Portugals Straßenfußball gegen deutsches System
Autor: Norbert Felgenhauer
Sand am Main, Sonntag, 15. Juni 2014
Wenn am Montag die deutsche Nationalmannschaft gegen Portugal spielt, ist dies für Dinis Ribeiro ein ganz besonderes Spiel. Der portugiesische Stürmer des FC Sand, der in Gaustadt aufgewachsen ist und wohnt, fiebert dann mit Ronaldo und Co. mit.
Dinis Ribeiro hat in den nächsten Wochen mehr Zeit, die Fußball-WM in Brasilien zu verfolgen, als ihm lieb ist. Der Stürmer des Landesligisten FC Sand hat sich beim Trainingsauftakt einen Riss des vorderen Kreuzbands zugezogen. Es ist die erste schwere Verletzung des 25-Jährigen, "nicht einen Knochen habe ich mir bisher gebrochen, nicht einmal den kleinen Finger", sagt er. Dass ihn die Blesser und die damit verbundene Zwangspause wahrscheinlich bis zum Ende der Vorrunde schwer trifft, kann sich jeder vorstellen. Dennoch wird er sein linkes Knie am heutigen Montag wohl für zwei Stunden vergessen. Für Ribeiro sowie seine Freunde Jorge Ferreira und Sergio Dias steht schon am fünften Tag des Fußball-Festes in Südamerika ein absoluter Höhepunkt an, wenn "ihre" Portugiesen gegen Deutschland auflaufen.
Alle drei sind in Deutschland geboren, Kinder von portugiesischen Arbeitern, die in der ehemaligen Spinnerei in Gaustadt
Beim A. R. P. Gaustadt geht es hoch her
Es ist ruhig bei unserem Gespräch mit den dreien im schattigen Garten der Vereinsgaststätte des A. R. P. Gaustadt, was übersetzt in etwa für "Verein für portugiesische Freizeitgestaltung" steht, wie Ferreira erläutert. Aber es ist schon erkennbar, dass ungewöhnliche Ereignisse bevorstehen. Die deutsche und die portugiesische Flagge sind aufgezogen, eine große Leinwand für die Fernseh-Übertragungen gespannt - und spätestens heute Abend wird es mit der Ruhe vorbei sein. Dann werden die Bänke unter den alten Bäumen voll besetzt und kaum ein Stehplatz zu ergattern sein - "dann kommen auch die Hausfrauen, die sonst mit Fußball nichts am Hut haben, es ist eben WM", sagt Ribeiro lachend.
An die 1000 Leute, schätzt Dias, waren 2012 bei der Übertragung der Europameisterschafts-Begegnung zwischen den Deutschen und den Portugiesen auf dem Gelände, "überall standen die Leute". Denn für die Portugiesen ist Fußball mindestens ebenso wichtig wie für die Deutschen, "es ist klar die Sportart Nummer 1", weiß Ribeiro. "Jedes Cafe in Portugal hat einen Fernseher, und gesprochen wird dort nur über Fußball", ergänzt Ferreira. Das gilt in diesen Tagen umso mehr.
Die Südamerikaner gelten aus die Titelfavoriten
Was ist den Portugiesen zuzutrauen? "Alles ist möglich", sagt Ribeiro, der als Dreikäsehoch beim ASV Gaustadt mit dem Fußball angefangen hat und nach Stationen bei der DJK Gaustadt, 1. FC Bamberg, drei Jahren beim ASV in der Bezirksoberliga und FC Eintracht Bamberg nun im dritten Jahr beim FC Sand spielt und dort sehr zufrieden ist ("ein super Verein, da bleibe ich"). Allerdings: Titelfavorit sei Portugal nicht, da ist sich der Stürmer (elf Tore in der vergangenen Saison der Landesliga Nordwest) mit seinen beiden Freunden einig. Der WM-Titel werde wohl in Südamerika bleiben.
Ribeiro nennt Brasilien als seinen Titelanwärter Nummer 1, Ferreira sieht die Argentinier vorn. Und Deutschland? "Ist ein Mitfavorit", erklärt der Sander Angreifer. "Deutschland ist eine Turniermannschaft." Mit ein bisschen Glück könne auch das Team von Trainer Joachim Löw den Titel holen.
Gefährliche Gegner in der Gruppe
Dass Deutschland und Portugal die Vorrunde überstehen, hoffen die drei, "aber in der Gruppe sind alle gefährlich", warnt Ferreira. Ghana und die USA dürften jedenfalls nicht im Vorbeigehen zu bezwingen sein. Umso wichtiger ist für die beiden Gruppenfavoriten die Auftaktpartie. In technischer Hinsicht haben nach Ribeiros Meinung die Portugiesen Vorteile, "läuferisch und kämpferisch wird es eher eng", sagt er. Die portugiesischen Nationalspieler seien vor ihrer Herkunft her eher Straßenfußballer, wirft Dias ein, während die Deutschen seit vielen Jahren in den Nachwuchsprogrammen systematisch ausgebildet würden.
Portugal stelle derzeit vor allem eine sehr gefährliche Kontermannschaft. Den Prototyp des schnellen Stürmers schlechthin jedenfalls haben die Südeuropäer in ihren Reihen: Cristiano Ronaldo, den extrovertierten "Weltfußballer des Jahres". "Ronaldo ist natürlich sehr wichtig für die Mannschaft", sagt Ribeiro, "mindestens 50 Prozent". Ein Schlüsselspieler sei aber auch Ronaldos Mannschaftskamerad beim Champions-League-Sieger Real Madrid, Fabio Coentrão , erklärt Dias. Er habe sich in der abgelaufenen Saison enorm entwickelt.
Falls Portugal ausscheidet, wird für Deutschland gejubelt
Es kündigt sich also wieder einmal eine brisante Begegnung zwischen den Deutschen und den Portugiesen an, so wie bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren. Die Deutschen gewannen in der Vorrunde mit 1:0, beide Gegner erreichten anschließend das Halbfinale, schieden dann aber aus.
Und diesmal? "1:1", sagt Ribeiro auf die Frage nach seinem Tipp für die heutige Begegnung. Seine Landsleute sehen ihr Team vorne: Ferreira mit 3:2, Dias mit 2:1. In diesem Falle würden sie sich über eine Niederlage der Deutschen freuen. Aber eben nur in diesem, denn "wenn es gegen einen anderen Gegner geht, sind wir für Deutschland", sagt Ribeiro. Und falls Portugal ausscheidet, würden die drei bei aller Enttäuschung darüber im weiteren Turnierverlauf den Deutschen die Daumen drücken.