Limbacher Wasserwerker zählen Aale im Zick-Zack
Autor: Carmen Schmitt
Limbach, Freitag, 20. Sept. 2013
Ein neues Zählsystem soll Daten für den Schutz von Aalen liefern. Das Wasserkraftwerk in Limbach hat den Messapparat einbauen lassen und sorgt mit einem Zick-Zack-Rohr für sichere Wanderwege des Fisches.
Eine Leiter aus Eisen führt vier Meter nach unten in den Stollen. Die Stufen sind nass. Es regnet schon seit dem Morgen. Auf dem Betonboden des Tunnels sammeln sich Pfützen. In ihnen steht Dr. Matthias Haselbauer. Der Bauingenieur leuchtet mit einer Taschenlampe in den dunklen Gang. Früher diente der zur Entlüftung. Heute hängt unter dem Limbacher Wasserwerk ein Rohr auf Kopfhöhe des Ingenieurs. Das soll Aalen auf ihrem Wanderweg dabei helfen, die Anlage sicher zu passieren. Ein neues System zählt jetzt sogar, wie viele Aale das Main-Kraftwerk Limbach darin umschwimmen.
Lange Reise in den Atlantik
Sie starten bei Nacht. Ihr Ziel, die Sargassosee. Ein Meeresgebiet südlich der Bermuda-Inseln im Atlantik. Mehrere tausend Kilometer sind die Fische von den deutschen Flüssen aus unterwegs. Zweck ihrer langen Reise ist die höchste aller Absichten der Natur, die Fortpflanzung.
"Wenn er von unseren Flüssen aus das Meer erreicht, hat er noch eine große Reise vor sich", sagt Dr. Dirk Hübner.
Er ist Fischereibiologe und betreibt seit sieben Jahren Aalforschung. "Aber der gefährlichste Teil seiner Route liegt im Süßwasser." Kraftwerke, Staustufen und die Fischerei, auch das setzt dem Fisch und seinem Bestand zu. "Der Aal hat in den letzten zehn Jahren einen gnadenlosen Rückgang erlebt", sagt der Forscher aus Marburg. Zusammen mit dem Wasserbauingenieur Dr. Reinhard Hassinger von der Universität Kassel hat er deshalb ein System entwickelt, mit dem der Aal sicher durch die Wasserkraftwerke entlang der Flüsse gelangt. Auch im Main beim Limbacher Werk kommt das zum Einsatz.
"Allgemein ging der Aal bisher durch die Turbine und wurde verletzt", sagt Reinhard Hassinger. Er ist Laborleiter im Bereich Wasserbau. Mit einem kleinen Team entwarf er verschiedene Systeme, um den Aal vor den Turbinen zu schützen. Eine Entwicklung setzte sich bei den Tests durch und wurde vor einem Jahr unter anderem in Limbach im Main installiert.
Patentiertes Zick-Zack-Rohr
Auf dem Grund des Flusses liegt vor dem Laufwasserkraftwerk ein weißes Zick-Zack-Rohr aus Edelstahl. Hinter dem Rohr befindet sich der Rechen der Anlage, einen Meter davor spezielle Borsten aus Kunststoff, 25 Zentimeter hoch, die dem Fisch sogenannten Strömungsschatten bieten. Vergleichbar mit dem Windschatten, nur im Wasser.
Ein Vierteljahr waren die Forscher beschäftigt, bis sie das richtige System entwickelten. Dafür war es wichtig, dem Aal genau auf die Flossen zu schauen. "Das Rohr funktioniert, weil wir die Tiere nicht zwingen, etwas zu tun", sagt der Fischereibiologe. Die Forscher haben sich an dem natürlichen Verhalten des Aals orientiert. Laboruntersuchungen, Tests und Beobachtungen waren entscheidend für die Entwicklung der Aalschutzanlage. "Die Fische lassen sich nach unten locken in einen strömungsberuhigten Bereich", sagt der 46-Jährige. "Sie suchen am Boden nach Strukturen, an denen sie entlangschwimmen können."
Deshalb liegt das Rohr fast am Grund auf. Ein konkaver Übergang aus Blech überbrückt den Abstand und lenkt die Schnauze des Tiers in Richtung Rohr. "Der Aal sucht immer in Ecken nach einem Weg." Überall, wo das Rohr einen Knick macht, findet der Aal einen Eingang. Auch wenn er zunächst zu weit bis zum Rechen geschwommen ist. Er schlüpft durch eines der 15 Löcher, die etwa sieben Zentimeter groß sind. In Versuchen wurde das Rohr von über 90 Prozent der Aale gut angenommen. Einmal in dem patentierten Zick-Zack-Rohr, lässt er sich mit der Strömung sicher um die Turbinen herum treiben. "Der Aal driftet mit der Hauptströmung. So spart er Kraft." Er ist auch deshalb bevorzugt bei Hochwasser unterwegs. Dann ist das Wasser trüb und er sicherer vor Angreifern. "Die Hauptwanderzeit ist im Oktober und November", sagt Dirk Hübner.
Wissen sammeln
Es sei wichtig, so viel wie möglich über den Fisch zu erfahren, meint Matthias Haselbauer von dem Ingenieurbüro Rhein-Main-Donau Consult. "Wir müssen versuchen, den Fischen auf die Spur zu kommen. Je mehr wir wissen und lernen, desto besser können wir uns und das Kraftwerk darauf einstellen." Um das zu erreichen, wurde vor gut zwei Wochen in den Mainkraftwerken Rothenfels (Landkreis Spessart) und in Limbach ein Zählsystem für Aale eingebaut. Mit der Anlage erhofft sich Matthias Haselbauer Aussagen darüber, wann die Fische und wie viele von ihnen zur Wanderung aufbrechen.
Das Zählsystem wurde in Belgien entwickelt. Bei einer Konferenz ist der Projektplaner Haselbauer darauf aufmerksam geworden. "Wir sind die ganze Zeit in der Lernphase. Die Zählanlage aus Belgien ist ein System, das es sonst noch nirgends gibt." In Kanada wurde die Einrichtung getestet. "Dort natürlich nicht mit Aalen, sondern mit Lachsen", sagt der 38-Jährige und schmunzelt.
Lichtschranke zählt die Tiere
Von dem Zick-Zack-Rohr gelangen die Fische in das Rohr im ehemaligen Entlüftungsstollen des Kraftwerks. Davon ist ein zwei Meter langes Stück durchsichtig. Um das Plexiglasrohr ist das Zählsystem installiert. Sechs Messringe ermitteln mit einem Infrarot-Lichtfeld, wie viele Aale durch das Rohr schwimmen und wie groß sie sind. Eine Trennwand im Messrohr soll sicherstellen, dass jeder Fisch einzeln gezählt wird. Die Daten werden über Kabel in eine Black-Box geschickt und dann von Gutachtern ausgewertet. "Wir sind damit noch am Anfang", sagt Matthias Haselbauer unserer Zeitung.
Bewusstsein wecken
Es sei wichtig, dass den Menschen das Problem bewusst werde, meint Dirk Hübner. Bislang habe man mit Fischtreppen nur etwas dafür getan, dass die Fische von unten nach oben kommen. "Wenn wir das nicht in den nächsten Jahren in den Griff bekommen, können wir es vergessen. Dann ist der Aal weg." Auch Reinhard Hassinger ist alarmiert. Aale sind für den 59-Jährigen ein "Wunder der Effizienz". Es gebe viele Lösungen, aber man komme nur langsam voran. "Die Behörden ziehen nicht mit. Es hängt auch an der Förderung und dem Genehmigungsprozess." Dabei sei es so wichtig, sich um diese einheimische Tierart zu kümmern: "Nachwuchs gibt es nur auf natürlichem Wege. Es gibt keine Möglichkeit, sie in der Zucht aufzupäppeln."