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Die Experten tippen auf die Italiener


Autor: Norbert Felgenhauer

, Samstag, 30. Juni 2012

Pirlo statt Özil, Balotelli statt Gomez, Buffon statt Neuer - wieder einmal hat die italienische Fußball-Nationalmannschaft der deutschen auf dem Weg zu einem Titel die Tür vor der Nase zugeschlagen. Enttäuscht darüber sind natürlich auch die zahlreichen Fußballfreunde im Kreis Haßberge.
Am Boden, und der Blick  geht ins Leere:  Holger Badstuber (rechts) und Mesut Özil  nach der Halbfinal-Niederlage in Warschau  am Donnerstagabend.


Statt sich auf ein großes Fußballfest am Sonntagabend einzustellen, müssen alle jetzt zusehen, wie sich die Italiener mit Spanien um die Europameisterschaft streiten. Was sind die Gründe für das Ausscheiden, und wie sehen die Fußball-Experten im Kreis dem Endspiel entgegen? Wir haben vier von ihnen befragt: Ludwig "Luggi" Müller aus Haßfurt, ehemaliger Nationalspieler, Johannes Fischer vom TV Ebern, zweimaliger Torschützenkönig der Bezirksliga Oberfranken West, Jochen Heurung, Sportvorstand des Bayernligisten FC Sand, und Bernhard Ruß, ehemaliger Fußballer, Bürgermeister von Sand sowie stellvertretender Landrat. Alle sind der Meinung, dass die Aufstellung der deutschen Mannschaft nicht optimal war, genauso wie die taktische Ausrichtung. Und alle tippen nun darauf, dass der Deutschland-Bezwinger auch den Europameister-Titel holt. Müller sagt ein 2:1 der Italiener voraus, genauso wie Fischer, der aber glaubt, dass Italien dazu eine Verlängerung braucht. Ruß und Heurung setzen auf das "italienischste aller Ergebnisse", ein 1:0.

Frage: Woran lag es, dass die deutsche Mannschaft den Sprung ins Finale nicht geschafft hat?
Johannes Fischer: An der Chancenverwertung in erster Linie. Zudem fand ich auch die Aufstellung sehr fragwürdig, Podolski und Kroos hatten in der Mannschaft meiner Meinung nach nichts verloren. Wir hätten so spielen sollen wie gegen Griechenland. Und dann natürlich die groben Schnitzer vor den Gegentoren, sowohl von Hummels wie auch von Lahm. Das darf einfach nicht passieren.
Jochen Heurung: Eindeutig die Aufstellung. Mit Reus ist der beste Mann draußen geblieben, Podolski auf links war schwach, und mit Kroos, der die ganze Zeit nicht gespielt hat, war ein zusätzlicher Mann in der Mitte, den wir nicht gebraucht haben. Dadurch hat sich auch die Spielweise geändert, und dadurch sind auch die Fehler in der Abwehr entstanden. Wenn man sich seine Stärken nimmt und alles umstellt, dann passiert
das eben. Schade drum, ich denke, wir haben trotzdem die beste Mannschaft gehabt.
Ludwig Müller: Meines Erachtens hat der Bundestrainer zu viel durcheinander gewirbelt. Es gibt ja nicht umsonst den alten Spruch: Ändere nie eine siegreiche Mannschaft. Persönlich habe ich das nicht verstanden, aber natürlich ist der Bundestrainer näher dran. Trotzdem kam aus meiner Sicht deshalb kein Spielfluss auf, weil zu viel gewechselt worden ist. Vielleicht hat man sich zu viel Gedanken gemacht und nach Italien gerichtet, anstatt die eigenen Stärken nach vorne zu bringen. Und wenn man zwei so grauenvolle Fehler macht, weiß man ja, dass bei Italien gute Leute stehen, die solche Chancen auch nutzen; im Gegensatz zu uns, denn wenn ich mich recht erinnere, hatten wir mehr Chancen.
Bernhard Ruß: Weil sie von ihrem Weg abgekommen ist und nicht auf ihre eigenen Stärken gesetzt hat, sondern sich am Gegner orientiert hat. Die rechte Seite haben wir hergeschenkt, Reus von Anfang an hätte da mehr bewirken können. Und Podolski auf links hat momentan einfach nicht seine Form. Aber mir hat das Spiel insgesamt sehr gut gefallen, und man darf die Mannschaft jetzt auch nicht verteufeln. Man muss die Niederlage akzeptieren, auch wenn mehr drin gewesen wäre.

In welchem Bereich sind die Italiener stärker als ihr Finalgegner Spanier, in welchem schwächer?
Johannes Fischer: Schwächer sind sie auf alle Fälle in der Schnelligkeit der Kombinationen und in der Passsicherheit. Aber die Italiener spielen zielstrebiger, während man bei Spanien den Eindruck hat, dass die den Ball ins Tor tragen wollen.
Jochen Heurung: Im Wesentlichen ist die Konsequenz die Stärke der Italiener, hinten wie vorne. Im Sturm machen sie ihre wenigen Chancen rein, in der Abwehr gehen sie im Strafraum sehr konsequent dazwischen. Die Spanier haben viele sehr gute Einzelspieler, wie Iniesta, da kann einer ein Spiel entscheiden. Mit Torres hätten sie auch einen guten Stürmer, aber den tun sie ja nicht rein.
Ludwig Müller: Spanien hat garantiert Vorteile in technischer Hinsicht. Es ist unbestritten, dass es keine Mannschaft gibt, die technisch so perfekt spielt. Ob das allerdings reicht, um das Endspiel zu gewinnen? Wenn Sie mich fragen, setze ich eher auf die Italiener. Die haben eine gute Mannschaft, sie wollen unbedingt gewinnen, sie zeigen Geschlossenheit, Willen und Kampfkraft.
Bernhard Ruß: Italien hat einen klasse Fußball gespielt und hat auch einen Plan. Ich wünsche es den Italienern, dass sie gewinnen. Im Sturm sind sie stärker, Balotelli und Cassano sind zwei Verrückte. Spanien hat vielleicht ein paar Techniker mehr, aber Torres hat nicht die Form wie vor vier Jahren, und ob man dann ganz ohne Stürmer spielen sollte? Ich weiß nicht.

Welchem Spieler trauen Sie im Finale eine entscheidende Rolle zu?
Johannes Fischer: Ich habe das Gefühl, dass sich Pirlo noch einmal hervortun wird. Möglicherweise durch einen genialen Pass, vielleicht auch durch ein eigenes Tor.
Jochen Heurung: Die Italiener haben ja zwei, von denen auch vor dem Spiel gegen uns immer wieder gesprochen wurde: Pirlo und Balotelli. Einer von beiden könnte der entscheidende Mann werden.
Ludwig Müller: Wenn man nach dem Spiel gegen Deutschland geht, müsste man natürlich Balotelli nennen. Aber wer weiß, im nächsten Spiel kann ein ganz anderer der entscheidende Mann sein. Da würde ich mich nicht festlegen, Italiens Stärke ist das ganze Team.
Bernhard Ruß: Einem Stürmer. Fußballspiele werden oft auf zwei Positionen entschieden: durch einen Torwart, der einen Ball hält, den andere nicht halten, oder einen Stürmer, der ein Tor macht, das andere eben nicht machen. Gute Pässe spielen können sie auf diesem Niveau fast alle.