Druckartikel: Leichtfertig Attest ausgestellt?

Leichtfertig Attest ausgestellt?


Autor: Manfred Wagner

Haßfurt, Donnerstag, 06. April 2017

Das Amtsgericht Haßfurt stellte ein Verfahren gegen eine Ärztin ein. Ihr war vorgeworfen worden, ein Gefälligkeitsgutachten angefertigt zu haben.
Symbolfoto: Patrick Pleul, dpa


Dass eine 45-jährige im Landkreis Haßberge praktizierende Ärztin einem Patienten mit einer Haftunfähigkeitsbescheinigung ein Gefälligkeitsattest wider besseren Wissen s ausgestellt hat, das ließ sich vor Gericht nicht nachweisen. Deshalb stellte die Richterin Ilona Conver bei einem Prozess am Amtsgericht in Haßfurt das Verfahren gegen die Angeklagte ohne weitere Auflagen ein. Ergänzend legte die Amtsrichterin fest, dass die Staatskasse nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch die Auslagen der Ärztin - darunter fällt vor allem das Honorar für ihren Rechtsanwalt Jürgen Wagner - übernimmt.

In dem außergewöhnlichen Fall ging es darum, ob die Angeklagte am 26. Februar 2016 einem ihrer Patienten, der heute 23 Jahre alt ist, zu Unrecht die Bescheinigung ausstellte. Dieser Patient war als Zeuge geladen und erläuterte seine damalige Lage. Demnach war er rechtskräftig zu einem zweiwöchigen Jugendarrest verurteilt worden. Davon hatte er bereits eine Woche abgesessen, wurde aber vorzeitig freigelassen, um eine Suchttherapie zu absolvieren. Da er diese Therapie schnell wieder abbrach, stand nun die restliche Arrestwoche an - und da kam der junge Mann auf die vermeintlich schlaue Idee, bei einem Arzt vorzusprechen.
Dort arbeiten mehrere Ärzte unter einem Dach. Bei der Behandlung im Februar letzten Jahres landete der Bursche nicht bei dem Mediziner, der ihn seit Kindesbeinen an betreut, sondern bei der beschuldigten Ärztin. Etwa eine Viertelstunde will der Zeuge im Sprechzimmer gewesen sein.


Unter Tränen

Die Angeklagte, die im Gerichtssaal ihre Tränen nur mühsam unterdrücken konnte, beschrieb dessen damalige Verfassung so, dass er "ängstlich, deprimiert, fahrig und fast panisch" gewesen sei und dass sie den Eindruck gehabt habe, dass "er keinen klaren Gedanken zusammen kriegt und den anstehenden Arrest psychisch nicht packt."

Bevor die Frau ihm jedoch die Haftunfähigkeitsbescheinigung ausschrieb, nahm sie erst mal Rücksprache bei dem Kollegen, der den Patienten besser kennt. Dieser Arztkollege war ebenfalls als Zeuge geladen und rekapitulierte den seinerzeitigen Ablauf.
Nachdem die Kollegin zu ihm gekommen war und ihre Wahrnehmungen geschildert hatte, sei auch er zu dem Schluss gekommen, dass eine im September 2015 festgestellte Diagnose nach wie vor zutreffe. Demnach lag eine akute psychische Erkrankung vor, was sich in folgenden Symptomen zeigte: schwere depressive Verstimmung, Antriebslosigkeit, Unruhe sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Insofern hielt der Mediziner die Ausstellung des Attestes für gerechtfertigt.


Ein Urteil des Bundesgeriichtshofs

Staatsanwältin Kerstin Harpf hielt den Medizinern die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vor. Demzufolge müssen bei einer Haftunfähigkeit - im Unterschied etwa zur Arbeitsunfähigkeit - sehr schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen. Alleine eine Suizidgefahr beispielsweise reiche nicht aus, eine Haftunfähigkeit zu begründen. "Keiner geht gerne in den Knast und fühlt sich elend bei dem Gedanken - wen können wir da überhaupt noch einsperren?", brachte die Anklägerin die Problematik auf den Punkt.
Im Gegenzug wies der Verteidiger darauf hin, dass eine Strafbarkeit nur vorliege, wenn der Mediziner "wider besseren Wissens" handele.

Dieser Nachweis ließ sich schlicht und einfach nicht führen, auch wenn die Strafrichterin konstatierte, dass im vorliegenden Fall "der Patient zwar getrickst und getäuscht hat, aber von ärztlicher Seite schon etwas leichtfertig mit dem Begriff haftunfähig umgegangen wurde." Mit der Einstellung war schließlich auch die Staatsanwältin einverstanden.


Problembewusstsein

Man darf davon ausgehen, dass alleine durch den öffentlichen Prozess bei allen Beteiligten das Problembewusstsein in Bezug auf die Thematik geschärft wurde - was sicher auch das Ziel der Staatsanwaltschaft war. Nachdem die Verhandlung vorüber war, zog ein interessierter Zuhörer im Gerichtsaal das Fazit: "Barmherzigkeit ist Sache der Priester und nicht der Ärzte!"