden uns fehlen."
Die Lichter ausgeknipst
Diakon Andreas Puchta, Mitarbeiter in der Verwaltung der Rummelsberger in der Region Haßberge, hat das Licht in seinem Büro in Ditterswind auch schon ausgeknipst. Von Ebelsbach aus verwaltet und betreut er nun die Wohnhäuser für behinderte Menschen in Hofheim, Ebelsbach, Zeil und auch in Ebern. Auf den Marktplatz und in die Sutte werden die Rummelsberger im Sommer ziehen. Mit Plakaten und Zetteln an den Wänden in ihrem Ditterswinder Wohnzimmer basteln die Bewohner bereits heute daran, wie ihr Leben in der Stadt aussehen könnte. "Wir bereiten den Umzug zusammen vor", meint Tina Reinwand.
Am Mittwoch sind die Umzugswägen im Schlosshof ein- und ausgefahren und haben die 48 Bewohner geholt. "Der Umzug der Menschen selbst", meint Dorothea Hau, die ab sofort in Zeil am Main arbeiten wird, "war sehr gut organisiert. Sie sind nicht alle auf einmal hier angekommen. Sondern immer zu viert."
Sie weiß, dass viele Bewohner geklammert haben und aus "ihrem" Schloss überhaupt nicht weg wollten. Wilhelm Wiedemann zum Beispiel. Der 80-Jährige war die Hälfte seines Lebens "Schlossherr" von Ditterswind. Jahrelang hat er im Dorf die Zeitung verteilt und sich richtig wohl gefühlt.
Jetzt liegt er auf der Couch im Gruppenzimmer im neuen Haus in Zeil am Main und ruht sich etwas aus. Der lichtdurchflutete Raum besticht noch durch Sterilität. Aber sein Zimmer findet Wiedemann sehr schön. "Was total toll ist, sind die bodentiefen Fenster", sind sich die Mitarbeiterinnen einig, "da kann man einfach was sehen. Vor allem jetzt, da noch die Bagger herumfahren und den Garten anlegen."
Ansonsten kramen die Leute in Umzugskisten herum und versuchen, Ordnung zu schaffen. Wie es ihnen dabei geht? Die Meinungen sind zwiegespalten.
"Immer chaotisch"
"Als wir am Mittwoch hier ankamen, war nichts da, außer ein paar Möbel", berichtet Dorothea Hau. Sie ist der Meinung: "Das hätte man etwas optimaler organisieren können." Aber sie nimmt es so hin, wie es ist, und macht das Beste daraus.
"Ich denke, ein Umzug ist immer chaotisch", ergänzt Diakon Andreas Puchta. Die Gefühle der Bewohner pendeln sich irgendwo zwischen Freude, Spannung und Traurigkeit ein: "Zu 80 Prozent nehmen es die Bewohner so hin, wie es ist. Ich glaube, dass sie das gar nicht so fassen und sich vorstellen können", meint eine Mitarbeiterin.
Mitunter waren es die Anforderungen des "Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes", die die Rummelsberger zum Wechsel zwangen. "Darin ist beispielsweise vorgeschrieben, dass es in jedem Zimmer eine Nasszelle geben muss", erklärt Andreas Puchta. Im Schloss gab es das nicht. Jetzt gibt es das, aber woanders. "Und die Infrastruktur in der Stadt ist einfach viel besser", findet Heilpädagoge Herrmann Hechenrieder, "wenn aus Ditterswind mal jemand wegwollte, musste immer ein Fahrdienst organisiert werden."
An den neuen Standorten gibt es Bahnhöfe, Hallenbäder und ein Kino. Und in Zeil so einige Berge: "Für uns Mitarbeiterinnen wird das mit den Rollstühlen ganz schön anstrengend", sagt Dorothea Hau mit einem Augenzwinkern.
50 jahre Schloss Ditterswind
Das "Kapitel" der Behindertenhilfe - speziell im Schloss Ditterswind, das im Jahre 1950 von den Rummelsbergern gekauft wurde - begann vor knapp 50 Jahren, als im Frühjahr 1967 das Kindergenesungsheim vor seiner Auflösung stand und man das Schloss seiner neuen Bestimmung als Behindertenheim zuführte. Treffend wurde damals in der Tagespresse der Wandel "Vom Kinderschloss zum Schloss der Barmherzigkeit" beschrieben.
Bevölkerung beteiligt sich
Der Kaufpreis vor genau 65 Jahren war auf rund 95 000 DM angesetzt. Die Bevölkerung steuerte 20 000 DM aus Spenden bei. Bereits 1980 sah sich der damalige Landrat Walter Keller genötigt, Rektor Neukamm an die Opfer und Investitionen der Ditterswinder und Maroldsweisacher zu erinnern. Dieses Schreiben war nötig geworden, weil die Rummelsberger Anstalten das Pflegeheim auflösen und die weit über 100 Pflegebedürftigen ins mittelfränkische Pappenheim verlegen wollten. Nach heftigen Protesten kam es zu einer grundlegenden Sanierung und Modernisierung, und man konnte wieder in dem renovierten Schloss Einzug halten.
Wandel in der Behindertenarbeit
Die Entwicklungen in der Behindertenarbeit, welche sich seit den 90-er Jahren immer deutlicher abzeichnen, gingen auch an Ditterswind nicht spurlos vorüber.
Das "Hauseltern-Prinzip", wie es unter Johannes und Elisabeth Hantke, Gerhard und Margarete Dreikorn sowie Otto und Gisela Friedrich gepflegt wurde, ging über in die neue Definition "Heimleiter" (Alfred Müller bzw. Jürgen Hofmann) und heißt heute Regionalleiter Unterfranken, ein Amt, das derzeit Diakon Günter Schubert bekleidet.
Beschützer wird Ermöglicher
Auch die Aufgaben der Mitarbeiter haben sich grundlegend geändert: Stand am Anfang die Verwahrung im Vordergrund, geht es heute um Unterstützung, Assistenz und Alltagsbegleitung für die Menschen mit Behinderung, "der Wandel vollzog sich vom Beschützer zum Ermöglicher", wie Diakon Schubert schreibt.
Auf jeden Fall gehen die Arbeitsplätze in Ditterswind unwiederbringlich verloren.
Schlossherr gesucht
Die Zukunft für das Schloss Ditterswind ist noch offen. "Es ist zu vermieten oder zu verkaufen", sagt Andreas Puchta auf Anfrage dieser Zeitung. Immer wieder mal gäbe es Anfragen, aber "noch nichts Fixes".
Die Rummelsberger werden die Nachnutzung des Schlosses jedoch nicht alleine entscheiden. "Es gibt einen Runden Tisch an dem viele beteiligt sind. Unter anderem auch regionale Politiker und die Kirchengemeinde. In dieser Runde werden die Angebote geprüft", so Andreas Puchta.
Denn Ditterswind ist ein kleines Dorf und da muss auch hineinpassen, was kommen soll. "Die Infrastruktur ist ja hier nicht so gegeben", ergänzt Puchta. Ein kleines Kurz- oder Fortbildungszentrum wäre seine Idee. Aber egal wie das Schloss weiterlebt: Es muss erst einmal saniert werden. je