Druckartikel: "Querulant" oder "Dorfsheriff"?

"Querulant" oder "Dorfsheriff"?


Autor: Manfred Wagner

Haßfurt, Donnerstag, 01. Oktober 2015

Wegen Verleumdung und Nötigung musste sich ein Rentner vor dem Amtsgericht in Haßfurt verantworten. Der 75-Jährige mit dem Ruf eines Dauer-Nörglers hatte einen Unfall provoziert und die Feuerwehr in Misskredit gebracht.


"Es kann und darf nicht sein, dass eine Gemeinde und die Feuerwehr so durch den Kakao gezogen wird", erklärte der Thereser Bürgermeister Matthias Schneider als Zeuge vor Gericht. Aufgrund öffentlich erhobener Betrugsvorwürfe in der Zeitung hatte der Thereser Gemeindechef (CSU) Strafanzeige wegen Verleumdung gegen einen Rentner (75) gestellt. Zusätzlich ging es um den Vorwurf der Nötigung. Nach rund fünfstündiger Marathonsitzung am Amtsgericht Haßfurt wurde der Senior zu einer noch nicht rechtskräftigen Geldstrafe von 80 Tagessätzen á 30 Euro verurteilt.


Großaufgebot an Zeugen

Im Gerichtssaal herrschte fast Ausnahmezustand, waren doch alle Zuhörerstühle aufgrund des übergroßen Interesses nummeriert. Kein Platz bleib leer. Sage und schreibe 22 Zeugen waren geladen, um die Vorgänge aufzuklären.
Unter ihnen befanden sich neben dem Bürgermeister die örtlichen Feuerwehrkommandanten, dazu zahlreiche Mitglieder der Feuerwehr, der Bauhofleiter, ein Sachgebietsleiter des Landratsamtes sowie ein Zeitungsredakteur.

Der starke Andrang erklärt sich offensichtlich damit, dass der Angeschuldigte "im Dorf bekannt ist", wie Schneider formulierte. Gegenüber unserem Reporter bezeichneten etliche Anwesende den Rentner als "Querulanten", der sich immer wieder wie ein "Dorfsheriff" aufspiele, alles Mögliche fotografiere und anzeige.
Relativ klar stellte sich die Sache mit der Nötigung dar. Der Vorfall datiert vom 29. September 2014 und spielte sich nahe bei einem Feuerwehrhaus in der Gemeinde Theres ab. An der Straße steht das Verkehrszeichen "Zufahrt freihalten". Damals fuhr nachmittags der Vorsitzende eines örtlichen Vereins mit seinem Auto vor, hielt an, stieg aus und ging hinter das Gebäude. Er wollte die Gerätschaften seines Vereins wegen eines vorherigen Sturmes wieder mit einer Plane abdecken. Bevor er zurück zu seinem Wagen ging, hielt er einen kleinen Plausch mit einem im Rollstuhl sitzenden 85-jährigen Bekannten.


Mit Auto die Wegfahrt blockiert

Diesen Vorgang beobachtete der Angeklagte. Er alarmierte die Polizei, weil er das Verhalten des Vereinsvorsitzenden für rechtswidrig hielt. Als der Rentner sah, dass der vermeintliche Verkehrssünder zu seinem Auto ging, um wegzufahren, nahm er das Recht in die eigene Hand. Er setzte sich flugs in seinen VW und blockierte mit seinem Fahrzeug das parkende Auto. Und so kam es, wie es kommen musste. Der Vorsitzende löste die Handbremse seines Hyundai, der Wagen rollte auf der abschüssigen Straße leicht zurück - und schon gab es einen dumpfen Schlag, wie ein Anwohner berichtete.

Kurz darauf kam die Polizei. Natürlich hätte der Hyundai-Fahrer zuerst in den Rückspiegel schauen müssen. Aber andererseits war der Angeklagte keinesfalls berechtigt, die beschriebene Blockadeaktion durchzuführen. Außerdem hatte der Vorsitzende des Vereins von den Verantwortlichen die Erlaubnis, an dieser Stelle zu halten. Der Vorwurf der Nötigung war damit erwiesen.

Schwieriger gestaltete sich die Aufklärung zum Verleumdungsvorwurf. Dieser stützt sich in erster Linie auf einen Artikel, der im Juli 2014 in einer Lokalzeitung erschienen war. Die Überschrift lautete "Ein Nachbar sieht rot". Der als Zeuge geladene Redakteur schilderte, wie es zu dem Zeitungsbericht kam.
Demnach hatte sich der Angeklagte telefonisch in der Redaktion gemeldet, woraufhin ein Termin in seiner Wohnung vereinbart wurde. Dabei habe der Rentner seine Anschuldigungen der Mauschelei und Manipulation gegen Feuerwehr und Gemeinde bekräftigt.


Manipulationen der Feuerwehr?

Konkret behauptete er, dass "bei fast allen Einsätzen" Leistungen abgerechnet wurden, die tatsächlich nicht erbracht worden seien. Rückblickend blieb offen, ob der Rentner damals in seinem Wohnzimmer tatsächlich von Betrug gesprochen hatte - seine Zustimmung zur Veröffentlichung des Betrugsvorwurfs in der Zeitung jedenfalls hatte er nicht gegeben.
Wie der Journalist weiter berichtete, wurde in den darauf folgenden Tagen die Sache weiter recherchiert. Er habe mit allen maßgeblich Beteiligten gesprochen und dann den Artikel verfasst, in dem die Standpunkte beider Seiten ausführlich dargelegt wurden.
Um zu klären, ob an den Manipulationsvorwürfen etwas dran ist oder nicht, wurden dann 16 Feuerwehrmänner vernommen. Dabei konnte weder ein Fehlverhalten noch ein Abrechnungsbetrug der Verwaltungsgemeinschaft (VG) festgestellt werden.
Ilker Özalp als Vertreter der Staatsanwaltschaft appellierte im Interesse des Rechtsfriedens an alle Beteiligten, sich künftig besonnen zu verhalten. Er plädierte in seinem Schlussvortrag auf eine Gesamtstrafe von 90 Tagessätzen á 30 Euro.
Der Verteidiger Alexander Wessel forderte für seinen Mandanten einen Freispruch und begründete dies unter anderem damit, dass es sich bei der fraglichen Verleumdung um eine Verwechslung zweier Feuerwehreinsätze gehandelt habe.
"Wer sich aus dem Fenster hängt, muss aufpassen, dass er nicht rausfällt" sagte die Strafrichterin Ilona Conver in ihrer Urteilsbegründung. Der Angeklagte habe ehrenrührige Behauptungen erhoben, deren Wahrheitsgehalt nicht erwiesen werden konnte, führte sie weiter aus. Dass dies in öffentlicher Form geschehen sei, verbessere die Sache nicht. Mit den Worten "Sie sind uneinsichtig und haben sich da verrannt", schloss sie die Verhandlung am Amtsgericht.