Diese Scherben im Maintal sind 2500 Jahre alt
Autor: Brigitte Krause
Sand am Main, Dienstag, 12. November 2013
Ein spannender Fund im Maintal bei Sand kommt gerade recht zum Jubiläumsjahr der Gemeinde 2014. Mark Werner hat vor kurzem in einer Kiesgrube Teile eines Gefäßes gefunden, das Fachleute in die Hallstatt-Zeit datieren. Spekulieren erlaubt.
Sein Fund ist für den gebürtigen Sander Mark Werner so etwas wie Weihnachten und Ostern zusammen, es ist "mein Baby", wie er sagt, und sein Strahlen dringt durch das Telefon. Er hat Ende Oktober, wie er berichtet, Hinweise auf einen möglichen Bestattungsplatz aus der Hallstattzeit vor etwa 2500 Jahren im Maintal bei Sand entdeckt. Oder haben hier einst im Urstrombereich auf einer Sanddüne Menschen gewohnt? Man weiß es nicht, es liegt im Bereich der Spekulationen. Sicher ist nur eins, die Scherben des Gefäßes sind 2500 Jahre alt.
Ein Spaziergang mit Luis
Dass sich sein Sonntagsspaziergang mit Sohn Luis (8) so entwickeln würde, das hätte Mark Werner nicht gedacht. Wieder einmal, schildert Werner, wählte Luis als Ziel eine Sand- und Kiesgrube in der Sander Flur. Und wieder einmal richtete der Papa einen konzentrierten Blick auf die vom Humus befreiten Sandlagerstätten am Ufer.
Immerhin hat er schon einmal eine archäologische Entdeckung gemacht: in einer Kiesgrube bei Ziegelanger verkohlte Holzpfosten, die, wie sich herausstellte, um 1690 gefällt worden waren. Seit 1997 widmet sich der heute 40-jährige Gebietsverkaufsleiter einer Stahltürenfirma der Vor- und Frühgeschichte. Damals erstmals im Außendienst, hatte er Rast gehalten am Castell Ellingen, sein Blick war auf das alte Gemäuer gefallen, und damit begann seine Liebe zur Vorgeschichte. Die heimische Bibliothek hat sich um etliche Bände vermehrt, der Blick für die geschichtlichen Schätze der Erde geschärft.
Auf das "Papa, guck mal!" von Luis, der am Wasser spielte, schaute Werner und erkannte im seichten Uferwasser sofort eine großförmige Keramikscherbe. Bei genauerer Betrachtung erkannte der Sander, dass er wohl einen seiner bedeutendsten Funde in den Händen hielt. Und vor seinen Füßen - direkt an der Uferzone des Baggersees - lag eine stattliche Anzahl weiterer Scherben, für die er gleich ein sehr hohes Alter vermutete.
Da ist Bewegung drin...!
Dieser letzte Oktobersonntag war sehr windig, die Uferzone brach ständig ein, der Strandbereich rutschte in die Tiefe ab. So entschied sich Mark Werner zu etwas, das er als Mitglied im Historischen Verein des Landkreises Haßberge sowie der Gesellschaft für Archäologie in Bayern ansonsten verabscheut: Er barg die Scherben selbst.
Denn ihm war bewusst, dass alleine die Zeit, die man für eine ordnungsgemäße Fundmeldung gebraucht hätte, gereicht hätte, um die Stücke für immer in den Sandmassen zu verlieren. Lieber hätte er die Fundstelle für die Fachleute unberührt gelassen, doch hier war Gefahr im Verzug. Am gleichen Tag meldete er seinen Fund per Mail dem Landesamt und der Kiesabbaufirma.
Bald darauf hatte die Behörde einen Grabungstechniker geschickt. Im Telefongespräch mit dem stellvertretenden Referatsleiter Bodendenkmäler, Andreas Büttner, offenbarte sich eine prekäre Situation: Bei Werners Fund handelt es sich um ein Kegelhalsgefäß aus der Späthallstattzeit (etwa 500 Jahre vor Christus). Die Frage war: Sandabbau einstellen und das Gebiet für teuer Geld untersuchen lassen oder nichts unternehmen mit der Gefahr, dass ein sensationeller Fundort (womöglich gar ein keltenzeitliches Gräberfeld im direkten Maintal) für immer unentdeckt verloren geht?
Man fand einen Kompromiss, mit dem auch die Denkmalpflege leben konnte: Per Bagger sichteten Mark Werner und Firmenmitarbeiter vorsichtig Schaufel um Schaufel des Sandes vom Umfeld des Fundorts. Allerdings fand sich nichts mehr.
Eine ungewöhnliche Stelle für solch einen Fund
Wie kam die Schale an einen der tiefsten Punkte im Maintal? Andreas Büttner spricht von einer "ungewöhnlichen Stelle ganz unten im Maintal", das sei schon "ganz spannend". Er geht davon aus, dass es im hochwassergefährdeten Maintal kaum Siedlungen gab, höchstens auf Sanddünen oder am Hang. Etwa wie in Haßfurt, wo im Gewerbegebiet an der B 26 (Obi) in der Godelstatt vor Jahren Funde gesichert werden konnten.
Die Denkmalpfleger sichteten das Urkataster: Hier hat es kaum Dünen, höchstens eine kleine Erhebung gegeben, berichtet Büttner; möglich ist also ein "Verlustfund": "Kann sein, dass jemand auf seinem Boot hier geschippert ist und das Gefäß verloren ging." Außerdem haben die Teile "keinen Leichenbrand" - also ein Gefäß ohne heute nachweisbaren Inhalt. Wurde es verloren oder angespült? "Es sind relativ viele Teile da, das heißt, es kann nicht weit transportiert worden sein", urteilt Büttner.
Das Gefäß an sich ist der Wissenschaft bekannt: Das Kegelhalsgefäß maß etwa 40 Zentimeter im Durchmesser und war 35 Zentimeter hoch. Die keltischen Völker der späten Hallstattzeit haben es benutzt für Vorräte bis hin zum Behältnis für Grabbeigaben. Die Epoche, 850 bis 450 vor Christus, ist benannt nach einem Fundort im österreichischen Hallstatt.
In der Fachwelt ist es umstritten, erklärt Mark Werner, warum es im Maintal nahezu keine Siedlungs- und Fundorte aus vorgeschichtlicher Zeit gibt. Die einen meinen, dass keiner im Hochwasserbereich siedeln wollte und dass es daher kaum etwas zu finden gäbe.
Andere glauben, dass die fruchtbaren und leicht zu bearbeitenden (Sand-)Böden der Talsohle sowie der Fluss als Verkehrsweg und Nahrungslieferant zwingend zur Besiedlung geführt haben müssen. Der mäandrierende Main und seine Hochwässer, so diese Meinung, sorgten dafür, dass diese Siedlungen kaum archäologische Spuren hinterließen. Baute man doch mit leicht vergänglichen Materialien wie Holz, Stroh und Lehm. Für Mark Werner ist der Fund ein Indiz für die Besiedlung der Sander Flur zur Keltenzeit.
Die Untersuchung durch das Landesamt für Denkmalpflege, Außenstelle Bamberg im Schloss Seehof/Memmelsdorf, brachte noch eine Überraschung: Es waren zwei Gefäße - für Werner ein Hinweis auf eine Grablegung. Die "frischen" Bruchkanten und die Fundsituation deuten darauf hin, dass die Gefäße nur unwesentlich durch den Fluss verlagert wurden.
Zum 875. Jubiläumsjahr
Für Mark Werner, der für das Sander Jubiläumsjahr 2014 auch dabei ist, Quellen aufzuarbeiten, passt dieser Zufallsfund: Oft würden solche Feierlichkeiten missverstanden, viele vermuten, der Ort sei vor 875 Jahren gegründet worden. "Dem ist jedoch nicht so, lediglich die ersten schriftlichen Nachweise sind entsprechend alt - die ersten Einwohner kamen jedoch schon viele Generationen vorher!" Wann tatsächlich das erste Haus gebaut wurde, ist unbekannt; Chancen, das herauszufinden, ergeben sich höchstens durch archäologische Bestandsaufnahmen, etwa bei Baumaßnahmen im Altort.
Für Werner legt der Fund nahe, "dass Sand am Main weit mehr als 1000 Jahre alt sein dürfte; lediglich die älteste dokumentierte Amtshandlung, die bisher belegbar ist, geschah vor 875 Jahren! Jüngste Erkenntnisse sprechen nicht nur für eine vorgeschichtliche Eisenverhüttung in der Nähe des Altortes, sondern sogar für jungsteinzeitliche Besiedlung auf Sander Flur. Es bleibt also spannend um die Geschichte von Sand am Main!"