Kleine Schritte zurück ins Leben
Autor: Günther Geiling
Ebelsbach, Sonntag, 21. Dezember 2014
Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben, müssen sich oft mühevoll eigentlich selbstverständliche Fähigkeiten wieder aneignen. In der Selbsthilfegruppe für Aphasiker unterstützen sich Betroffene gegenseitig.
Männer und Frauen streifen mit einem heißen Maleisen Wachsfarben auf das Papier. Manchmal führen auch die Ehepartner die Hand und helfen dabei, eine tolle Weihnachtskarte entstehen zu lassen. Mit dieser Maltechnik, der "Encaustik", dem Malen mit heißem Wachs, gelingen einzigartige Bildeffekte - auch Männern und Frauen, denen Bewegungen und Handlungen nicht mehr so gelingen oder die Probleme mit der Sprache haben. Gemeint sind Patienten nach einem Schlaganfall, oft als "Aphasiker" bezeichnet.
"Meine Frau versteht alles, kennt Leute, weiß auch noch viel von ihren Schülern, aber sie kann sich nicht spontan dazu ausdrücken. Der Mund spricht dann einfach etwas ganz anderes, als das, was sie ausdrücken möchte und sie kann das auch nicht steuern", beschreibt Günther Schnabel die Lebenssituation seiner Frau Gerda.
Sprachzentrum betroffen
Im Alter von 59 Jahren, noch im aktiven Dienst als Lehrerin in der Schule, ereignete sich ausgerechnet in der Ferienzeit der Schlaganfall. "Abends um 23 Uhr hat meine Frau auf meine Ansprache hin nicht mehr reagiert. Ich rief sofort den Notarzt, der auch gleich gekommen ist und die Situation auch ziemlich gut erkannt hat." Dennoch sei man sich nicht sicher gewesen, ob es ein normaler Schlaganfall sei oder ob dabei auch schon eine Hirnblutung aufgetreten ist. Deswegen habe man seine Frau auch gleich nach ins Krankenhaus nach Schweinfurt gebracht, wo dann die Hirnblutung festgestellt wurde. Durch sie war das Sprachzentrum betroffen und die rechte Seite gelähmt.
Daraufhin habe eine lange Akutbehandlung stattgefunden, denn die Patientin sei längere Zeit im Koma gelegen. Es schlossen sich Rehabilitationsmaßnahmen an und seit Beginn 2008 bis heute arbeite man mit Logopädie, ergotherapeutischen und physiotherapeutischen Maßnahmen, erläutert Günther Schnabel. Er lässt keinen Zweifel daran, dass in dieser Situation auch die Mithilfe des Ehepartners und die häusliche Unterstützung ganz wichtig ist. Dadurch gebe man dem Betroffenen das Gefühl, dass er nicht abgeschoben sei. Aber auch für einen selbst sei es wichtig, mit Menschen zusammen zu kommen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Auch wenn die Auswirkungen eines Schlaganfalles sehr unterschiedlich seien, erfahre man durch andere, dass man damit zurechtkommen könne. Sonst bestehe die Gefahr, dass der Betroffene und auch die Familienangehörigen sehr darunter leiden und sich stark zurückziehen, sagt Schnabel.
Der Eberner engagiert sich deswegen sehr in der Selbsthilfegruppe, mit welcher man den Anschluss an die Öffentlichkeit halte. "Die Isolierung ist dann nicht so groß und es kommt in der Gruppe sogar ein besonderes Gemeinschaftsgefühl auf. Die Gruppe hat sich sehr positiv entwickelt und die meisten kommen sehr gerne."
Schritt für Schritt
Heidi Bayer aus Kirchlauter war gar erst 41 Jahre alt, als sie ebenfalls im Jahre 2008 im Schlaf von einer besonderen Situation überrascht wurde. "Ich bin nachts aufgewacht und konnte plötzlich nicht mehr reden. Da wusste ich natürlich sofort, dass mit mir etwas nicht stimmt." Daraufhin habe sie sofort ihren Ehemann und ihren Sohn geweckt, die dafür sorgten, dass sie sofort nach Haßfurt ins Krankenhaus und von dort nach Schweinfurt auf die Spezialstation "Stroke unit" kam. Dort könne sofort eine kompetente Behandlung für derartige Vorfälle erfolgen. Nach 14-tägigem Krankenhausaufenthalt habe sich eine Reha angeschlossen.
Bei ihr war hauptsächlich das Sprachzentrum betroffen. "Es dauerte fast zwei Jahre, bis ich wieder ein Buch lesen konnte. Auch die Zeitung liest man in so einem Fall ganz anders und überfliegt mehr die Sätze. Zum Glück hat man gleich vom ersten Tag an mit Logopädie angefangen und eine Praktikantin hat sich auf der Reha in Bad Kissingen sehr intensiv mit mir beschäftigt." Noch heute geht Heidi Bayer in eine Logopädie-Praxis und derzeit nimmt sie sogar an einem Versuch einer Gruppen-Logopädie mit mehreren Logopäden und drei Patienten teil.
Seit 2009 sucht sie die Selbsthilfegruppe auf und ist heute die Ansprechpartnerin für den Landkreis Haßberge. "Ich bin dazu gekommen, weil ich mich informieren wollte, was ich machen kann und welche Hilfen es gibt. Meist sind die Betroffenen nämlich allein oder mit ihrem Ehepartner und wissen sich nicht zu helfen."
Monatliche Treffen
Eine solche Aphasiker-Selbsthilfegruppe hatte früher schon einmal im Hofheimer Raum bestanden, hatte sich aber aufgelöst. Deswegen gründet man eine neue Gruppe, die ihre regelmäßigen monatlichen Treffen im St. Bruno-Seniorenheim in Haßfurt abhält. Natürlich gebe es für manche Patienten ein Problem dorthin zu kommen, vor allem, wenn keine Familienangehörigen vorhanden seien. Aber ca. 20 Betroffene kämen aus dem gesamten Landkreis von Neubrunn, Kirchlauter, Ebern, Ziegelanger, Haßfurt, Sylbach, Wonfurt oder Eltmann. "Wir überlegen uns immer ein abwechslungsreiches Programm wie jetzt diesen Malnachmittag und natürlich auch eine Weihnachtsfeier. Aber auch Kräuterwanderungen, Lieder- und Spielenachmittage, Informationen über Pflegestützpunkte oder Wechselwirkungen von Medikamenten und vieles andere mehr gehörten dazu, sogar einmal im Jahr eine mehrtägige Reise..
Heidi Bayer hat ihren Lebensmut nicht verloren. Obwohl der rechte Arm etwas in Mitleidenschaft gezogen war, wagt sie sich wieder an ihren Lieblingssport Tennis heran und nach einem Jahr nahm sie trotz zeitweiligen Suchens nach dem richtigen Wort wieder ihre Arbeit als Bedienung auf. Und auch in den Gemeinderat von Kirchlauter wurde sie in diesem Jahr erneut gewählt und wird dort sicherlich nicht nur ihre Hand, sondern auch ihre Stimme erheben.
Schlaganfall im Krankenhaus erlitten
Den heute 72-jährigen Hermann Knab aus Neubrunn ereilte der Schlaganfall nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus. Dort befand er sich wegen Herz-Rhythmus-Störungen, erhielt deswegen auch Elektroschocks und befand sich auf der Intensivstation. Eigentlich sollte er bald entlassen werden, als plötzlich ein Blutpfropf ein Gefäß in seiner rechten Gehirnhälfte verstopfte. Es war wahrscheinlich sein Glück, dass eine Schwester dies sofort erkannte, man ihn gleich nach Schweinfurt in die Klinik brachte und er dort schnell behandelt wurde.
Bei ihm kümmerte sich von Anfang an seine Frau Adelgunde intensiv, zumal er 14 Tage nicht sprechen konnte und auch das Laufen erst wieder lernen musste. Nach 5 Wochen Reha-Aufenthalt in Bad Rodach und weiteren Therapien hat er heute mit dem Laufen keine großen Probleme mehr. Nur mit der Sprache hapert es bei ihm und muss er öfters nach Worten suchen. Dennoch sind sowohl er als auch seine Frau Adelgunde mit dem Verlauf zufrieden und vor allem freuen sie sich auf den Rückhalt durch die Selbsthilfegruppe. "Das bedeutet für mich, unter Leute zu kommen, welche gleiche oder ähnliche Probleme haben. Am Anfang dachte mein Mann nämlich, nur er hat so etwas. Aber durch die Gemeinschaft lässt sich jetzt vieles leichter ertragen und wir sind wirklich eine gute Truppe. Er und auch ich freuen uns heute schon auf die Weihnachtsfeier in St. Bruno in Haßfurt. Während er nämlich mit dem Sprechen immer wieder Probleme hat, ist das beim Singen nicht der Fall. Deswegen wird er heute sicher mit Begeisterung die Weihnachtslieder mitsingen," freut sie sich mit ihrem Mann.
Und mit der gleichen Begeisterung waren die Frauen und Männer bei dem Nachmittag dabei, bei dem unter der Leitung von Dieter Kraft richtige Kunstwerke mit tollen Farbkombinationen entstanden. Die Maltechnik regte ihre Fantasie an und beflügelte sie, immer noch schönere Bilder herzustellen. Auch Weihnachtskarten entstanden und sicher wird die eine oder andere bei ihrem Adressaten auch Bewunderung hervorrufen. Für die Aphasiker war dies jedenfalls ein schöner Nachmittag und eine gelungene Einstimmung in die Weihnachtszeit.