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Energiewende: Die Papierfabrik Palm in Eltmann gibt Gas


Autor: Günter Flegel

Eltmann, Montag, 14. Januar 2019

Der Papierhersteller Wolfgang Palm baut sein Stammwerk im schwäbischen Neukochen für 500 Millionen Euro neu. Auch in Eltmann wird investiert: Das Kraftwerk der Papierfabrik soll das Stromnetz stabilisieren. Das ist ein bundesweit einzigartiges Pilotprojekt.
Foto: Günter Flegel


Dass man mit Papier heute überhaupt noch Geld verdienen kann, ist an sich schon ein kleines Wunder. Die Papierfabriken der Unternehmensgruppe Palm tun das seit Jahrzehnten überaus erfolgreich. Sie erwirtschaften mit 4000 Mitarbeitern an 30 Standorten 1,6 Milliarden Euro im Jahr - trotz Online-Boom ist zumindest Palm noch weit weg von einer papierlosen Welt. Und das wird wohl noch lange so bleiben, sonst würde der Unternehmer Wolfgang Palm nicht in den kommenden Jahren rund 600 Millionen Euro in seine Werke investieren.

Der Plan sieht auch einen "hohen zweistelligen Millionenbetrag" für Eltmann vor, verrät Palm dieser Redaktion. Eine weitere, dann die dritte Papiermaschine wird es nicht sein; Schwerpunkt der technischen Innovationen ist das Gaskraftwerk, das Palm in Eltmann 2007 in Betrieb genommen hat.

Ein Stück weit unabhängig

"Damit haben wir uns damals ein Stück weit unabhängig gemacht von den Bewegungen auf dem Energiemarkt", sagt Palm. In das Kraftwerk wurden 50 Millionen Euro investiert, es hat eine Leistung von 55 Megawatt und könnte eine Großstadt wie Bochum, rund 400 000 Menschen, mit Strom versorgen. Der Clou an der mit Erdgas betriebenen Anlage: Sie liefert die beiden Formen von Energie, die in einer Papierfabrik rund um die Uhr in großen Mengen benötigt werden, Strom (mit einer Gasturbine) und Prozesswärme, sprich Dampf. Das ist die Wärme, die in thermischen Kraftwerken in der Regel als "Abfall" anfällt, da sie vor Ort nicht genutzt werden kann und über Kühltürme oder Kühlwasser entsorgt werden muss. Sie verpufft nutzlos.

80 Prozent Wirkungsgrad

Der Doppel-Nutzen des eigenen Kraftwerks führt in Eltmann zu einem Wirkungsgrad von über 80 Prozent - ein Wert, von dem andere Kraft-Wärme-Maschinen nicht einmal träumen können. Und das beschert Palms Dampfmaschine große Aufmerksamkeit. Bis zur Bundesregierung hat es sich herumgesprochen, dass in Eltmann Technik zu finden ist, wie man sie landesweit für die Umsetzung der Energiewende braucht.

Und das ist auch der Grund für die im kommenden Jahr anstehende Investition in Eltmann. Palms Kraftwerk ist für die Stromversorgung der Region "systemrelevant". Wenn die Anlage etwa zu Wartungszwecken still steht, braucht Palm viel Strom aus dem Netz.

Die Turbine als Turbo

Was auch immer im Kraftwerk passiert: Es muss mit der Bundesnetzagentur abgestimmt werden. Daraus wollen beide Seiten jetzt einen Vorteil generieren. Eine Herausforderung der Energiewende in Deutschland ist, dass ein immer größer werdender Teil der elektrischen Energie von Sonnen- und Windkraftwerken erzeugt wird.

Am Montag etwa lieferten gegen Mittag die Windkraftanlagen in Deutschland fast 40 Gigawattstunden Strom bei einem Gesamtverbrauch von 78 Gigawattstunden (Quelle: Agora Energiewende). Dieser Wert ist keine Konstante, Wind und Sonne liefern schwankende Energie, die Stromerzeugung und der Verbrauch sind selten synchron. Um das auszugleichen, denkt die Bundesregierung über den Einsatz von Gaskraftwerken nach. Sie können schnell hochgefahren und abgeregelt werden.

Wer baut die Lückenbüßer?

Doch solche Kraftwerke sind rar, und wer derartige neue Anlagen als "Lückenbüßer" finanzieren und bauen könnte, ist offen. Deshalb ist man in Berlin auf Palm gestoßen. "Unser Kraftwerk ist ja schon da, und es hat genau die Eigenschaften, die gefordert sind", sagt Palm.

Der Umbau des Kraftwerks in Eltmann, für den jetzt das Genehmigungsverfahren begonnen wird und der 2020 umgesetzt werden soll, macht aus der Kraftmaschine für die Papierfabrik einen Turbolader für die Energiewende. Die Leistungsfähigkeit des Kraftwerks wird erhöht. Dann werden Vorrichtungen, Steuersysteme und anderes eingebaut, um das Kraftwerk ins Netz einzubinden - nicht als Einbahnstraße, in beide Richtungen. Das Prinzip, das in Eltmann als bundesweites Pilotprojekt umgesetzt werden soll, sieht so aus: Wenn im Stromnetz mehr Sonnen- und Windstrom zur Verfügung steht als verbraucht wird, drosselt Palm die Leistung seines Kraftwerks, holt sich den Strom aus dem Netz und entlastet so das System.

Win-Win(d)-Situation

Umgekehrt: Wird im Netz viel Strom gebraucht, ohne dass Windräder und Solarzellen genug liefern können, fährt Palm seine Anlage "bis zum Anschlag" hoch, so dass neben dem Eigenbedarf auch noch elektrische Energie für andere Abnehmer abfällt. "Es ist eine Win-Win-Situation, von dieser Lösung profitieren beide Seiten", sagt Palm, der heuer mit seinen Mitarbeitern und der Bevölkerung das 25. Jubiläum der Papierfabrik feiern wird.

Noch weit mehr als in Eltmann investiert Palm da, wo er zuhause ist, im Stammwerk in Aalen/Neukochen. Dort hatte Palms Urgroßvater 1872 mit der Produktion von Recycling-Papier begonnen. Die Idee des Urgroßvaters ist bis heute das Geschäftsmodell der Unternehmensgruppe Palm. Auch in der Papierfabrik Eltmann, die 1994 gebaut und 1999 um eine zweite Maschine erweitert wurde, setzt Palm auf Recycling. Die Papiermaschinen der Palm-Gruppe produzieren 2,1 Millionen Tonnen Papier im Jahr.

Nicht von Pappe: ein Schwabenstreich

Dazu kommen 700 000 Tonnen Wellpappe. Diese Kombination ist der Stein der Weisen, den Palm gefunden hat, um der Krise der Print-Produkte zu trotzen. In ähnlichem Maße, wie das gedruckte Wort Marktanteile verliert, wächst durch den boomenden Online-Handel der Bedarf an Verpackungsmaterial.

Um da besser aufgestellt zu sein, wagt sich Palm in Neukochen an einen Schwaben-Streich: Das Stammwerk, in dem sich drei Papiermaschinen drehen, die in die Jahre gekommen sind, wird durch einen Neubau ersetzt. 500 Millionen Euro investiert der Unternehmer.