Frühchen-Mamas gibt es auch im Kreis Haßberge
Autor: Sarah Seewald
LKR Haßberge, Donnerstag, 20. November 2014
Zum Weltfrühchen-Tag kamen im Klinikum Bamberg 250 Familien mit ihren Kindern. Eine Frühchen-Mama aus den Haßbergen erinnert sich an den Tag der Geburt, Sorgen und den Glauben daran, dass alles gut werden wird.
Was bedeuten neun Wochen von insgesamt fast vierzig? Wenn ein winzig-kleines-leichtes Mädchen und ein Junge in der 31. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt erblicken, dann sind neun Wochen eindeutig 63 Tage zu früh. Das Kinderzimmer ist noch nicht gestrichen, die Bettchen sind noch nicht aufgebaut. Heute, viereinhalb Jahre später, geht es den Zwillingen gut. Mit 1480 und 1220 Gramm sind sie im Klinikum Bamberg auf die Welt gekommen beziehungsweise gebracht worden. Denn an diesem einen Montag ging es dann ganz schnell. Eines der beiden Kinder wurde im Mutterleib nicht mehr richtig versorgt, das andere nur noch schlecht. Die Ärzte haben "ganz komisch geguckt", als die Routineuntersuchung stattfand, erinnert sich die damals 37-Jährige. Die Ansage der Ärzte: "Nichts mehr trinken, nichts mehr essen.
Zwei kleine Wunder
Zur Mittagszeit, eine Minute nacheinander, atmeten die Frühchen der Familie aus dem Landkreis Haßberge dann bereits im Brutkasten. Die Stunden, Tage, Wochen in der Frühchenstation waren für die Mutter wie eine Art "Parallelwelt". Fünf Tage lag sie nach der Geburt noch auf dem Wochenbett, dann musste sie ihre Zwillinge - zumindest für die Nächte - alleine lassen. "Man ist Mama, aber doch noch nicht Mama", sagt sie und will damit ausdrücken, wie schwer es für sie war, sieben Wochen täglich ohne ihre Kinder nach Hause zu fahren. Eigentlich kam sie jeden Abend weinend aus dem Krankenhaus. Nicht, weil etwas nicht gepasst hätte, im Gegenteil: "Wir hatten so ein Glück, dass wir nach Bamberg durften", sagt sie. Aber "man lebt in Angst und Bang", schon ein Telefonklingeln mit Bamberger Vorwahl warf sie damals aus der Fassung.
Frauen und Männer, die nicht Eltern sind, oder auch Eltern, die vollkommen gesunde und lebensstarke Kinder nach einer ganz normalen Schwangerschaft auf die Welt gebracht haben, "können das oft nicht verstehen", sagt die Mutter, die heute auch zwei gesunde Kinder großzieht. Und sie ist lange nicht die einzige Mutter von Frühgeborenen im Landkreis - oder in Franken. So war auch die Resonanz auf Bambergs ersten Weltfrühchen-Tag riesig. Die große Kapelle im Klinikum am Bruderwald war bis auf den letzten Platz besetzt. Über 250 Eltern, Väter und Mütter fanden sich mit ihren in Bamberg zur Welt gekommenen Frühchen dort zur gemeinsamen Feierstunde mit Dankgottesdienst und anschließenden gemütlichen Beisammensein ein.
"Wenn ich mir die große Kinderschar hier so anschaue, zeigt es mir, dass unsere Arbeit so schlecht nicht gewesen sein kann", sagte Karl-Heinz Deeg, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche. In den letzten zehn Jahren, so weiß der Mediziner zu berichten, kamen in Bamberg 278 Frühgeborene mit mehr als 1500 Gramm zur Welt sowie 89 zwischen 1250 und 1500 Gramm. Und 189 Kinder wogen bei ihrer Geburt weniger als 1250 Gramm. "Neun hatten bei ihrer Geburt weniger als 500 Gramm. Die Überlebenschancen dabei sind allerdings sehr gering. Dennoch ist es uns geglückt, zwei davon zu retten. Sie freuen sich heute bester Gesundheit", schilderte Deeg.
Erfolgreiche Arbeit fortsetzen
Auch die aktuellen, sinkenden Zahlen aus dem letzten Jahr zur Sterblichkeit von Frühgeborenen machten Mut, so der Chefarzt. So liege das Perinatal-Zentrum sogar besser als der bayernweite beziehungsweise deutschlandweite Durchschnitt. "Dabei stand unsere Frühgeborenenstation vor vier Jahren beinahe vor dem Aus. Denn die Regierung erließ ein Gesetz, dass Kliniken, die weniger als 30 Frühgeborene unter 1250 Gramm im Jahr zur Welt bringen, schließen müssen", erinnerte sich der Chefarzt. Erst durch einen Zusammenschluss der Kliniken Bamberg, Schweinfurt und Coburg zum Perinatal-Zentrum Nordfranken sei es gelungen, die erfolgreiche Arbeit mit den Frühchen fortzusetzen.
"Das ganze Team war super lieb, teilweise wissen die Schwestern heute noch, wie die Kinder heißen", sagt sie Mama aus dem Haßberge-Kreis. "Wir haben wirklich einen Engel gehabt mit Schwester Nina." Und so einen Engel hat - und braucht - in dieser Zeit wohl jede Frau, bei der Bettnachbarin sei es eben eine andere Schwester gewesen.
Der erste Welt-Frühgeborenentag in Bamberg, so der Zweite Bürgermeister Christian Lange (CSU), möchte die Frühgeburt und ihre Folgen thematisieren und hierfür ein deutliches Zeichen setzen. Denn die Probleme und Risiken für die weitere Entwicklung dieser Kinder würden in der Öffentlichkeit nicht wirklich wahrgenommen. Auch die Zwillinge mussten in die Frühförderung und Krankengymnastik und sind heute vollkommen fit.
Der Frühchen-Tag soll künftig jährlich gefeiert werden. Deutschlandweit werden jährlich etwa 40 000 Kinder zu früh geboren. Demnach ist also eines von zehn Neugeborenen ein Frühchen. Damit sind Frühchen die größte Kinderpatientengruppe Deutschlands. Der Frühgeborenen-Tag wird seit 2011 jeweils am 17. November in mehr als 60 Ländern von rund 1,5 Milliarden Menschen gefeiert.
Am Ende der Veranstaltung ließen die Familien Luftballons mit Wünschen in den Nachthimmel steigen. Den drei Familien, deren Ballone am weitesten fliegen, blüht bald ein kleines Apfelbäumchen im Garten, das mit dem Kind mitwachsen und die sie an diesen besonderen Tag erinnern soll. "Denn diese Zeit begleitet mich ein Leben lang", sagt die Mutter der Zwillinge. Für sie ist klar: "Ab dem Moment, wenn eine Frau erfährt, dass sie schwanger ist", ist nicht nur die Liebe, sondern auch die Sorge um den Nachwuchs sicher.
Autor bei der Feierstunde in Bamberg: Harald Rieger