Trabis kamen im Morgengrau'n, abends fielen Mauer und Zaun
Autor: Ralf Kestel
Ebern, Freitag, 07. November 2014
Am 9. November 1989 spielte Ebern für ein paar Stunden eine Hauptrolle auf der Weltbühne. Aber davon bekam nur Bundeswehr- und Rot-Kreuz-Helfer etwas mit: Sie kümmerten sich um DDR- Übersiedler, die in dieser Nacht den langen Umweg über die Tschechei auf sich genommen hatten.
Es ist ein Datum, das Weltgeschichte markiert: 9. November 1989. Ein Donnerstag. Der Tag, an dem die Mauer fiel. Stunden bevor das Umdenken in den Betonköpfen des DDR-Regimes bekannt gegeben wurde, streifte ein Hauch der Weltgeschichte vier Tage lang eine Klein- und Garnisonsstadt im Baunachgrund, da auf dem Höhepunkt der Ausreisewelle im November 1989 die DDR-Übersiedler von Deggendorf aus in die Erstaufnahmestation in der Eberner Balthasar-Neumann-Kaserne dirigiert worden waren. Der "Hauch der Weltgeschichte" stank nach einer Mischung aus verbranntem Benzin und Öl.
Am Abend brachen in Berlin und den Transitübergängen die Dämme, bereits am Vormittag hatten die Trabis das Eberner Stadtbild bestimmt, es in eine Trabi(a)ntenstadt verwandelt. Es knatterte in allen Straßen, vor allen Dingen vor dem Aldi-Markt in der Coburger Straße.
Die Ausreisewelle schwappte über Nacht über Ebern herein. Mit dabei auch eine junge Familie aus Heldburg. 30 Kilometer Fahrstrecke. Aber sie mussten den Weg über die Tschechei und Schirnding nehmen, um ins "gelobte Land" zu kommen und landeten dabei ausgerechnet beim "Klassenfeind" - in einer Bundeswehrkaserne. Einige Stunden später wäre die Ausreise über Drittländer für 213 Übersiedler kein Thema mehr gewesen
Inst-Truppe als Abschleppdienst
In der Balthasar-Neumann-Kaserne probten die Soldaten auf ungewohntem Terrain: Kinder- statt Kriegsspiel. Zusammen mit Rot-Kreuz-Helfern übten sie den Papierkrieg, wobei auch die FT-Redaktion half: Sie stellte ihr Faxgerät zur Verfügung, um die Familien-Zusammenführung über eine Rot-Kreuz-Informationszentrale bei Karlsruhe zu beschleunigen.
Und: der Bw-Instandsetzungstrupp hatte eine ganz neue Aufgabe: Reparatur von Zwei-Taktern. Einige, die auf der Anfahrt liegen geblieben waren, wurden abgeschleppt.
Ralph Kleinheinz aus Rentweinsdorf, damals Oberleutnant im Stab des Panzergrenadierbataillons 103, erinnert sich genau: "Das Bataillon befand sich auf einem Truppenübungsplatz und unser Kommandeur Hergen Koglin hatte mir befohlen, in der Kaserne zu bleiben, da wir einen Meldekopf für DDR-Siedler bilden sollten, weil deren Kommen am Tag zuvor per Fernschreiben angekündigt worden war." Und dann: "Mitten in der Nacht weckte mich der OvWa, weil es seltsame Geräusche aus Richtung Ebern nahen." Da kamen sie, die Trabis und Wartburgs.
Nach Zeitungen förmlich gerissen
Deren Insassen waren zunächst verängstigt, wie sich Kleinhenz erinnert, da bewaffnete Soldaten ihnen Hilfe anboten: Einem Regime entflohen, bei Soldaten gelandet: "Die hatten Sack und Pack eingeladen, und dazwischen saßen aufgeregte Kinder." Deren Sorgen wurden genommen. "In der Geng-Kantine richteten wir einen kleinen Kindergarten ein. Ein Supermarkt-Chef brachte frische Früchte. Die haben schnell gemerkt, dass das Militär auch ganz anders sein kann", so Kleinhenz. Die Übersieder hätten nicht gemeckert über Stockbetten, sondern waren froh über die erlangte Freiheit. "Und nach Zeitungen haben die sich förmlich gerissen."
Den ungewohnten Auftrag haben die Grenadiere gemeistert. Der Lohn: Jahre später wurde das Bataillon wegen des Zerfalls des Ostblocks aufgelöst. Nicht mehr gebraucht ...
Hatte Ebern den ersten Ansturm schon schon am Donnerstag erlebt, gab es am Wochenende kein Halten mehr. Über die Grenzübergänge Meiningen-Eußenhausen und Eisfeld-Rottenbach setzte sich eine Armada aus dem Heldburger Zipfel in Richtung Westen in Bewegung. "In Bad Königshofen gibt's keinen Aldi, deswegen sind wir gleich bis Ebern durchgefahren", erzählte ein Riether unserem Reporter.
Der Aldi-Parkplatz an der Coburger Straße war wie der Markt selbst ständig überfüllt. Von einem Lastwagen aus wurden auf dem Parkplatz Bananen und andere Südfrüchte verkauft.
Freudige Begrüßung
In Ermershausen und Maroldsweisach wurden am Wochenende Freuden- und Wiedersehensfeste organisiert und das Begrüßungsgeld ausbezahlt.
In Ebern zeigte sich die Verwaltung zurückhaltender, weswegen Bürgermeister Rolf Feulner am Sonntagmorgen von DDR-Besuchern im Privathaus aus seinem Bett geklingelt wurde. Über 50 000 Grenzübergänger wurden am ersten Wochenende in Eußenhausen gezählt, wie MdB Susanne Kastner im Kreistag berichtete.
In Bamberg öffnete der Honer-Markt in der Fußgängerzone ohne auf Feiertagsgesetz oder Öffnungszeiten zu merken. Es herrschte (Goldgräber-)Stimmung.
Die wurde auch an Tankstellen und in Autohäusern spürbar. Zum normalen Sprit musste die notwendige Ölmenge beigemischt werden. Die Gebrauchtwagen-Ausstellungen waren schnell leer geräumt. "Da kamen mehrere Kunden, die uns das Westgeld in Plastiktüten auf den Tisch warfen und dafür ein Auto wollten", erinnert sich Firmenchef Heinz Dietz. Einen innerdeutschen Zahlungsverkehr gab es ja nicht. Dietz weiter: "Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir schon Wohnmobile hatten und schickten unseren Senioren-Chef auf Einkaufstour, der bis an die holländische Grenze fuhr, um Gebrauchtwagendeals abzuschließen ." Dietz blieb auf keinem Modell sitzen.
Hatte Ebern den ersten Ansturm schon schon am Donnerstag erlebt, gab es am Wochenende kein Halten mehr. Über die Grenzübergänge Meiningen-Eußenhausen und Eisfeld-Rottenbach setzte sich eine Armada aus dem Heldburger Zipfel in Richtung Westen in Bewegung. "In Bad Königshofen gibt's keinen Aldi, deswegen sind wir gleich bis Ebern durchgefahren", erzählte ein Riether unserem Reporter.
Der Aldi-Parkplatz an der Coburger Straße war wie der Markt selbst ständig überfüllt. Von einem Lastwagen aus wurden auf dem Parkplatz Bananen und andere Südfrüchte verkauft.
Freudige Begrüßung
In Ermershausen und Maroldsweisach wurden am Wochenende Freuden- und Wiedersehensfeste organisiert und das Begrüßungsgeld ausbezahlt.
In Ebern zeigte sich die Verwaltung zurückhaltender, weswegen Bürgermeister Rolf Feulner am Sonntagmorgen von DDR-Besuchern im Privathaus aus seinem Bett geklingelt wurde. Über 50 000 Grenzübergänger wurden am ersten Wochenende in Eußenhausen gezählt, wie MdB Susanne Kastner im Kreistag berichtete.
In Bamberg öffnete der Honer-Markt in der Fußgängerzone ohne auf Feiertagsgesetz oder Öffnungszeiten zu merken. Es herrschte (Goldgräber-)Stimmung.
Die wurde auch an Tankstellen und in Autohäusern spürbar. Zum normalen Sprit musste die notwendige Ölmenge beigemischt werden. Die Gebrauchtwagen-Ausstellungen waren schnell leer geräumt. "Da kamen mehrere Kunden, die uns das Westgeld in Plastiktüten auf den Tisch warfen und dafür ein Auto wollten", erinnert sich Firmenchef Heinz Dietz. Einen innerdeutschen Zahlungsverkehr gab es ja nicht. Dietz weiter: "Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir schon Wohnmobile hatten und schickten unseren Senioren-Chef auf Einkaufstour, der bis an die holländische Grenze fuhr, um Gebrauchtwagendeals abzuschließen ." Dietz blieb auf keinem Modell sitzen.
Straßenbau im Eilzugtempo
"Ich frage mich heute noch, wie uns das gelungen ist? Gerade mal 74 Tage nach einer entsprechenden Resolution im Kreistag wurde die fertige Straße eingeweiht. Wir waren infiziert ...". So urteilt Rainer von Andrian-Werburg über geschichtliche Umwälzungen von Weltrang, die ihn auch in seinem Büro im Landratsamt in Haßfurt beschäftigt hatten.
Und auch der Chef des Amtsleiters, der damalige Landrat Walter Keller (CSU), kriegt nicht mehr zusammen, gegen wie viele Verwaltungsvorschriften er damals in den turbulenten Tagen der Wende verstoßen hat. Denn: Für den Fall des plötzlichen Mauerfalls gab es keine Ausführungsbestimmungen. "Wir haben die Straße auf DDR-Territorium einfach weitergebaut", plauderte Keller in vertrauter Runde über den einmaligen "Vorstoss" der Bagger, die ein fach weitertuckerten.
Die Abstimmung war auf unterster Ebene zwischen den beiden Nachbar-Landräten erfolgt, die im Sinne der Menschen vor Ort die Initiative für die überforderten höheren Verwaltungsebenen ergriffen hatten.
Unmittelbar nach der Ankündigung über die Reisefreiheit für alle DDR-Bürger am Abend des 9. November 1989 hatte sich Maroldsweisachs damaliger Bürgermeister Ottomar Welz (SPD), der die Kontakte "nach drüben" nie hatte abreißen lassen, dafür stark gemacht, die frühere Landstraße zwischen Allertshausen und Hellingen wieder herzustellen. Die 40-jährige Trennung sollte ein Ende haben. Dabei hatte die Natur die Trasse, die durch ein großes Waldgebiet führt, längst wieder in Besitz genommen. "Die alte Verbindung muss wiederhergestellt werden", war Welz' Credo. Von Andrian sieht es als Jurist im Rückblick es nüchterner: "Wir haben uns Bundesrecht angemaßt." Der Vertragsentwurf - siehe oben - barg staatsrechtlichen und haushaltsrechtlichen Sprengstoff, die Minen aber verschwanden ...
In den Folgewochen wurden auch die Kreisstraßen wieder gebaut (siehe Plan unten). Nunmehr müssen Men
schen aus Heldburg - wie die DDR-Übersiedler am 9. November - nicht mehr über Tschechien bis nach Ebern steuern. Einige der Neubürger, die am Vorabend der Grenzöffnung über Deggendorf nach Ebern kamen, blieben übrigens in der Region "hängen". In Rentweinsdorf und sogar in der Standortverwaltung der Bundeswehr. Im November kamen auch weitere DDR-Bürger in Ebern an, die Verwandtschaft hier hatten, oder Perspektiven sahen - etliche leben heute noch in der Stadt.
So ging's nach dem 9. November 1989 an der Grenze zwischen dem Kreis Haßberge und dem Heldburger Zipfel weiter