Mit fast 65 Jahren auf dem Rad über die Alpen
Autor: Ralf Kestel
Ebern, Freitag, 26. Juli 2013
Die Gebrüder Welsch aus Ebern verwirklichten sich einen Lebenstraum: Sie radelten über den Reschenpass nach Italien. Neun Tage dauerte die Vier-Länder-Tour, auf der sie viel erlebten. Fast 4300 Höhenmeter galt es zu überwinden.
Die Tour begann mitten in der Nacht - um 3.30 Uhr. Die Strecke führte leicht bergab. Das Baunachtal hinunter. Von Ebern nach Bamberg. Dort wurde der Zug bestiegen, der die Brüder Toni und Roland Welsch einer großen Herausforderung näher bringen sollte: Eine neuntägige Vier-Länder-Tour mit dem Fahrrad über die Alpen bis nach Verona. Streckenlänge 578 Kilometer, 4276 Höhenmeter galt es zu bewältigen.
Heil zurückgekehrt, wuchs eine Erkenntnis: "Wenn man sich intensiv vorbereitet, ist auch im Alter noch ein ansprechendes Leistungs-Niveau möglich", sagt Roland (54) über den fast 65-jährige Bruder Toni und der folgte einer Überzeugung: "Wenn man einen Traum lebt, muss man tun, aber mit Vernunft und Planung." Und Roland als Jüngerer und Mitglied der Eberner Radlertruppe war von Anfang überzeugt, dass "wir das schaffen können trotz der zwei Hügela".
Der Freien-Wähler-Stadtrat aus Eyrichshof Toni erfüllte sich mit der To(rt)ur einen Lebenstraum: "Ich mache mit der Frau seit 20 Jahren in Italien Urlaub und hab dabei schon immer an weng gspunna."
Mit Kugellagern vertraut
Als man ihm nach Jahrzehnten bei FAG Kugelfischer in Eltmann die Altersteilzeit anbot, sattelte er in Sachen Kugellager gedanklich um: "Ein Buch hat mir deutlich gemacht, wie schön das Radeln sein kann und beim Lesen wurde mir klar, was ich in meinem Ruhestand machen möchte."
Das war 2009. Er kaufte sich ein Zwölf-Gang-Rad und startete mit 60,5 Jahren die "Biker-Karriere". Jeder schöne Tag wird genutzt: Meist nach Bamberg (ins Schlenkerla), aber auch nach Hirschaid und Eltmann. Die erste größere Tour führte nach Würzburg (2010).
Dann wurde ein noch besseres Fahrrad gekauft und über drei Tage nach München gestrampelt (332 Kilometer).
8690 Kilometer lang trainiert
Damit begann das Training zur Erfüllung des Lebenstraums, die Alpenüberquerung. 8690 zeigte der Kilometerzähler, als in Füssen der Neun-Tages-Trip begann. "Ohne Training hätte es nicht geschafft. Einfach aufs Rad steigen und losfahren, das geht nicht", bekennt der 64,5-Jährige in der Rückschau. "Das Strampeln ging ja, aber nachts plagten mich doch Krämpfe, weil die Muskeln übersäuert waren, und im Knie zwickt's jetzt noch ein bisschen."
Aber ans Aufgeben dachten die Brüder in keinem Moment. Für die Strapazen entschädigten nette Begegnungen entlang der Strecke oder in den Zügen auf der Heimfahrt, grandiose Berg-Panoramen und die Landschaften entlang der Route sowie das Gemeinschaftserlebnis. Toni Welsch: "Ich hab als 21-Jähriger das Elternhaus verlassen und das war die erste Woche, dass wir wieder einmal so eng und vertraut zusammen waren. Und es gab keinerlei Streit oder Ärger."
Sie halfen sich gegenseitig, wo immer es ging. So hat Roland Welsch, im Hauptberuf Sicherheits-Fachkraft bei FTE, die Tour in Anlehnung an die Via-Claudia-Augusta-Radtour vorbereitet, die Übernachtungsmöglichkeiten ausgesucht und Bus- und Zugfahrten für den Rückweg gebucht. Als er am dritten Tag nach einer 150-km-Etappe bei über 40 Grad am Abend schwächelte, hat sich der Ältere um ihn gekümmert. "Und umgekehrt hat er mir mein Zelt aufgestellt, als ich am Abend fix und fertig war", erzählt Toni.
Die größte Anstrengung bereitete der Fernpass von Füssen nach Imst/Tirol, der bis auf 1155 Meter über dem Meeresspiegel führte "Das war schon frustig und ich hab' ein bisschen Muffe gehabt", gibt der Kommunalpolitiker zu angesichts schwer befahrbarer Schotterwege, die "zum Teil nur 30 Zentimeter breit waren und es auf einer Seite steil in den Abgrund ging", wie Roland ergänzt. "Manche Abschnitte haben wir geschoben, aufwärts wie auch runterwärts, weil es einfach zu gefährlich war. Der Fernpass ist für Radfahrer eigentlich nicht geeignet und ein Risiko. Wir empfehlen jedem, die Tour erst in Imst zu beginnen."
Nur drei Mal abgestiegen
Da gestaltete sich sich der Reschenpass (1443 Meter) nach einem kurzen Abstecher in die Schweiz schon einfacher. "Wir haben nie geschoben, ich musste nur drei Mal absteigen, um durch zu schnaufen", versichert Toni Welsch, der am Hambach und zwischen Mürsbach und Treinfeld sein "Bergtraining" absolvierte. "Auch wenn sich der Magen zusammenzieht und die Kraft wegbleibt, ist es doch erstaunlich, wie schnell man wieder fit ist."
Das brachte ihnen auch den Respekt einer Gruppe viel jüngerer Mountain-Biker ein, die über die Leistung der "zwei Kompakten" staunten. Roland Welsch: "Zu den 110 Kilo Lebendgewicht kamen jeweils 25 Kilo Gepäck und 15 Kilo Fahrrad." Neben Zelten, Schlafsack und Isomatte waren noch Ersatz- und "Ausgehkleider" in den Gepäcktaschen verstaut worden.
Überwältigt war Toni Welsch vom Alpen-Panorama bei der Fahrt entlang des Inntal-Radweges. "Du siehst diese Riesenwände und fragst Dich, wo ist denn da der Spalt, wo wir durchkommen?" Aber auch die Weinberge um Bozen und Meran taten es den beiden Franken an. "Dort grüßen sich die Radfahrer noch und die Italiener waren uns gegenüber sehr zuvorkommend."
Heimischer Gerstensaft
Überrascht waren sie am fünften Tag, als sie inmitten der Weinberge eine Raststation vorfanden, wo es Weltenburger Bier gab. "Da haben wir die Bremse gleich reingehauen", tönt Roland und Toni liefert den Fotobeweis.
In Bozen dagegen habe man acht Kilometer vergebens nach einer Eisdiele gesucht. Ansonsten blieben Irrfahrten aber aus. "Wir haben uns nur einmal um einige hundert Meter verfahren."
Und so gelangte man heil nach nach Verona, wo auch das berühmte Amphitheater besichtigt wurde, da die Vorbereitungen für die weltberühmten Opern-Aufführungen gerade laufen.
Übernachtet wurde in diesem Weltkulturerbe in einem alten Castell hoch über der Stadt unter freiem Himmel. "Super Campingplatz oberhalb von Verona - einfach eingerichtet (Stehklo), aber mit genialem Blick auf Verona", hat Roland Welsch in seinem Fahrten-Tagebuch notiert.
Dort traf man auch einen 74-jährigen Bergführer, der das Projekt der Gebrüder aus Franken als "Lebens-Endzeit-Planung" titulierte. Toni Welsch: "Genau mein Gedanke, das Leben nicht vor dem Fernseher, sondern aktiv verbringen." Ansonsten habe er, Toni, beim Zusammentreffen mit den vielen anderen Radlergruppe immer gefragt: "Wer ist über 65, dem gebe ich einen aus?" Die Kehlen blieben trocken.
Mehr Probleme mit Zugfahrt
Die Rückreise erfolgte mit Shuttle-Bussen und Zügen und brachte die nächsten Herausforderungen. Die gestalteten sich fast schwieriger als im Sattel. Erst kam ein bestellter Radler-Bus nicht, dann stand ein Zug auf dem falschen Gleis und im zweiten "kamen wir mit nur Müh' und Not unter und mussten die Ellenbogen einsetzen". Dabei sehen die Züge in Italien noch 20 Radlerplätze vor, da die am Sattel an die Decken gehängt werden. "Bei der Bundesbahn ist es da noch viel schlimmer, bei vier Radfahrern alles dicht ist", klagt der FTE-Sicherheitsmann.
Und noch ein Problem tat sich auf: Weil das Bikeshuttle von Avio bis München wegen eines Brückenabrisses im Stau vor der Landeshauptstadt stand, wurde der geplante Anschlusszug verpasst und "wir saßen wie die Penner bis um 2 Uhr auf dem Hauptbahnhof herum", so Toni Welsch.
Zum Glück blieb in diesem Nachtzug über Augsburg, Treuchtlingen und Nürnberg Platz für die zwei Heimkehrer, die um 6.45 Uhr in Breitengüßbach ankamen und sich dann nochmals in den Sattel schwangen, um - wie beim Start - die letzten Kilometer bis Ebern auf zwei Reifen zurück zu legen. "Wir haben bei der Ankunft am Sonntag im Edeka-Mark erst einmal einen Kaffee getrunken und sind dann müde ins Bett gefallen, weil wir 24 Stunden auf den Beinen gewesen waren", blickt Toni Welsch zurück.
Und dann ruft schon zur Mittagszeit so ein Zeitungsredakteur an und fragt, wann man sich zu einem Gespräch über die Strampeltour zusammen setzen könnte! Und noch einen Rückschlag haben beide zu Hause erlitten. "Ein junger Kerl hat uns unterwegs erzählt, dass er bei seinem ersten Start neun Kilo abgenommen hatte." Beim Blick auf die eigene Waage folgte die Ernüchterung: Jeder hatte ein Kilo zugelegt - reine Muskelmasse natürlich.