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Ihr Kampf gilt der Sucht


Autor: Johanna Eckert

Ebern, Dienstag, 15. Juli 2014

Der Selbsthilfeverband für Suchtkranke und ihre Angehörige unterstützt Menschen im Bemühen, von der Droge wegzukommen. Bei den meisten von ihnen geht es um Alkohol.
BertholdSchmitt Foto: Johanna Eckert


Der Kreuzbund? - "Das hat doch irgendwas mit Rittern und Mittelalter zu tun. Naja, kämpfen tun die auf alle Fälle, aber so genau weiß ich das jetzt auch nicht", antwortet ein Eberner Passant, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, im Gespräch mit dem Fränkischen Tag.

Berthold Schmitt aus Ebern schmunzelt, wenn er diese Antwort auf Papier liest. Er ist Mitglied der Kreuzbund-Gruppe, die sich zweimal im Monat im evangelischen Gemeindehaus in Ebern trifft. Wenn er von seinem "erfolgreichen Kampf" erzählt, dann geht es jedoch als letztes um ritterliches Gehabe aus Zeiten der Burgen und Schlösser. Es geht um Schnaps, die Sucht und das Leben.

Vor vielen Jahren hat sich bei Berthold Schmitt noch alles um den Alkohol gedreht: "Der Gedanke, keinen Stoff greifbar zu haben, hat mich regelrecht panisch gemacht", erzählt der 58-jährige Familienvater heute. Seit zehn Jahren lebt Berthold Schmitt aus Ebern ohne einen Tropfen Alkohol. Das schreibt er nicht nur seiner eigenen Tapferkeit zu: "Der Kreuzbund ist mit Sicherheit ein wichtiger Grund, warum ich heute noch trocken bin. Ohne hätte ich es nicht geschafft."

Kurse für Suchtkranke

In dieser Selbsthilfeorganisation hat sich Berthold Schmitt nach oben gearbeitet - nicht aus Sucht, sondern weil ihm die Arbeit Spaß macht und gut tut. Er ist Sprecher für die Region III Main-Rhön und gibt Kurse für Suchtkranke und Angehörigen. Das funktioniert, weil er sich heute wieder mit den Leuten unterhalten kann und sich nicht wegdrehen muss, aus Angst, seine Gesprächspartner könnten die Alkoholfahne riechen.

Der erste Schritt zur Kreuzbund-Gruppe sei der schwierigste. "Wenn Suchtkranke etwas wollen, dann muss das sofort passieren", weiß Berthold Schmitt aus eigener Erfahrung, "wenn aber zwischen einem Infoanruf und dem nächsten Treffen ein paar Tage verstreichen, überlegt es sich der Betroffene schnell anders." Mut und Wille braucht es bei vielen, um sich freitags dem Treffen der "Kreuzbündler" in Ebern anzuschließen.

"Bei unseren Treffen reden wir Tacheles", berichtet Schmitt über die Begegnungen der Menschen mit unterschiedlichen Suchtproblemen. Männer und Frauen zwischen 23 und 76 Jahren versuchen, sich in der Selbsthilfegruppe zur Abstinenz zu motivieren und auf dem Weg zu unterstützen. Mit seiner Arbeit bei der Organisation des Kreuzbundes will Berthold Schmitt das zurückgeben, was er selbst aus Therapien und Gesprächen mitgenommen hat: "Suchtfrei ganz glücklich zu leben."

Zur Eberner Kreuzbundgruppe kommen Menschen wie Berthold Schmitt, die suchtkrank sind, sich dem Suchtmittel schon erfolgreich entziehen konnten. Es kommen Menschen, die fast ständig mit einem Rückfall zu kämpfen haben und aus den Erfahrungen der "Trockenen" Kraft schöpfen wollen. Und es kommen Menschen wie Stefan T. (Name von der Redaktion geändert), die noch keine Suchterkrankungen im Lebenslauf stehen haben und "einfach so" Interesse haben.

Stefan T. aus Ebern ist 23 Jahre alt. Komatrinken und Flatratesaufen sind ihm aus dem Freundeskreis bekannt. "Am 1. Mai laufen die 14-jährigen Jugendlichen stockbesoffen in der Landschaft rum", sagt er mit einer Sorgenfalte im Gesicht. Der Sinn für solches Verhalten, ist ihm nicht klar. "In jungen Jahren steckt man das noch leicht weg, aber im Alter wird sich das alles rächen."

Der Alkohol ist in der Eberner Kreuzbundgruppe ein großes Thema. Oft ist es die Vorstufe für andere Suchterkrankungen, wie Internetsucht, Handysucht oder Medikamentensucht. "Auch diese sind bei uns am richtigen Platz." Despressionen sind vielfach Wegbegleiter von Suchtkranken. Alle acht Wochen lädt die Gruppe externe Referenten zu verschiedenen Themen ein. "Experten sind das nicht. Die Experten sind ja wir Suchtkranken", schiebt Schmitt als Detail lächelnd nach.

Suchtkrank bleibt er immer

Dank dem Kreuzbund lebt Berthold Schmitt heute noch und geht wieder mit offenen Augen durch das Leben. Suchtkrank wird er aber immer bleiben, da ist er sich sicher. "Ein Schuss Rotwein im Blaukraut oder eine Kugel Eis mit Alkohol - da legt es die Steuerungen im Gehirn sofort um."

Gerne würden Berthold Schmitt und seine Freunde aus der Kreuzbundgruppe die Erfahrungen mit der Sucht an junge Erwachsene weitergeben: "Wenn ein Ex-Alki vor den Jugendlichen in der Schule steht und was von Drogen und Sucht erzählt, ist das doch viel authentischer", meint der engagierte Eberner, "auch in Vereinen ist es sinnvoll, auf den Missbrauch von Alkohol aufmerksam zu machen. Da wird so viel getrunken." Er hofft, dass die Einrichtungen noch stärker auf das Angebot der Kreuzbundgruppe zurückgreifen.
Früher hat Berthold Schmitt seine Freizeit mit Biertrinken verbracht. Mit Schnaps un
d Sekt musste er nachspülen. Damals, als er nur noch 60 Kilo wog und seine Familie sich bereits von ihm abgewandt hatte, machte er jedoch "Nägel mit Köpfen" und nahm sein Leben wieder bewusst in die Hand. Heute trinkt er alles, außer Alkohol. "Die Auswahl ist jetzt viel größer. Am liebsten trink ich aber Schweppes." Und in der Freizeit bereitet er sein Programm für die Kreuzbund-Seminare vor oder plant mit Stefan T. den Ausflug des Ortsvereins.

Bedeutung

Der Kreuzbund ist offen für alle Menschen, die direkt oder indirekt von einer Abhängigkeit betroffen sind oder sich in diesem Problemfeld engagieren wollen. Die Mitglieder unterstützen einander als Weggefährten durch aktive Lebenshilfe auf dem Weg zu Abstinenz und Zufriedenheit und bei der Entfaltung der Persönlichkeit.
Der Kreuzbund ist im ständigen Kontakt mit den Beratungsstellen der Caritas. Diskretion ist das oberste Gebot. Im Kreuzbund treffen sich bundesweit wöchentlich ca. 26 000 Menschen in rund 1400 Gruppen.

Entstehung

Sein Ursprung liegt in der katholischen Kirche. Pfarrer Josef Neumann gründete den Verband 1896 in Aachen. In der Tradition der Mäßigkeits- und Abstinenzbewegung wirkte der Verband dem damals weit verbreiteten Elendsalkoholismus entgegen.

Bis in die 1960er Jahre war der Kreuzbund auf Grund dieser Prägung ein Abstinenzverband. Die Mitglieder lebten solidarisch-abstinent, meist ohne selbst suchtkrank zu sein. Im Jahr 1957 erkannte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Alkoholabhängigkeit als Krankheit an; das Bundessozialgericht zog 1968 nach. Damit erfuhr die Sucht-Selbsthilfe eine wesentliche Unterstützung. Denn nun hatten Betroffene einen Anspruch auf Behandlung ihrer Erkrankung (Entgiftung und Therapie). In der Folge entwickelte sich der Kreuzbund vom Abstinenzverein zu einem Selbsthilfeverband für Suchtkranke und Angehörige, Suchtkranke übernahmen führende Funktionen im Verband.

Arbeit

Heute gestalten Suchtkranke und Angehörige gemeinsam die Gruppenarbeit vor Ort und die bundesweit vernetzte verbandspolitische Selbsthilfearbeit, unterstützt von wenigen hauptamtlichen Beschäftigten. Der Wandel vom Abstinenzverband zur Selbsthilfegemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige fand seinen Höhepunkt 2004 in der Wahl einer Angehörigen zur Bundesvorsitzenden und in der Aufhebung der satzungsgemäßen Abstinenzverpflichtung für nicht-suchtkranke Angehörige.


Ebern

Die Kreuzbund-Gruppe in Ebern trifft sich 14-tägig im evangelischen Gemeindehaus, Lützeleberner Straße 8, 96106 Ebern. Beginn ist um 19.30 Uhr. Gruppensprecher ist Achim Schauer, Telefon 09531/5752.

Kontakt

Weitere Informationen bei Berthold Schmitt, Telefon 09531/1750, Email: berthold-schmitt@kreuzbund-wuerzburg.de