Leserthema: "Cannabis ist nicht das Problem"
Autor: Günter Flegel
LKR Haßberge, Freitag, 12. Dezember 2014
Der Leiter einer Suchttherapie im Landkreis Haßberge fürchtet, dass eine Welle neuer Drogen über Franken schwappen könnte: Crystal Meth, Kräuter und Badesalze sind stärker und gefährlicher als "Gras" - aber teils legal und überall erhältlich.
Der Platz ist idyllisch, doch dafür haben die Gäste erst einmal keinen Blick: Das Schloss in Eichelsdorf bei Hofheim in Unterfranken ist für bis zu 60 Menschen eine Station auf dem Weg zurück in ein neues Leben: mit Arbeit, mit Familie, ohne Drogen, ohne Sucht.
In Eichelsdorf befindet sich eine von 14 Therapie-Einrichtungen des Baden-Württembergischen Landesverbandes für Prävention und Rehabilitation. Robert Soto-Löwenthal leitet das Haus in den Haßbergen, das abgesehen vom historischen Gemäuer einige Besonderheiten aufweist, wie er sagt: Hier gibt es ein eigenes Kinderhaus, eine große Erleichterung für drogenabhängige Eltern, die den Weg aus der Sucht suchen. Und seit einigen Jahren hat sich Eichelsdorf auf die Behandlung von Crystal Meth-Abhängigen - besser: Opfern - spezialisiert. "Diese Droge überflutet den fränkischen Raum", sagt Soto-Löwenthal. Nicht nur vor diesem Hintergrund hat der Leiter des Therapiezentrums eine differenzierte Meinung zur Legalisierung von Cannabis, die er im Interview erläutert.
Wo sehen Sie für Suchthilfe-Einrichtungen wie die Ihre aktuell das größte Problem?
Robert Soto-Löwenthal: Die ständige Kürzung der Mittel durch Renten- und Krankenversicherung. Der Staat müsste die Drogenpolitik umkrempeln: Entkriminalisieren von Cannabis, Cannabis dem Tabak und Alkohol gleich stellen, die Hilfesysteme durch Tabak-, Alkohol- und Cannabis-Steuer entlasten, Aufklärung erhöhen, mehr Hilfe zum Ausstieg anbieten.
Als Praktiker kennen Sie die Geschichte(n) vieler Betroffener. Lässt sich daraus ein Muster ableiten, wonach eine Drogen-"Karriere" meist mit "weichen" - legalen - Drogen beginnt, diese also mithin alles andere als harmlos sind?
Es ist schon so, dass alle Drogenabhängigen, die in der Therapie sind, Cannabis konsumiert haben - genau wie Alkohol und Tabak. Der Umkehrschluss ist jedoch falsch, dass Cannabis eine Einstiegsdroge darstellt. Nicht alle, die Cannabis konsumieren, werden später abhängig etwa von Heroin. Die Illegalisierung von Cannabis hat vielmehr dazu geführt, dass Dealer, die auch andere Substanzen verkaufen, diese anbieten. Die Hemmschwelle ist dadurch gesenkt. Schlimm ist aber auch, dass Legal Highs zum Teil noch legal als Ersatz für Cannabis konsumiert werden (Spice, Badasalze, FA-Fubinaca ...), die teilweise viel stärker und gefährlicher sind.
Gibt es denn überhaupt "weiche" Drogen - oder anders gefragt, müsste man nicht, wenn Cannabis auf dem Index steht, konsequent auch den Alkohol verbieten
So gesehen ist die Bezeichnung weiche Droge verharmlosend. Man muss bedenken, dass in Folge des Alkoholkonsums viel mehr Menschen umkommen als infolge aller weichen und harten Drogen zusammen (Vergleiche Drogenbericht der Bundesregierung: 40 000 : 1000). Die Kräutermischungen sind zum Teil 90 Mal stärker als Cannabis; und das, obwohl Cannabis heute viel stärker ist als noch vor zehn bis 15 Jahren.
Ein gerne gebrauchtes Argument für die Legalisierung "weicher" Drogen ist die Entkriminalisierung der Konsumenten, mithin auch die Entschärfung auf dem Markt der Beschaffungskriminalität. Sehen Sie darin auch gute Gründe für eine mögliche Legalisierung von Cannabis?
Eindeutig Ja! Wenn Dealer durch den legalen Verkauf in entsprechenden Läden mit Altersnachweis, mit Steuern und so weiter ihre Droge nicht mehr mit Gewinn verkaufen können, wird es entsprechend entspannter in unseren Städten zugehen. Natürlich wird es Dealer weiterhin geben, etwa für Crystal Meth, aber irgendwo ist eine Grenze zu ziehen. Beobachtungen in eher liberalen Ländern zeigen übrigens, dass es durch eine Legalisierung von Cannabis keinesfalls mehr Abhängige gibt.
Neuere medizinische Forschungen legen den Schluss nahe, dass der Konsum von Cannabis in jungen Jahren in einem späteren Lebensalter zu neurologischen Störungen führen kann, bis hin zu schwersten Krankheiten wie Autismus. Wie belastbar sind solche Studien?
Das stimmt, wenn während der Pubertät Cannabis konsumiert wird, erhöht sich das Risiko, an Psychosen zu erkranken. Aber es wird ja trotz Verbots konsumiert, und wenn jemand sagt: "Durch die Liberalisierung wird der Konsum leichter!", dann weiß er nicht, wie leicht man sich "Gras" besorgen kann.
Braucht unsere Gesellschaft ganz generell eine andere Haltung zu Drogen und einen anderen Umgang mit Konsumenten/Abhängigen?
In der Gesellschaft hat sich die Einstellung schon sehr zum Positiven geändert. Vorurteile gegenüber unseren Patienten gibt es zwar noch, allerdings viel weniger als noch vor 20 Jahren. Heute bekommen unsere Patienten relativ leicht eine Ausbildungsstelle oder einen Arbeitsplatz, obwohl der Chef von der Drogensucht und der Therapie weiß. Alle unsere Patienten, die regulär entlassen werden, sind nicht nur wieder arbeitsfähig, sondern haben alle einen Ausbildungs - oder Arbeitsplatz.
Das Cannabisproblem ist historisch gut angehbar. Wenn man schaut, ab wann Cannabis verboten wurde und wieso; da existieren Studien aus den USA, die belegen, dass ein Cannabisverbot auf die schwarze Bevölkerung abzielte und nach dem Alkoholverbot, also als Alkohol wieder erlaubt wurde, weltweit erst in Fahrt kam.
Das ländliche Franken gilt gemeinhin als Insel der Seligkeit, was Drogenkonsum und -handel betrifft. Ihre Erfahrungen sprechen sicher eine andere Sprache, zumal sich heute jeder Hauptschüler ohne größere Probleme Drogen nicht nur beschaffen, sondern sie mit im Internet gekauften Zutaten selbst brauen kann. Wird die Drogenproblematik auf dem "flachen Land" unterschätzt?
Das Frankenland als Insel der Seligkeit ist im Bereich Drogen schon lange nicht mehr aktuell. Wer das verbreitet verkennt, wie es in den Städten und Dörfern zugeht. Das mit den Zutaten fürs Brauen ist allerdings ein Gerücht; wozu auch selber brauen (so leicht wie es manchmal im Fernsehen dargestellt wird, ist es übrigens auch gar nicht): Crystal wird billig aus Tschechien eingeführt und teuer verkauft. Die Gewinnspannen liegen bei bis zu 1000 Prozent. Ein Gramm kostet an der Grenze in Tschechien 15 Euro, in Bamberg muss man dafür 120 bis 150 Euro zahlen! Per Postbote kann man sich allerdings Kräutermischungen und Badesalze bringen lassen.
Das Gespräch führte
Günter Flegel
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