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In Königsberg lebt die Geschichte


Autor: Gerold Snater

Königsberg in Bayern, Dienstag, 06. Juni 2017

Die historische Bürgerwehr von 1848 rückte am Pfingstdienstag aus. Damit hält die Stadt ein Brauchtum wach, das es sonst nicht mehr im Land gibt.
Die Bürgerwehr ist angetreten vor dem Rathaus: Es geht den Teilnehmern am Auszug unter die Haut, wenn sich die Bürgerwehrfahne zum Lied vom Kameraden senkt. Die Blumen an den Gewehren oder Spazierstücken sollen den friedlichen Charakter der Aktion dokumentieren.


Die Bürgerwehr in Königsberg ist die einzige Bürgerwehr in Deutschland, die seit dem Revolutionsjahr 1848, als sie gegründet wurde, jedes Jahr ausmarschiert. Das geschah am gestrigen Dienstag, dem Abschlusstag des Königsberger Pfingstfests. Dabei werden die alten Kommandos benutzt und der Aufmarsch vollzieht sich nach dem Reglement von 1848. Das Kommando trägt die gleichen Uniformen wie seinerzeit.

Vor 169 Jahren war der Zweck des Ausmarsches, die Wehrtüchtigkeit der Bürgerwehrsoldaten zu überprüfen. Heute hat sich der Auszug der Königsberger Bürgerwehr zu einem Traditionsfest gewandelt.

Ein Königsberger, der etwas auf Tradition hält, wird schon früh am Morgen des Pfingstdienstages unruhig, wenn ihn die Bürgerwehr mit ihren Böllerschüssen vom Schlossberg herab weckt. Denn dann sind es nur noch eineinhalb Stunden bis zum Höhepunkt der Pfingstfeiertage für die Bewohner des Regiomontanus-Städtchens, das an diesem Dienstag seinen "Nationalfeiertag" begeht.

Entgegengefiebert wird diesem Bürgerwehrauszug schon Wochen voraus. Wenn die Trommler der Bürgerwehr am Dienstagmorgen zum Weckruf trommelnd durch die Straßen und Gassen ziehen, dann hält es fast keinen Königsberger mehr zu Hause. Er muss hin zum Marktplatz, wo die Bürgerwehr Aufstellung nimmt zum alljährlichen Auszug in Erinnerung an das Jahr 1848, in dem die Königsberger Bürger ihre Bürgerwehr aufstellten, um die Herrschaft des Adels abzuschütteln.

1848 war dieses Vorhaben in Königsberg und ganz Deutschland nicht von Erfolg gekrönt, aber beibehalten hat sich Königsberg diese Tradition des Auszuges seiner Bürgerwehr bis auf den heutigen Tag. So traten auch am gestrigen Dienstagmorgen wieder über 100 Männer, "bewaffnet" mit einem blumengeschmückten Gewehr oder Spazierstock, in Reih und Glied vor dem Rathaus an, um auf die Bürgerwehrfahne zu warten.

Zuvor wurden unter dem Befehl von Oberleutnant Michael Burkard Gewehrgriffe, Drehungen und Wendungen geübt, um auf keinen Fall Bürgerwehrhauptmann Manfred Barfuß negativ aufzufallen, wenn dieser das Bataillon übernahm und seine Befehle über den Marktplatz erschallen ließ. Faszinierend war die Antwort der gesamten Truppe auf das "Guten Morgen, Leute!" des Hauptmanns, die wie ein Donnerschlag über den Marktplatz hallte.
Es geht den Teilnehmern am Bürgerwehrauszug unter die Haut, wenn die Bürgerwehrfahne am Marktplatz eintrifft und sich zum Lied vom Kameraden senkt. Die Gäste informierte der Bürgermeister Claus Bittenbrünn (FW) über die Bürgerwehr und ihren historischen Hintergrund.

Die Stadt nutzte das Antreten am Marktplatz, um Teilnehmer am Bürgerwehrauszug für ihr oftmaliges und ununterbrochenes Ausmarschieren mit der Bürgerwehrmedaille auszuzeichnen. Claus Bittenbrünn ehrte Tambour Dominik Blümmert für seine 25-malige und Ewald Fischer für die 50-malige Teilnahme.

Über den Salzmarkt, im Stechschritt an Bürgermeister Claus Bittenbrünn vorbei, ging es dann zu den Klängen der Heimatkapelle aus Michelau durch die Altstadt hinaus zum Festplatz Bleichdamm, wo den Parademarsch der Hauptmann Manfred Barfuß abnahm. Natürlich gab es danach die obligatorische Manöverkritik. Sein Fazit: "Es war ein guter Auszug und ein guter Parademarsch."

Anschließend überreichte er an den ältesten und an den jüngsten Teilnehmer des Auszuges eine flüssige Stärkung. Der jüngste Teilnehmer war der 14-jährige Jakob König, ältester Teilnehmer Ernst Zieg, der trotz seiner 79 Jahre noch immer ein begeisterter Mitmarschierer ist.

Zum Abschluss des Auszuges erfreute Hauptmann Barfuß die angetretene Mannschaft mit dem Kommando "Wegtreten ins Bierzelt!" - ein Befehl, der von allen Ausmarschierern gern und ohne Murren befolgt wurde.


Die Geschichte der Bürgerwehr

Die Anfänge der Königsberger Bürgerwehr liegen in dem für die europäische Geschichte bedeutsamen Jahr 1848. Die deutschen Lande erfasste damals eine zu befreiender Gemeinsamkeit drängende Willensdemonstration. Sie bekundete den Anspruch der Bürger, nicht länger Untertanen zu sein, sondern das nationale Schicksal mitzubestimmen und an der Regierung teilzuhaben.

Die Forderung jener Zeit war ein deutscher Nationalstaat unter der schwarz-rot-goldenen Fahne, wie sie 1817 von Burschenschaften auf der Wartburg geschaffen worden war. Die Abschaffung der Feudalherrschaft und die Einführung der Grundrechte waren die Ziele, für die es sich offenbar zu kämpfen lohnte. Um dies gegen die herrschende Obrigkeit durchzusetzen, entstanden überall im Lande, besonders aber in Baden und Franken, Bürgerwehren.

Auch die Königsberger waren fest entschlossen, ihre Bürgerrechte gegenüber dem Coburger Fürstenhaus, unter dessen Herrschaft sie standen, durchzusetzen. Unter dem schwarz-rot-goldenen Freiheitssymbol sammelten sich in Königsberg revo- lutionäre Kräfte zu einer Bürgerwehr, um dem freiheitlichen Willen der Bürger Nachdruck zu verleihen.

Nach anfänglichen Erfolgen, wozu auch der Zusammentritt des frei gewählten deutschen Parlaments in der Paulskirche in Frankfurt zu zählen ist, wurde das Vorhaben immer schwieriger. Das Parlament zerstritt sich, und der Adel gewann die Oberhand. Die republikanischen Armeen in Baden wurden durch die zu Hilfe gerufene preußische Armee unter dem späteren deutschen Kaiser Wilhelm I., dem sogenannten Kartätschen-Prinzen, geschlagen. Aufständische wurden in Prozessen gefoltert und hingerichtet. 1849 wanderten allein aus Baden 80 000 Menschen nach Amerika aus.

In Königsberg ist es nicht zu größeren Kampfhandlungen gekommen, weil der damalige Herzog Ernst II. politischen Weitblick besaß. Das Bürgerwehrbataillon, das damals über 120 Mann stark war, bekam von den Königsberger Frauen eine schwarz-rot-goldene Fahne gestiftet, die am 22. Oktober 1848 geweiht wurde. Sie wird heute noch beim Auszug mitgeführt.

Zur Erinnerung an diesen Tag findet jährlich am Dienstag nach Pfingsten ein Auszug der Bürgerwehr mit Parademarsch statt. Alt wie der Brauch sind die Uniformen, die Kommandos sowie der gesamte Ablauf der Parade, die mehr ist als nur ein farbenprächtiges Schauspiel. Es handelt sich um ein Wachrufen geschichtlicher Ereignisse. Es geht um die Demokratie.