Netto-Handelskette gibt Ebern einen Korb
Autor: Eckehard Kiesewetter
Ebern, Dienstag, 18. August 2020
Die Discounter-Kette zieht ihre Pläne zurück, in Ebern eine Filiale zu eröffnen. Hintergrund sind offenbar strikte behördliche Auflagen. Damit erlischt die Hoffnung auf einen fußläufig erreichbaren Einkaufsmarkt für die Siedlungen im Süden der Stadt.
Nichts wird es aus der geplanten Ansiedlung eines neuen Netto-Marktes im Süden der Eberner Altstadt. Die Discounter-Kette hat ihre Pläne überraschend aufgegeben, wie die Stadtverwaltung dem Fränkischen Tag bestätigt. Neben der Araltankstelle am südlichen Ortseingang, dort, wo früher Reifen-Wagner angesiedelt war, hatte die Discounterkette ihre Filiale geplant. Aus Sicht der Stadt und ihrer Bürger war dies ein idealer Standort, weil die Lebensmittelmärkte - abgesehen von Edeka am früheren Bahnhof - allesamt im oder am Rande des Gewerbegebiets Sandhof angesiedelt sind.
Die Sicht der Bürger
"Zu Fuß geht man da vom Losberg oder vom Mannlehen aus nicht eben mal einkaufen", sagt ein Bewohner der Siedlung am Freibadberg. Er erledigt seine Einkäufe neuerdings mit dem E-Bike und ist zufrieden damit. Seine gehbehinderte Nachbarin in der Josef-Lichtenebert-Straße dagegen hatte die neue Einkaufsmöglichkeit in der Nähe herbeigesehnt. Sie muss jetzt weiter auf Unterstützung aus ihrem Umfeld hoffen.
"So lange wir noch Autofahren können, ist es gut", sagt eine Mittachtzigerin, die mit ihrem Mann einmal die Woche zur Einkaufstour fährt und dabei mehrere Märkte abklappert: "Seit Corona kaufen wir eh nicht mehr so oft ein." Eine junge Mutter aus dem Baugebiet Mannlehen glaubt, wenn Netto nicht kommt, dann werde sich sicher bald ein anderer Vollsortimenter dort ansiedeln, "der Kundenkreis müsste ja locker reichen". Und ein Rentner mit schlohweißer Haarmähne aus dem Gebiet Fröschleinacker findet die Netto-Absage nicht so tragisch. "Das ist eh nicht so mein Markt", erklärt er, "Wenn ich einkaufe, dann bei Rewe oder Edeka."
Isabell Zimmer, langjährige Seniorenbeauftragte im Eberner Stadtrat, denkt vor allem an die älteren und nicht mehr so mobilen Bürger im Bereich Losbergsiedlung und südliche Altstadt, wenn sie die Absage bedauert. "Das wäre schon eine schöne Bereicherung gewesen." Andererseits könne sich Eberns Bevölkerung allgemein über eine Rundumversorgung freuen, was nicht selbstverständlich sei. Und mit dem Edeka-Markt stehe ja ein innenstadtnaher Lebensmittelmarkt zur Verfügung.
Nebenher verweist sie auf Angebote wie den Citybus der Stadt oder die Möglichkeit, Waren aus dem Rewe-Sortiment via Internet zu ordern und dann fertig zusammengestellt abzuholen oder abholen zu lassen. "Schön ist doch, dass viele jetzt umdenken, auch in Zusammenhang mit Corona", sagt die CSU-Stadträtin.
Auflagen aus dem Landratsamt
Bürgermeister Jürgen Hennemann wertet die Absage als herbe Enttäuschung. Der Markt wäre eine gute Ergänzung der Versorgungssituation der südlichen Altstadt und Siedlungsgebiete gewesen, sagt er. Der Stadtrat hatte das Vorhaben einhellig gutgeheißen und die Bebauungsplanung flugs in die Wege geleitet.
Grund für den Rückzieher ist jetzt aber offenbar eine Stellungnahme des Landratsamtes, das wegen denkbarer Konflikte mit dem Artenschutz Auflagen macht. Der geplante Markt sollte nämlich neben dem Areal von Reifen-Wagner auch ein benachbartes und bislang unbebautes Wiesengrundstück Richtung Heubach einbeziehen. Von 1675 Quadratmetern Grundfläche insgesamt war die Rede.
Nun liegt aber ein Teil dieser Fläche im Bereich der SPA-Schutzzone "Itz-Rodach-Baunachaue" . SPA steht für Special Protection Area, also ein unter besonderem Schutz stehendes Areal.
Deswegen hatte das Landratsamt eine FFH-Verträglichkeitsabschätzung durch einen qualifizierten Biologen gefordert. Unter anderem wäre zum Beispiel eine Vogelzählung und eine Bestimmung der Brutzeiten erforderlich gewesen. Das hätte das gesamte Planungsverfahren wesentlich verteuert und in die Länge gezogen. In der Folge hat Netto nun die Reißleine gezogen. Die Planung wurde eingestellt.
"Ich finde es sehr schade, dass durch äußerst hohe Anforderungen und Auflagen das Projekt in Ebern nicht zustande kommt", erklärt der Bürgermeister gegenüber dem FT.
Die ganze Angelegenheit sei sehr ärgerlich, "zumal im Februar 2019 und im Juni 2019 mit den Stellen im Landratsamt Haßberge und dem Wasserwirtschaftsamt Bad Kissingen die Angelegenheit befürwortend besprochen wurde und damit die Nahversorgung der Bürger im südöstlichen Stadtgebiet von Ebern mit Umfeld zentral innenstadtnah hätte erreicht werden können". Außerdem, argumentiert der SPD-Politiker, wäre ein Leerstand in der Innenstadt beseitigt worden.
Hennemann zeigt kein Verständnis für die Einwände des Landratsamtes im Hinblick auf die Artenvorkommen, da es sich auf besagtem Terrain um Fett- und nicht um Magerwiesen handele. "Der Wiesenkopfameisenbläuling (ein geschützter und auf dem ehemaligen Standortübungsplatz nachgewiesener Schmetterling; Anm. d. Red.) mag dieses Umfeld jedenfalls fachlich nachgewiesen nicht."
Der Bürgermeister spricht von "weit überzogenen Auflagen" der Naturschutzbehörde, zumal das Projekt nur im baunachnahen Bereich von Ebern geplant worden sei und nicht direkt an der Baunachaue. "Dort gab es schon immer Handel und gewerblichen Betrieb." Eine alternative Fläche konnte die Stadt nicht anbieten.
Die Chance ist vertan, der Interessent abgesprungen. Für die Zukunft aber fordert der Bürgermeister in einem Schreiben an das Landratsamt: "Es wäre gut, wenn in solchen Fällen nicht einfach die Maximalforderung mitgeteilt würde, sondern man ins Gespräch über die Themen kommen könnte."
Die Behörde muss handeln
Dazu meldet sich das Landratsamt zu Wort und klärt die Zusammenhänge. Die Behörde habe das Bauvorhaben im Rahmen der Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes unter anderem naturschutzfachlich beurteilt. "Ein ganz normaler Vorgang", sagt Landratsamts-Sprecherin Monika Göhr.
"Wegen der überwiegenden Lage im SPA-Gebiet "Itz-Rodach-Baunachaue" (Europäisches Vogelschutzgebiet) ist eine Verträglichkeitsabschätzung durch einen qualifizierten Biologen erforderlich, um prüfen zu können, ob Erhaltungsziele dieses Gebietes betroffen sein oder beeinträchtigt werden können", teilt die Behörde mit. Da aufgrund der Artenzusammensetzung und den standörtlichen Gegebenheiten mit geschützten Arten gerechnet werden könne, sei in diesem Zusammenhang auch eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung vorzulegen.
Bei den Wiesenflächen im südlichen Anschluss an die vorhandene Bebauung handele es sich um extensiv genutzte Talwiesen, die als magere Flachland-Mähwiesen und somit als gesetzlich geschütztes Biotop einzustufen seien. Bei dieser Bewertung wurde die untere Naturschutzbehörde laut Mitteilung der Pressestelle durch eine externe Begutachtung unterstützt: "Eine Beeinträchtigung oder Zerstörung solcher Flächen ist grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme kann erst nach Vorlage einer Ausgleichsflächenplanung geprüft werden."
Eine solche naturschutzfachliche Prüfung und die Nachforderung entsprechender Unterlagen sei, so teilt Pressesprecherin Monika Göhr mit, "ein ganz normaler Vorgang und ist keineswegs eine überzogene Forderung". Die Notwendigkeit dieser Unterlagen sei gegenüber der Stadt Ebern auch vonseiten der höheren Naturschutzbehörde an der Regierung von Unterfranken bestätigt worden.
Netto in der Umgebung
Schon im vergangenen Jahr hatte es Verunsicherung gegeben, weil Netto fast gleichzeitig mit den Plänen für Ebern auch eine Filialgründung in Maroldsweisach ins Auge fasste. Interessenkonflikte unter den beiden "Baunach-Allianz-Kommunen" waren damals ausgeschlossen worden, beide Planungen stünden einander nicht im Weg.
Jüngst erst hatte Netto seinen Standort in Hofheim in die Industriestraße verlagert und auf 1050 Quadratmeter vergrößert. Weitere Netto-Filialen im Kreis Haßberge gibt es in Ebelsbach, Haßfurt und Knetzgau. Die Filiale Breitengüßbach schließt Ende des Monats, um einem Neubau zu weichen.