Druckartikel: "Deutscher Denkmalpflege-Oscar" für Untermerzbach und Memmelsdorf - "Vorbild für ganz Europa"

"Deutscher Denkmalpflege-Oscar" für Untermerzbach und Memmelsdorf - "Vorbild für ganz Europa"


Autor: Stefan Lutter

Untermerzbach, Dienstag, 29. Oktober 2024

Ein besonderes Projekt in Unterfranken hat die bedeutendste Ehrung im Bereich des Denkmalschutzes in Deutschland erhalten.
Blick in den sanierten Teil der ehemaligen Gleusdorfer Synagoge: Die höchste Auszeichnung auf dem Gebiet des Denkmalschutzes in Deutschland geht nach Unterfranken. Preisträger seien die Gemeinde Untermerzbach und der Träger- und Förderverein Synagoge Memmelsdorf, wie das Kunstministerium in München am Montag, 28. Oktober 2024, mitteilte.


Mit dem "Deutschen Preis für Denkmalschutz" geht die bundesweit höchste Auszeichnung für den Erhalt historisch wertvoller Gebäude in diesem Jahr nach Unterfranken - genauer in den Landkreis Haßberge: Wie das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst am Montag, 28. Oktober 2024, mitteilte, seien die Gemeinde Untermerzbach und der Träger- und Förderverein Synagoge Memmelsdorf in Unterfranken e.V. am Montag in Mainz mit der "Silbernen Halbkugel" prämiert worden.

Damit werden die Verdienste der beiden Preisträger rund um die Restaurierung der Synagogen in Memmelsdorf und Gleusdorf sowie "die Präsentation der reichen jüdischen Geschichte der Region" gewürdigt. Anlässlich des Gedenkjahres "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" wurde laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) vor drei Jahren in der ehemaligen Synagoge des kleinen Gleusdorf, das zu Untermerzbach gehört, ein Lernort eingerichtet. Der Ort, an dem sich die jüdische Gemeinschaft bis 1909 zum Beten versammelte, bietet nun umfassende Informationen zum Landjudentum.

Deutscher Preis für Denkmalschutz geht nach Unterfranken

Wie das für die Preisverleihung zuständige Komitee erklärt, hätten sich Kommune und Verein die Auszeichnung für die die exemplarische Darstellung der facettenreichen Geschichte des fränkischen Landjudentums "als integraler und selbstverständlicher Bestandteil der Orts- und Landesgeschichte" verdient. "Der kleinen unterfränkischen Gemeinde Untermerzbach mit ihren rund 1700 Einwohnern, verteilt auf 13 Gemeindeteile, darunter Gleusdorf und Memmelsdorf mit ihren Synagogen, ist etwas geglückt, was Vorbild sein könnte - nicht nur für Deutschland, sondern auch für ganz Europa", heißt es in der Würdigung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK).

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Nachdem die Juden im ausgehenden Mittelalter aus vielen großen Städten vertrieben worden waren, ließen sie sich verstärkt in ländlichen Gebieten Frankens nieder, blickt das Komitee zurück. So entstand im 16. und 17. Jahrhundert in Gleusdorf eine kontinuierlich wachsende jüdische Gemeinde. In den 1830er Jahren lebten dort etwa 45 Juden, was einem Anteil von rund 16 Prozent der Bevölkerung entsprach. Wie aus historischen Berichten hervorgeht, zogen sich die jüdischen Familien, die oft unter schwierigen ökonomischen Verhältnissen lebten, im 19. Jahrhundert verstärkt zurück in urbane Zentren oder wanderten in die USA aus. Bis 1909 kam es zur Auflösung der jüdischen Gemeinde Gleusdorf, deren Vermögen der Israelitischen Kultusgemeinde Memmelsdorf übertragen wurde.

Die Gemeinde Untermerzbach hatte die Synagoge in Gleusdorf - ein kleiner Satteldachbau aus Sandsteinquadern von 1857, der zuletzt als Lager genutzt worden war - im Jahr 2016 erworben und behutsam restauriert. Man habe bewusst auf eine Wiederherstellung der früheren Zustände verzichtet, erklärte ein Sprecher und betonte, dass der vorhandene Bestand konserviert und erläutert wurde. Auch das benachbarte Ökonomiegebäude wurde in das Informationskonzept integriert. Die inhaltliche Betreuung übernahm der Träger- und Förderverein Synagoge Memmelsdorf (Ufr.) e. V., der bereits in den 1990er Jahren die Memmelsdorfer Synagoge erworben und bis 2004 behutsam restauriert hatte.

Gemeinde Untermerzbach und Förderverein gestalten Synagoge zum "Lernort" um

Im Nebengebäude ist eine Raststation für Radwanderer entstanden, die historische Informationstafeln zur kulturellen, politischen und religiösen Entwicklung des Ortes bietet. Der Fokus liegt dabei auf der jüdischen Bevölkerung Gleusdorfs und ihrem Zusammenleben mit anderen Religionen. Die Themen zur politischen Ortsgeschichte wurden vom heimatkundlichen Arbeitskreis Gleusdorf erarbeitet, der aus der lokalen Bevölkerung besteht. Das in Gleusdorf umgesetzte Konzept lehnt sich an die Vorgehensweise bei der Synagoge Memmelsdorf (Ufr.) an.

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Seit der Eröffnung der Synagoge Gleusdorf für die Öffentlichkeit bietet der Träger- und Förderverein Synagoge Memmelsdorf (Ufr.) e. V. dort auch Führungen an und organisiert Veranstaltungen und Vorträge. Ein Kolloquium mit Fachleuten aus Museen, dem Denkmalschutz und der Wissenschaft gab Empfehlungen zur Renovierung und zu den Vermittlungsinhalten. Der Verein wurde 1993 gegründet und kaufte 1994 die Synagoge in Memmelsdorf, um sie zu "renovieren". Nachdem in den Jahrzehnten nach 1945 kein Bestreben bestand, den Hauptraum neu zu gestalten, blieben die Spuren der verschiedenen Nutzungen intakt. Seit 2004 beinhaltet das Gebäude Führungen und Veranstaltungen und ist fester Bestandteil des Gemeindelebens.

Das Konzept der Konservierung ermöglichte die Entwicklung der Synagoge als "Lernort", an dem Besucher auf Spurensuche gehen können. Einzelne Wandelemente oder Schriftzüge wecken Fragen zur Geschichte des Raumes und seiner Nutzer, deren Antworten in der Dauerausstellung und begleitendem Material zu finden sind. Besondere Entdeckungen lenken die Wahrnehmung auf die Details eines historischen Gebäudes und dessen Erhaltung. Die historische Aufarbeitung und die didaktische Inszenierung in den Synagogen von Memmelsdorf und Gleusdorf sind laut Experten ein beispielhaftes Projekt, das weitere Anregungen für den Umgang mit Kulturgut bietet.

"Wunderbar erschlossener Rad- und Wanderweg"

Diese Synagoge wurde damals auf quadratischem Grundriss als barocker Sandsteinquaderbau von 1728/29 errichtet und war im „Äußeren hervorragend erhalten“. Aufgrund der Nähe zu anderen Gebäuden blieb sie von der Brandstiftung durch die Nationalsozialisten verschont, wenngleich das Innere bereits im August 1938 zerstört worden war. Ab 1995 wurde die Synagoge denkmalgerecht konserviert, um möglichst viele Spuren ihrer bewegten Geschichte zu erhalten.

Besucher könnten diese Geschichte in einer informativen, liebevoll gestalteten Broschüre (als PDF)  nachvollziehen, die von vorn und hinten gelesen werden kann, so das Denkmalschutzkomitee.

Eine Empfehlung sei zudem der "wunderbar erschlossene Rad- und Wanderweg" zwischen den Synagogen in Memmelsdorf und Gleusdorf. Er führe an weiteren bemerkenswerten Bau- und Kunstdenkmälern der Region vorbei. Mehr Informationen zum Geschichtspfad für Radelnde und zum Geschichtspfad für Wandernde gibt es auf den offziellen Seiten zum Projekt.

Kunstminister Blume gratuliert - Medienpreis für "Bröckelnde Denkmäler"

Kunstminister Markus Blume (CSU) würdigte die Leistungen der Gemeinde Untermerzbach und des Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf e.V..  In der Mitteilung wird Blume folgendermaßen zitiert: "Der deutsche Denkmalpflege-Oscar geht nach Bayern: Herzlichen Glückwunsch zur hochverdienten Auszeichnung." Jüdisches Leben und jüdische Kultur seien tief in Bayern verwurzelt, erklärte der Ministerin. Die Restaurierung der Synagogen in Memmelsdorf und Gleusdorf sei "ein leuchtendes Beispiel für die historische Verantwortung des Denkmalschutzes".

Durch den Erhalt der jüdischen Baudenkmäler seien kraftvolle Erinnerungsorte entstanden, die mit einem umfangreichen Vermittlungsprogramm vom Informationszentrum bis zum Geschichtslehrpfad die jahrhundertelange Verknüpfung der Ortsgeschichte mit der Geschichte der ansässigen jüdischen Gemeinde eindrucksvoll darstellen. Besonders in Zeiten eines wiederaufflammenden Antisemitismus sei die schon drei Jahrzehnte währende Arbeit des Fördervereins und das Engagement der Kommune ein starkes Zeichen für Aufklärung, Toleranz und Zusammenhalt.

Voller Lob für das Engagement von Gemeinde und Verein aus dem Landkreis Haßberge ist auch Professor Mathias Pfeil, Generalkonservator beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD): "Die herausragende Arbeit des Träger- und Fördervereins Synagoge Memmelsdorf in Unterfranken e.V. zusammen mit der Gemeinde Untermerzbach zeigt eindrucksvoll, wie bayerische Denkmalpflege und Erinnerungskultur Hand in Hand gehen können." Durch die behutsame Restaurierung und Konservierung der ehemaligen Synagogen in Memmelsdorf und Gleusdorf werde nicht nur das jüdische Erbe der Region lebendig gehalten. Vielmehr würden auch "die tragischen Brüche der Geschichte sichtbar gemacht". Gerade in Zeiten wachsender gesellschaftlicher Spannungen ist dieses Engagement von unschätzbarem Wert und leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung, Verständigung und Toleranz. Auch der Medienpreis wurde  nach Bayern vergeben. In diesem Jahr erhielt Elena Alvarez Lutz vom Bayerischen Rundfunk den Preis für ihren Beitrag "Bröckelnde Denkmäler - Klimawandel bedroht Kulturschätze". Laut Minister Blume sensibilisiere der Beitrag anschaulich für die Verknüpfung von Denkmalschutz und Klimawandel.

Prestigeträchtige Auszeichnung

Der Deutsche Preis für Denkmalschutz zählt zu den prestigeträchtigsten Auszeichnungen in Deutschland. Seit 1979 würdigt die Silberne Halbkugel das besondere ehrenamtliche Engagement im Bereich der Denkmalpflege und Archäologie. Die Preise für das Jahr 2024 werden in den Kategorien Silberne Halbkugel, Vermittlungspreis und Medienpreis verliehen. Während der Vermittlungspreis sich an Personen oder Organisationen richtet, die durch innovative Bildungsangebote Aufmerksamkeit erregen, ist der Medienpreis für Journalisten vorgesehen, die Einblicke in die speziellen Herausforderungen und Chancen des Denkmalschutzes geben. Sowohl der Vermittlungs- als auch der Medienpreis sind mit 3000 Euro dotiert. sl/mit dpa

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