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Fall Gleusdorf: Noch mehr mysteriöse Todesfälle


Autor: Ralf Kestel

Gleusdorf, Sonntag, 27. November 2016

Immer mehr Leute, die in den zurückliegenden Jahren unter der jetzt verhafteten Führung in der Seniorenresidenz im Itzgrund arbeiteten, melden sich.
Am Donnerstag rückten die Ermittler mit mehreren Kleinbussen vor dem Pflegeheim zwischen Busendorf (Kreis Bamberg) und Ebern (Kreis Haßberge) an, um Beweismittel zu sichern.  Foto: News5/Herse


Eine Welle der Empörung und eine Informationsflut brach im Verlauf des Wochenendes wegen der Vorkommnisse und Festnahmen in der Seniorenresidenz an der Itz über unsere Redaktion herein. Selbst die Bild-Zeitung nahm sich am Samstag in der großer Aufmachung des Pflegeskandals an, den unsere Zeitung aufgrund der Aussagen früherer Pflegekräfte enthüllt hat.

Pflegeskandal Gleusdorf: Über den Tod hinaus ausgeplündert?


Im einstigen Lustschloss des Abtes von Kloster Banz, direkt an der Grenze von Unter- zu Oberfranken gelegen, ging es in den zurückliegenden 15 Jahren nicht lustig zu. Das wird aus neuen Aussagen weiterer Beschäftigter deutlich, die sich am Samstag und Sonntag bis aus Berlin und Frankreich in der FT-Redaktion in Ebern meldeten und nicht zum engeren Zirkel der Informanten zählen.

Mit einer Handfraktur vom Krankenhaus zur Kurzzeitpflege in die Seniorenresidenz - und nie mehr nach Hause, weil verstorben. Dieses Schicksal ereilte eine Heimbewohnerin aus dem Bereich Maroldsweisach, die zusammen mit einer psychisch Kranken in ein Zimmer gesteckt wurde, wie eine Pflegekraft aus dem Jahr 2010 berichtet. "Die Frau lief noch eigenständig und war geistig fit, hatte nur eine Handfraktur. Und plötzlich lag sie eines Morgens tot im Bett."

"Aus Angst", vermutet die Altenpflegerin, denn: Die Frau sei mehrfach von der geistig Verwirrten in ihrem Zimmer drangsaliert worden. "Sie wurde aus dem Bett rausgezerrt, die Decke abgenommen und mit Getränken überschüttet. Ich habe die Geschäftsführerin und den Pflegedienstleiter mehrfach informiert, wurde aber abgewimmelt, dass kein anderes Zimmer zur Verfügung steht und ich dies irgendwie anders regeln soll."


Schloss Gleusdorf: Chefin teilt die Pillen auf?

Auch bestätigt unsere Gesprächspartnerin aus dem nördlichen Landkreis Haßberge, dass die Medikamente, die einmal in der Woche von einer Apotheke aus dem Landkreis Bamberg angeliefert wurden, stets versiegelt gewesen seien. Aber: Die Geschäftsführerin, eine gelernte Kinder-Krankenschwester, passionierte Porsche-Fahrerin und Seglerin, hat "sie immer alle aufgemacht und ausgetauscht. Die Medikamente gingen rein und raus". Deswegen sei sie am Tag der Lieferung abends auch länger geblieben.

Und die Altenpflegerin schiebt auch Selbstkritik nach: "Vielleicht hätte ich als Fachkraft genauer hinschauen müssen, ob die verabreichten Medikamenten mit den verschriebenen zusammen passen." Ein Sprecher des Gesundheitsministerium in München bestätigte gegenüber unserer Zeitung am Wochenende, dass er aufgrund eines Kontrollbesuches durch die Heimaufsicht der Regierung von Unterfranken noch vor dem eigentlichen Prüfbericht darüber informiert worden sei, dass " dass bei der letzten anlassbezogenen Begehung (am Buß- und Bettag) keine schwerwiegenden Vorwürfe bestätigt worden seien". Gefunden wurden den Angaben zufolge aber ungeöffnete Psychopharmaka, die "sich keinem Bewohner zuordnen ließen".

Bei den externen Fachleuten melden viele der einstigen Bediensteten ihre Zweifel an: "Der Psychologe kam stets mit seiner Gehilfin mit ihren Stöckelschuhen, die nie zu den Bewohnern gegangen sind oder mit ihnen gesprochen haben, sondern sich zum Kaffeekränzchen mit Häppchen und Plausch zur Chefin gesetzt haben und dann wieder zurück gefahren sind". Nach Werneck ins Bezirksklinikum.


Schloss Gleusdorf: Kontrollen mit Vorwarnung?

Die einstige Fachkraft - "mein schlimmstes Haus, hauptsächlich wegen der Leitung" - bestätigt die Aussagen ihrer Kolleginnen, wonach Dokumente ausgetauscht, Pflegeberichte regelmäßig geschönt und gefälscht wurden. "Ich habe meine Unterschrift verweigert. Das Theater wollt' ich nix mehr mitmachen."

Zur Glaubwürdigkeit der Kontrollinstanzen hat sie ihre eigene Ansicht: "Dass die Heimaufsicht oder der MDK kommt, haben die Chefs immer zwei Tage vorher gewusst und die entsprechenden Vorkehrungen getroffen." Einzig einem Amtsrichter attestierte eine andere Fachkraft aus einem Gemeindeteil von Maroldsweisach Sorgfalt bei seinen Besuchen. "Der hat auch mal nachgefragt." Aber wenn der weg war, seien "alle Leute festgemacht worden, wenn sie nicht spurten. Im Bett oder im Rollstuhl. Auch ohne Fixierungsbeschluss. Natürlich hätten wir uns gegen diese Vorgaben zur Wehr setzen müssen", gesteht die Zeugin, die nach eigenen Angaben drei Schichten in Folge geschoben habe - bei lediglich zwei Stunden Pause. Auch sie hat Sachen von Zuhause mitgebracht, um den Heimbewohnern das Leben zu erleichtern. "Wegen einer Wärmeflasche für eine Frau, die ständig kalte Füße hatte, wurde ich von der Chefin fürchterlich zusammengestaucht."


Schloss Gleusdorf: Arzt gerufen, zur Sau gemacht?

Davon und weiteren Kritikpunkten habe sie auch dem Vertreter der Heimaufsicht berichtet. "Der hat es sich angehört, ist gegangen und passiert ist nichts." Oft seien eine Woche vor dem Besuch der Kontrolleure "die Dokumente gewühlt und neue Listen ausgegeben worden". Die Maroldsweisacherin: "Und wir mussten unsere Kreuzchen machen. Wenn sich einer weigerte, wurde mit fristloser Kündigung gedroht."

Das passierte ihr auch bei einem anderen Vorfall: "Eine 96-jährige Frau (Name bekannt) lag mit hohem Fieber im Bett und ihr Zustand wurde immer schlechter. Da hab' ich die Chefin geholt und ihr gesagt, dass die Frau ins Krankenhaus muss. Sie untersagte mir, einen Arzt zu rufen. Als ich im Nachtdienst dann doch einen Arzt aus Ebern holte (auch bekannt), der eine Einweisung ins Krankenhaus verfügte, sonst wäre sie gestorben, wurde ich am nächsten Morgen zur Sau gemacht."

Von einem Ertrunkenen im Teich des kleinen Schlossparkes weiß auch ein Ergotherapeut aus Bamberg, der "es unter diesen Verhältnissen aber nicht lange ausgehalten hat".

So wurde er zurückgepfiffen, als er seine Schützlinge so weit hatte, dass sie wieder selbstständig ihren Pudding löffeln konnten. "Das hätte die höhere Einstufung bei der Pflegestufe gefährdet."


Schloss Gleusdorf: Mit Tabletten "abgeschossen"?

Auch hat er beobachtet, wie "an Leuten rumgeschnippelt wurde, ohne dass ein Arzt hinzu gezogen worden wäre" und dass Stromkabel ohne jegliche Isolierung von der Wänden hingen.

Zu den "Erziehungsmethoden" führt der Bamberger aus, dass "besonders die Alkoholiker, die nicht spurten" dergestalt sanktioniert wurden, dass sie nur eine Zigarette am Tag bekamen. Dass sich daraufhin Entzugserscheinungen einstellte, habe der stets unterbesetzte Nachtdienst zu spüren bekommen, erzählten mehrere Betreuerinnen unserer Redaktion unabhängig voneinander. "Oder die Leute wurden vorher durch entsprechende Medikamente abgeschossen", so eine Hilfskraft, die bis Februar 16 Jahre im Heim tätig gewesen war .


Schloss Gleusdorf: Auch zufriedene Leute

Es gibt aber auch andere Stimmen: Eine Frau aus Knetzgau meldete sich am Wochenende mit einer zweiseitigen Einlassung in unserer Redaktion: Sie kann sämtliche Vorwürfe nicht verstehen und nachvollziehen. Ihr Vater sei mit 97 Jahren 3,5 Monate im Schloss gewesen und fast täglich besucht worden. "Wir waren überrascht, wie sauber es dort war. Es wurde täglich geputzt und wir hatten den Eindruck, auch die Betten waren täglich neu überzogen. Er war sauber angezogen."

Sogar zusätzliche Kleidung sei zur Verfügung gestellt, wofür nichts bezahlt werden musste. "Die anderen Zimmer auf dieser Station standen meist offen und wir hatten den Eindruck, dass die anderen Bewohnern die gleiche Betreuung wie unser Vater genossen."



Stimmen zu den Vorkommnissen in der Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf

Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) - laut einem Bericht im Focus hat die Hallstadterin aus ihrer Heimatzeitung ( Fränkischer Tag) vom Problemfall erfahren: ""Ich nehme Hinweise auf mögliche Missstände in Pflegeheimen oder Seniorenresidenzen sehr ernst. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass sie oder ihre Angehörigen menschenwürdig behandelt und angemessen betreut werden. Deshalb hatte das bayerische Gesundheits- und Pflegeministerium auch im Fall der Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf die Regierung von Unterfranken beauftragt, die Vorwürfe zu prüfen. Mein Ziel ist, möglichst frühzeitig Informationen über schwerwiegende Vorwürfe gegenüber Pflegeheimen zu bekommen. Wir werden das bisherige Vorgehen der zuständigen Heimaufsicht des Landkreises Haßberge im Fall der Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf prüfen. Dabei geht es auch darum, ob grundsätzliche Verbesserungsmöglichkeiten bei der Begehung von solchen Einrichtungen sinnvoll sind. Ferner hat das Staatsministerium die Regierung von Unterfranken aufgefordert, dass die zuständige Heimaufsicht nun die Seniorenresidenz engmaschig begleitet und gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zügig anordnet."

Dr. Christine Belz-Hensoldt, eine frühere Eigentümerin, die jetzt mit ihrem Mann Norbert Belz in Frankreich lebt und über eine ZDF-Sendung von den Vorgängen erfuhr: "Im fernen Frankreich haben wir, ehemalige Eigentümer dieses schönen Banzischen Barock-Schlosses, mit großer Bestürzung über die beschämende Entwicklung dieses Hauses gelesen. Einst hat Gleusdorf als Verwaltungssitz des Klosters Banz gedient, lange Jahre ist es im Besitz der Pallottiner, später der Schwestern dieses Ordens gewesen, von denen wir es 1980 erwarben und es über 10 Jahre liebevoll restauriert haben. Beim Verkauf hofften wir, dass es, nomen est omen, zu einer wirklichen Residenz für Senioren werden könnte. Auch wenn nur ein Bruchteil der jetzt erhobenen Vorwürfe zutrifft, bereuen wir es zutiefst, mit unserem Verkauf damals zu dieser beschämenden Entwicklung beigetragen zu haben."

Norbert Lohneiß, ehemaliger Bundeswehroffizier und Ortssprecher von Gleusdorf: "Mit großer Bestürzung habe ich die Berichte im FT und die sonstigen jüngsten Medienberichte über die Ereignisse rund um die Seniorenresidenz Gleusdorf zur Kenntnis genommen. Darüber war ich deshalb auch sehr betroffen, da ich bis dahin nie etwas Negatives über die Seniorenresidenz gehört habe. Ein Urteil oder eigene Einschätzung über diese Vorgänge kann ich schon deshalb nicht treffen, weil ich keinerlei Kenntnis über die internen Betriebsvorgänge in diesem Heim habe und dort auch keine Angehörige, Verwandte oder Bekannte von uns untergebracht sind. Auf das sogenannte "Hörensagen" gebe ich grundsätzlich nicht viel, sondern verlasse mich auf das Ermittlungsergebnis der Staatsanwaltschaft und der Polizei."

Helmut Dietz, Bürgermeister von Untermerzbach (SPD):"Ich , aber auch die Bürger der gesamte Gemeinde Untermerzbach sind schockiert über die heftigen Beschuldigungen gegen die Verantwortlichen der Seniorenresidenz. Viele, wie ich auch können und wollen es nicht glauben, was im Seniorenheim Gleusdorf, in unserer Gemeinde, geschehen sein soll. Ich auch deshalb nicht weil mir bei meinen Besuchen zu Geburtstags- Gratulationen in den vergangenen Jahr wie auch kürzlich noch, bezüglich der Anschuldigungen, nichts aufgefallen ist.
Auch auf Grund der vorherigen FT-Berichterstattung haben mir telefonisch Angehörige von ehemaligen Heimbewohnern und noch dort wohnenden bestätigt, dass diese gut gepflegt und versorgt wurden oder werden. Dies bestärkt auch meinen Eindruck, den ich bei meinen Besuchen in den vergangenen acht Jahren mitgenommen habe. Dass die Bewohner von Schloss Gleusdorf durch die Verantwortlichen und den Personal der Einrichtung gut versorgt und gepflegt werden. Deshalb sollten wir die Ergebnisse der Untersuchungen der Staatsanwaltschaft, mit allen zuständigen Behörden, abwarten. Meiner Meinung nach sollte man sich in der Angelegenheit auf eine sachliche Berichterstattung ohne Spekulationen beschränken. Dies, vor allem, wegen Rücksicht auf die Heimbewohner und des Personals, das sie jeden Tag ihres Aufenthaltes pflegt und versorgt. Ich hoffe, dass die Ermittlungen schnell vorangehen und zeitnah Ergebnisse in der Sache bringen."