Druckartikel: Familien im Kreis Haßberge sind oft kleiner und älter

Familien im Kreis Haßberge sind oft kleiner und älter


Autor: Sarah Seewald

LKR Haßberge, Freitag, 28. November 2014

Ob es den richtigen Zeitpunkt zum Schwangerwerden gibt, fragen sich Frauen oft. Laut statistischem Bundesamt lag der Anteil der Neugeborenen, deren Mütter mindestens 35 Jahre alt waren, 2012 bei 22 Prozent. Christine und Kathrin aus dem Kreis Haßberge sind zwei davon.
Die Mütter sind heutzutage oft schon Mitte, Ende 30. Welche Frau bekommt da dann noch mehrere Kinder? Symbolbild: dpa


Ein "X" im Mutterpass: Risikoschwangerschaft. "Da habe ich das erste Mal wirklich geschluckt", sagt Christine. Von Promis, die mit Ende 30, Anfang 40 schwanger werden, hat sie immer wieder gelesen, "selbst hatte ich es irgendwie nicht so eilig mit dem Kinderkriegen", irgendwie keine in ihrem Freundeskreis, die nach Ausbildung und/oder Studium oft erst mal noch im Berufsleben einsteigen wollten.

Doch dann hat Christines Frauenärztin Druck gemacht. Also, ihr die Augen geöffnet, denn ab dem 35. Lebensjahr nimmt die Fruchtbarkeit deutlich ab, die Qualität der Eizellen auch. Und, die Wahrscheinlichkeit, mit 35 ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen ist vier Mal höher als mit 20. Doch von düsteren Begrifflichkeiten oder Zahlen ließ sich die Lehrerin neun Monate lang nicht beirren. Weder bei ihrer ersten "super guten" Schwangerschaft noch bei der zweiten, in der es ihr "noch besser" ging.

Erst vor wenigen Wochen hat Christine ihr zweites Kind entbunden - mit 43.

Das durchschnittliche Alter von Müttern in Deutschland ist bei Geburt des Kindes 30,7 Jahre, Stand 2012. Am jüngsten sind die Mütter laut statistischem Bundesamt in Mecklenburg-Vorpommern (29,3), am ältesten in Baden-Württemberg und in Bayern (31,2 Jahre). Über 60 Prozent aller Neugeborenen werden von 26- bis 35-Jährigen geboren, doch genau diese Frauengruppe ist zwischen 1990 und 2010 um 1,5 Millionen kleiner geworden. Bei der Mädchengeneration der heute unter 15-Jährigen ist fast jeder jüngere Jahrgang kleiner als der vorherige, so weit die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Daher wird die Zahl der gebärfähigen Frauen immer weiter schrumpfen.

Zu den Zahlen kommt eine gesellschaftliche Entwicklung: Mit 25, 30 Jahren hat Christine noch gar nicht übers Elternwerden mit ihrem Mann nachgedacht, "weil ich da noch studiert habe", sagt sie. Als sie Lehrerin war, wollte sie auch "paar Jahre arbeiten, denn ich mache meinen Beruf total gerne."

Gerade der Bildungsstand der Frau spielt beim Thema Kinderlosigkeit eine große Rolle: Der Anteil der Frauen ohne Kind lag 2008 bei allen 40- bis 49-jährigen Frauen bei 19 Prozent. Je nach dem Bildungsstand variierte das Niveau der Kinderlosigkeit stark: Frauen mit niedrigem Bildungsstand hatten zu 15 Prozent kein Kind, Frauen mit mittlerer Bildung zu 18 Prozent und bei Frauen mit hohem Bildungsstand war jede vierte kinderlos (25 Prozent).


Familienplanung hakt

Aber nicht nur durch den Berufsalltag kann die Familienplanung in Verzug geraten. Zum Kinderkriegen braucht es schlichtweg einen Mann. Der richtige hat bei Kathrin lange gefehlt. Heute ist Kathrin mit Anfang 40 Mutter von Zwillingen, die in den Kindergarten gehen. Kathrin heißt im wahren Leben gar nicht Kathrin. Sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen, denn nicht viele wissen, dass sie und ihr Mann sich für eine künstliche Befruchtung entschieden haben.

Dabei gelang die erste künstliche Befruchtung einer menschlichen Eizelle bereits vor rund 35 Jahren. Inzwischen haben weltweit über fünf Millionen Retortenbabys das Licht der Welt erblickt. Trotzdem: "Paare mit einem unerfüllten Kinderwunsch fühlen sich oft einsam, da ist das immer noch ein Tabuthema", sagt Irene Wenzel-Hinterstößer. Sie ist eine der drei Sozialpädagoginnen, die in der staatlichen Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen am Gesundheitsamt Haßfurt arbeiten. Auf den "unerfüllten Kinderwunsch" würden sich die Sozialpädagoginnen "gerne intensiver einlassen", sagt sie. "Sicherlich wäre es unser Bestreben, den Frauen zu vermitteln, dass eine psychosoziale Beratung genauso wichtig ist." Aber sie weiß, dass meist der medizinische Rat im Vordergrund steht.

Hätte Kathrin auf eine erste ärztliche Meinung gehört, würden ihre Zwillinge ihr jetzt wohl keine feuchten Schokoküsse auf die Backe geben. Doch sie hat sich weiter beraten lassen.Dann, mit 37, gleich beim ersten Versuch, hinterließ die Befruchtung auf dem Schwangerschaftstest einen zweiten Streifen. Bereut hat die Familie diese Entscheidung nie. "Heute sagt der Verstand, jetzt ist Schluss", sagt Kathrin. Neben den Risiken einer späten Schwangerschaft, ist eine Befruchtung kostspielig - "so teuer wie eine Adoption".
Erst im März dieses Jahres hat das Bundessozialgericht entschieden, dass Frauen über 40 keine Zuschüsse für eine künstliche Befruchtung bekommen, und auch bei jüngeren Frauen nur noch bis zu 50 Prozent der Kosten übernommen werden, für die ersten drei Versuche.

Mit derartigen Bemühungen musste sich Christine nicht plagen. "Ich war gesund und fit, gelassen und ruhig, und wir haben uns schon ein Nest aufgebaut", sagt sie. Christine weiß, dass sie "an der oberen Altersgrenze" Mutter geworden ist. Sie weiß auch, dass es auf dem Land oft noch so ist, dass die Mütter viel jünger sind. Dass die Leute gerade bei ihrer zweiten Schwangerschaft "verwundert bis entsetzt" waren, interessiert sie wenig. "Es gibt Vor- und Nachteile", sagt sie, "ich weiß gar nicht, was jetzt schöner ist - für die Kinder, und die Eltern."