Druckartikel: Erst das Essen, dann der Schaden

Erst das Essen, dann der Schaden


Autor: Manfred Wagner

Haßfurt, Dienstag, 05. November 2013

Das Amtsgericht in Haßfurt hat ein Verfahren wegen Fahrerflucht gegen einen 67-jährigen Mann gegen eine Geldauflage eingestellt. Richter Martin Kober zeigte Verständnis für das Verhalten des Angeklagten, der alten Leuten hilft.
Das Amtsgericht in Haßfurt Foto: Flegel/Archiv


Eine wie auch immer geartete kriminelle Energie kann man einem 67-jährigen Rentner, der zum ersten Mal in seinem Leben vor Gericht stand, wahrlich nicht nachsagen. Unerlaubt, so steht es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, soll sich der Senior nach einem Autounfall vom Tatort entfernt haben. Nachdem das Gericht in einem prozess am Amtsgericht Haßfurt die Begleitumstände erörtert hatte, zeigte Richter Martin Kober ein gewisses Verständnis für das Verhalten des Angeklagten. Er stellte das Verfahren gegen eine Geldauflage von 900 Euro ein. Ein Fahrverbot bleibt dem älteren Mann erspart.
Der Rentner erzählte, dass er im Landkreis auf 400-Euro-Basis für das Rote Kreuz arbeite. Etwa an vier Tagen in der Woche holt er bei einem gastronomischen Betrieb etliche Mittagessen in Wärmebehältern ab und fährt die Speisen anschließend zu den oft pflegebedürftigen oder allein stehenden Empfängern im nördlichen Teil des Kreises. Und genau dabei ereilte ihn am 6. September dieses Jahres ein Missgeschick.

Mit einem anderen Wagen

An diesem Tag befand sich das Automobil, mit dem er üblicherweise unterwegs war, in der Autowerkstatt. Demzufolge musste er damals auf einen anderen, größeren Wagen der Wasserwacht umsteigen. Beim Vorwärts-Einparken ist es dann offensichtlich passiert - mit dem ungewohnten Auto schrammte er gegen den VW Passat einer ihm bekannten Frau. Die Stoßstange des angefahrenen Autos wurde dabei verbeult und hing zu Boden.
In dieser Situation, schilderte der Angeklagte, befand er sich in einem unsäglichen Dilemma: Ihm war klar, dass er verpflichtet war, entweder die Polizei zu verständigen oder vor Ort so lange zu warten, bis die Geschädigte erschien. Andererseits aber warteten zahlreiche Senioren - mit ungeduldigem Blick auf die Küchenuhr - auf ihr warmes Essen.
Der unbescholtene Unfallverursacher, der seit 49 Jahren seinen Führerschein hat, informierte erst einmal die Mitarbeiterin des Gastro-Betriebes über den Unfall. Der angefahrene Pkw stand direkt vor deren Ladentür. Sodann versorgte er die in der Nähe wohnende Kundschaft mit dem Essen.

Die Polizei war schon da

Bemüht, weiteres Unheil zu vermeiden, stoppte er während dieser Tour am Anwesen des Vaters der Auto-Eigentümerin. Da traf er jedoch nur einen Beschäftigten an. Als er zu dem beschädigten Pkw zurückfuhr, war es zu spät. Am Tatort befand sich neben der Autobesitzerin auch die Polizei. Die Beamten waren bereits damit beschäftigt, den Vorfall zu protokollieren.
Als Folge erhielt der Beschuldigte einige Zeit später Post vom Staatsanwalt. Laut Strafbefehl sollte er eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen á 30 Euro bezahlen und drei Monate kein Auto fahren. Dagegen erhob sein Anwalt Hans Andree Einspruch. Mit Erfolg: Der Vorsitzende des Gerichts schenkte dem angeklagten Rentner Glauben und sah in diesem speziellen Fall keine klassische Fahrerflucht.
Da die Staatsanwältin Anne-Christine Breith einwilligte, wurde das Verfahren gegen eine Geldauflage eingestellt. Der Rot-Kreuz-Fahrer muss 900 Euro an die Kreisverkehrswacht bis 10. Januar zahlen. Wie gewohnt darf er seine Kundschaft weiterhin mit Essen versorgen.