Die Ehrenbürgerwürde? "Bedeutet mir viel"
Autor: Brigitte Krause
Oberaurach, Mittwoch, 20. Sept. 2017
Siegmund Kerker ist nun Ehrenbürger der Gemeinde Oberaurach. In den drei Jahrzehnten als Bürgermeister dort hat er Geschichte geschrieben.
Ein bisschen ruhiger geworden ist es um ihn, auch aus gesundheitlichen Gründen. So ganz aber kann Siegmund Kerker auch mit 70 Jahren die Finger nicht von der kommunalpolitischen Arbeit lassen. Den Landtagsabgeordneten Steffen Vogel zu unterstützen, das fällt ihm leicht: Er kennt den Landkreis und seine Bewohner wie seine Westentasche. Oberaurach und den Steigerwald wie sich selbst.
Am Lieblingsplatz Sofa im lichtdurchfluteten Wohnzimmer liegt der Terminkalender bereit. Der Fernseher nicht weit. Aber der Typ für lange Filmabende ist Siegmund Kerker nicht. Schon früher hat er sich "die Nachrichten angeschaut, dann bin ich eingeschlafen." Hobbys? Da zuckt Siegmund Kerker die Schultern. "Früher hab ich einmal geschossen" bei den Thereser Schützen, wo er seine spätere Frau Karin kennenlernte. Die beiden "Jungfrauen", vom Sternzeichen her haben sie am selben Tag Geburtstag, fanden sich nicht nur über das Schießen, die beiden sind auch Menschen, die mit Zahlen gut umgehen können - er einst Mitarbeiter im Finanzamt, sie Steuerfachfrau. Das passt, und mit zwei großen Herzen und viel Humor trägt das ein Leben lang.
Ruhe hat es im Leben des Siegmund Kerker, genau genommen, nicht viel gegeben. Der "Schaffer" ist sein Leben lang zwischen Institutionen und Mächtigen herumgesaust, - neudeutsch ein "Netzwerker" - und hat seine Kreativität in der Kommunalpolitik spielen lassen.
Der Bürgermeisterposten in Gerolzhofen, plaudert er, für den hätte ihn damals die CSU auch auf den Schild gehoben, aber da war alles "fertig". Da war das 1978 "neue" Oberaurach etwas anderes: acht kleine Gemeinden im Steigerwald, sozusagen von oben zusammengeworfen bei der Gebietsreform, einfachste Örtlichkeiten, eine so gut wie kaum vorhandene Infrastruktur, Versammlungsräume höchstens in den Dorfwirtschaften, Bürgermeister, die hauptberuflich Samenhändler, Automechaniker und Schreiner waren. "Die haben gemacht, was sie konnten", lobt Kerker, aber sie waren eben keine gelernten Verwaltungsfachkräfte.
Der 30-jährige Senkrechtstarter aus der Jungen "Revoluzzer"-Union sorgte erst einmal für einen Knaller, der landesweit die Aufmerksamkeit in einen Landstrich lenkte, der höchstens durch die Kinderlandverschickung nach dem Krieg als billige Erholungsregion für ausgezehrte Großstadtkinder bekannt war. "Ich hab' auf einen Schlag alle Baustellen eingestellt", sagt Kerker zu den damaligen Sanierungen, die die Gemeinde auf der Basis der gültigen Rechts- und Zuschusslage einfach nicht mehr bezahlen konnte. "Wir waren im Fernsehen als erste Gemeinde, die aufgrund der Gebietsreform bankrott war."
Ministerpräsident Franz-Josef Strauß musste handeln. Das Netzwerk funktionierte auch, weil der junge Haßberge-Finanzer Kollege der späteren Politprofis Franz Hofmann und Albert Meyer war. Kerker grinst über den Streich, den er damals ausführte. "Dumm war's ned." - "Streiche und Blödsinn hat er schon immer ausgeheckt", kommentiert Gattin Karin am Kaffeetisch gegenüber.
Im Zuge der schockierenden Nachrichten aus dem armen fränkischen Oberaurach wurden die Förderrichtlinien bayernweit überarbeitet. Nun wurde nicht mehr nur der Bau der Zuleitungen zur Kläranlage gefördert, sondern auch die Maßnahmen für die Ortsnetze. "Es war ein Donnerschlag", sagt Kerker: Der letztlich dazu führte, dass alle Kommunen in ähnlicher Lage nun 85 Prozent Förderung für diese Pflichtaufgabe bekamen. "Jetzt hat der Staat ja noch viel mehr Geld, jetzt müsst ich nochmal Bürgermeister sein", flachst Siegmund Kerker, "man sieht's an den Radwegen..."
Karin Kerker muss unwillkürlich mitlachen. Der Mann kam zwar "immer gut gelaunt heim", aber sie hat auch oft auf ihn verzichten müssen und die gemeinsame Tochter, naja, fast alleine aufgezogen. Denn Siegmund Kerker versank in seinem Hobby, seiner Lebensaufgabe, seinem Herzensprojekt. Kommunales Miteinander gestalten. Wie oft besuchte er Behörden in Würzburg und in München, setzte sich ins Auto und sprach auf der Heimfahrt ein Schreiben nach dem anderen ins Diktiergerät: "Da war alles noch frisch", und am nächsten Tag bekam seine Sekretärin Rosemarie Ruppenstein alles auf den Tisch.
Es war nicht nur Zuckerschlecken. Anfang der 1980er Jahre spaltete ein Thema die Dörfer, der junge Bursche aus dem Maintalort Theres, ein Fremder, bildete das Zünglein an der Waage: Wo würde das künftige Rathaus nun untergebracht? Im größten Gemeindeteil, Kirchaich, oder in Tretzendorf mit dem alten Schloss? Als der Gemeinderatsbeschluss mit 5:4 Stimmen für Tretzendorf fiel, spielten die Befürworter Musik, die Kirchenglocken läuteten. Kerker erinnert sich, dass er nach der Versammlung einem der Musiker die Trompete schon fast von den Lippen riss. Die andere Fraktion war schon mehr als getroffen. Er wollte die Gräben nicht noch mehr vertiefen.
Das Sanierungsprojekt wurde dann (bei gerade mal zehn Prozent Eigenanteil für die Gemeinde) so schön, dass ein Kirchaicher sogar die Sockelplatten spendete. Im Gemeinderat aber wirkte der Groll nach. Der "Aicher" Reiner Reimann war "liebster Feind", die Attacken des streitbaren SPD-Manns in den Sitzungen sind unvergessen. Heute verbindet die beiden Männer ein herzliche, tiefe Freundschaft.
Denn Siegmund Kerker hat die Fähigkeit zu verbinden und zu überzeugen und er steckte seine Kraft in die Sache. Zum Beispiel in die Frage, wie eine effiziente Verwaltung entsteht. Er holte sich Fachleute, er gab ihnen die richtigen Instrumente in die Hand. Oberaurach war eine der ersten Gemeinden, die Schreibautomaten hatten, dann die erste eigene Computeranlage. Gebührenberechnungen liefen über die hauseigene Computeranlage eben schnell, ein Haushaltsplan konnte quasi über Nacht überarbeitet werden in einer Zeit, in der andere Kommunen ihre Etatplanung noch über die Anstalt für kommunale Datenverarbeiten laufen ließen und dadurch viel längere Bearbeitungszeiten hatten.
Selbst hat Siegmund Kerker mit Computern bis heute nichts am Hut, aber einen Haushaltsplan in einer Nacht so durchzugestalten, dass man trotz hoher Schlüsselzuweisungen im nächsten Jahr Bedarfszuweisungen des Staates erhält (damals unglaubliche 1,5 Millionen Mark), das war schon eine Leistung. "Man muss schnell sein", wenn es um Zuschüsse geht. Und dass man dann trotz der Bedürftigkeit auch noch bauen darf, dafür muss man sich schon etwas einfallen lassen, um die Dringlichkeit für solch ein Bauvorhaben glaubhaft zu machen. Das will gut, das will perfekt begründet sein.
Kerker war oft bis elf Uhr abends im Rathaus, "und das wussten die Leut'". Die kommunikativen Fähigkeiten des Bürgermeisters zeigten sich in stürmisch wogenden Bürgerversammlungen, wo die Oberauracher wie die Rohrspatzen über Beitragsbescheide schimpften. Sie zeigten sich beispielsweise auch bei den Dorferneuerungen, für die die Mitarbeit in der Bürgerschaft essenziell war. Fatschenbrunn: Den ersten Widerstand der Dörfler, die in ihrem Ort alles wunderbar fanden, nahmen die Gemeindeoberen sportlich: "Des sind solche Knubber, aber die schaff mer noch."
Kerker ging strategisch vor, erläuterte und überzeugte ein paar Fatschenbrunner, so dass sie seine Vorstellungen von schön gepflasterten Dorfgehwegen und -plätzen und wie man dazu kommen könnte, teilten. Sieben Versammlungen brauchte es, bis diese Fatschenbrunner die anderen Fatschenbrunner überzeugt hatten. Bei der Einweihung der Straßen dann zupfte einer der Aktiven die Gattin am Ärmel: "Frau Kerker, ich zeig' Ihnen mal, was ich gepflastert hab!"
Die Zeit vergeht so schnell beim Plaudern, eine Anekdote nach der anderen kommt zutage. Siegmund Kerker bewegt heute aber vor allem eines, wenn er an diese 30 Jahre denkt: "Ich bin stolz auf meine Oberauracher. Und die Ehrenbürgerwürde, die bedeutet mir sehr viel."