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Druckartikel: Eine Familie auf den Spuren ihrer Vorfahren

Eine Familie auf den Spuren ihrer Vorfahren


Autor: Johanna Eckert

Ermershausen, Sonntag, 17. August 2014

Jeanie Weisberg kam mit ihrem Sohn Richard und dessen Freund Jeffrey Kolson nach Ermershausen. Hier befinden sich die deutschen Wurzeln der amerikanischen jüdischen Familie.
Die Nachfahren der jüdischen Familie Fichtelberger gedenken auf dem Friedhof in Ermershausen ihrer Vorfahren. Fotos: Johanna Eckert


Es war das Jahr 1938. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges stand kurz bevor. Für die Juden in Deutschland war die Lebenssituation zu diesem Zeitpunkt bereits aussichtslos. Die Novemberpogrome markierten den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete. Wer konnte, der versuchte sich zu retten. Stieg in all dem Chaos auf ein Schiff Richtung Amerika, um dort ein Leben in Freiheit und mit Rechten zu leben.

Leben in Frieden und Freiheit

Auch das junge Paar Max und Beatrice Junker sehnte sich nach einem Leben in Frieden. Max Junker stammte aus dem Hause Fichtelberger in Ermershausen. Die beiden wagten die Reise über den Atlantik. Nach einigen Tagen an Bord wurde Beatrice Junker stark seekrank. In Amerika angekommen, besserte sich ihr Zustand nicht. Nach wenigen Wochen wusste die junge Frau: Sie war schwanger. Im Jahr 1939 hat sie ihre Tochter Jeanie zur Welt gebracht.

Jeanie heißt mittlerweile Jeanie Weisberg, ist 75 Jahre alt, lebt mit ihrem Mann in "Upstate New York" in der Nähe von Toronto und hat drei Kinder. Sie weiß, dass ihre Eltern "wegen Hitler" Deutschland verlassen haben. Bilder von der Vergangenheit aus Deutschland hat sie in ihrem Plastiktütchen. Etwas vergilbt sind sie bereits. Aber ihre Großmutter, Gitta Fichtelberger, ist noch zu erkennen. Auch die Häuser der Fichtelbergers in Ermershausen. Deutsch ist die Muttersprache der Amerikanerin.

Dort, wo die Eltern einst lebten

Am Samstag stand Jeanie Weisberg mitten in Ermershausen. Mit ihrem Sohn Richard und dessen Lebensgefährten Jeffrey Kolson. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Jeffrey sehr rührig mit der deutsch-jüdischen Familiengeschichte seines Freundes. Vor zehn Jahren hatte er Kontakt mit der Bibliothekarin Cordula Kappner aus Haßfurt aufgenommen. Er wollte alles genau wissen. Cordula Kappner hat über Jahrzehnte nahezu alle jüdischen Familiengeschichten zur NS-Zeit im Gebiet des heutigen Landkreises Haßberge dokumentiert. Jeffrey Kolson hatte Glück. Auch für die Familie Fichtelberger gab es damals schon einen vollen Ordner mit Bildern und Informationen aus der Vergangenheit.

Nun unterbrach die amerikanische Familie die Schiffsreise von Amsterdam nach Budapest für einige Stunden und ging auf Spurensuche in Ermershausen. Cordula Kappner zeigte ihnen den Stammbaum, den sie für die Familie erstellt hat. Sie sprachen über das Familienwappen, das Jeanie Weisberg heute noch als Anhänger um den Hals trägt. Und dann suchten sie nach den Häusern, in denen die Familie Fichtelberger in Ermershausen im 19. und 20. Jahrhundert gelebt hatte. Damals gab es auch noch eine Synagoge in Ermershausen.

Zum ersten Mal in Ermershausen

In Deutschland war Jeanie Weisberg schon viele Male. An diesem Samstag aber zum ersten Mal in Ermershausen. Sie war aufgeregt. "Ich dachte nie, dass ich das jemals sehen werde", sagte die 75-jährige Amerikanerin, ließ sich auf die Gartenmauer nieder und schaute das Haus an, in dem ihre Großmutter Gitta Fichtelberger gewohnt haben soll. "Das berührt mich wirklich sehr."

Die Sehnsucht, zu wissen, wo ihre persönlichen Wurzeln liegen, war mal größer, mal kleiner. Aber die Vergangenheit jetzt so nah zu spüren, machte sie glücklich.

Cordula Kappner führt immer wieder Menschen zu ihren jüdischen Wurzeln im Landkreis Haßberge zurück. Dabei lässt sie auch die Friedhöfe nicht aus. Der jüdische Friedhof in Ermershausen wurde um 1832 angelegt. Schüler der Hauptschule Maroldsweisach haben mit dem bereits verstorbenen Lehrer Jürgen Dautel eine Fotodokumentation erstellt. Die Fotografien der Grabsteine zeigten der amerikanischen Familie, wo ihre Vorfahren begraben liegen. Manchmal sind die Namen nicht mehr so genau zu erkennen.

Totengebet auf dem Friedhof

Jeanie und Richard Weisberg sowie Jeffrey Kolson ehrten ihre Vorfahren mit dem "Kaddisch" - dem jüdischen Totengebet. Sie hielten alles auf Bildern fest. Auch den Grabstein des Urgroßvaters Moses Fichtelberger, von dem noch eine handgeschrieben Postkarte existiert. 1915 ist er in Ermershausen gestorben.

Jetzt haben die drei Amerikaner die Vergangenheit ihrer Familie, der Familie Fichtelberger, nicht nur schwarz auf weiß, sondern auch in bunt und echt gesehen. Und sie legten auf jeden Grabstein einen Kieselstein: "Das ist ein Zeichen, dass wir hier waren", sagt Jeanie Weisberg mit ruhiger und zufriedener Stimme. Nach drei Stunden in Ermershausen hat sie das Taxi wieder nach Bamberg gebracht, wo das Schiff auf sie zur Weiterreise gewartet hat.