Druckartikel: Kommentar zum Fall Gleusdorf: Haben die Kontrollinstanzen versagt?

Kommentar zum Fall Gleusdorf: Haben die Kontrollinstanzen versagt?


Autor: Ralf Kestel

Gleusdorf, Sonntag, 27. November 2016

Zu den aktuellen Ereignissen und Informationen rund um die Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf ein Kommentar unseres Eberner Redakteurs Ralf Kestel:
Ralf Kestel - im Innenhof des Reichstags


Ehrlich gesagt, ich wollte es anfangs nicht glauben, was mir da drei Leute, zwei ehemalige Pflegerinnen aus der Senioren-Residenz Schloss Gleusdorf darunter, Ende August im Mürsbacher Biergarten erzählten und in Schriftform vorlegten. Solche Zustände mitten in Deutschland? Unvorstellbar. In diesem hochzivilisierten Land mit solch einem hohen Grad an Bürokratisierung, da eine tote Mücke auf dem Fensterbrett den Lebensmittelüberwacher fast in den Wahnsinn und zur Schließung von Gaststätten treibt.

Doch die Schilderungen der Insider waren konkret und daher überzeugend. Immer mehr Informanten gesellten sich dazu - und die Vorwürfe wurden immer schlimmer. Bereits Anfang September stand der Tatbestand der fahrlässigen Tötung im Raum.

Doch die Nachfragen in Behörden und Ministerien von Würzburg bis Bamberg, von Coburg bis München, in Haßfurt und Schweinfurt erbrachten keinerlei Bestätigung. Im Gegenteil: An der Art der Geschäftsführung gab es kaum Anlass zur Kritik. Und die Geschäftsleitung selbst sah sich vollkommen zu Unrecht unter Verdacht gestellt.

Doch Gleusdorf ist kein Einzelfall. Übers Wochenende meldeten sich mehrere Angehörige, die von ähnlichen Zuständen wie in der Seniorenresidenz im Itzgrund erzählten. Im Landkreis Bamberg und im Kreis Lichtenfels.

Der Stern berichtete von Zuständen in einem Heim im Raum Göttingen, die "selbst hartgesottene Profis schockten". Dabei habe dieses Pflegeheim stets beste Noten vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) bekommen. Die Überschrift über den Artikel bei stern.de lautet: "Wie kann ein mieses Pflegeheim super Noten bekommen?" Die Tatbestände: Körperliche Misshandlung, Abrechnungsbetrug, Unterschlagung von Taschengeld. Pflege mit einem Minimum an Aufwand, zu Lasten der Schutzbefohlenen. Menschenunwürdig.

Auch im Fall Gleusdorf muss die Rolle der Kontrollorgane, von Ärzten und auch die der vom Amtsgericht eingesetzten Betreuer kritisch hinterfragt werden, zumal mehrere unserer Informanten beteuern, dass sie bei Besuchen der Heimaufsicht oder des MDK - zum Teil inständig und unter Tränen - auf die im Heimalltag herrschenden Missstände hingewiesen hätten.

Selbst beim letzten Besuch am Buß- und Bettag gab es wieder keine Beanstandungen, was Zweifel nährt, dass die unangekündigten Besuche für die Heimleitung tatsächlich nicht so überraschend waren, dass keine Vorkehrungen mehr getroffen wurden?

Die Informationen, die unserer Redaktion an die Hand gegeben wurden, lagen auch den Behörden vor. Selbst im Gesundheitsministerium wusste man davon. Es dauerte lange, bis Polizei und Justiz aktiv wurden.

Die Recherchen und Berichterstattung des Fränkischen Tages und - später - auch des Bayerischen Rundfunks schärften das Bewusstsein, dass etwas im Argen liegt.

Es kann nicht sein, dass die Gemeinschaft (der Steuerzahler) hohe Sozialabgaben abführt, sich andere aus diesen Kassen aber die (Golf-)Taschen vollstopfen, während ihre Schutzbefohlenen in den Betten darben und hungern oder gar sterben.