Druckartikel: Das Leben und Sterben in der Klinik in Ebern verstehen

Das Leben und Sterben in der Klinik in Ebern verstehen


Autor: Sarah Seewald

Ebern, Montag, 29. Dezember 2014

In der Haßberg-Klinik Ebern sind drei Betten für Menschen reserviert, die unheilbar krank sind. Medizinisch gesehen können ihre Beschwerden nur gelindert werden. Beim Palliativdienst geht es um etwas anderes: da zu sein.
In Würde sterben: In den Zimmern des Palliativmedizinischen Dienstes ist es hell. Auch Angehörige finden auf der Station einen Raum nur für sich. Zum Kochen, nachdenken, oder einfach mal für einen Moment abschalten.  Foto: Symbolbild, dpa/Archiv


Fast wie ein kleines Wohnzimmer, mit Küchenzeile für die nötigste Verpflegung und Rückzugsmöglichkeit auf der Couch. So gar kein klinisch steriler Alltagsraum, sondern ein Zimmer für Angehörige, in dem sie während eines Krankenbesuches auch mal selbst zur Ruhe kommen und sich sammeln können. Ein Zimmer für Menschen, die ihre Angehörigen auf der Station des Palliativmedizinischen Dienstes in Ebern in schwerer Krankheit - manchmal sogar bis zum Tod - begleiten.

"Manchmal ist das Ende abzusehen, aber wir sind keine Sterbestation", sagt Walburga Albert vom Sozialdienst, und "Sterbehilfe gehört nicht zu unserer Aufgabe", sagt Andreas Engelhardt, medizinischer Leiter. Seit Mai 2012 gibt es im zweiten Stock der Klinik drei Einzelzimmer, in denen Menschen liegen, die unheilbar krank sind, nicht mehr gesund werden können. Es ist schon so, dass von den Patienten manche sterben.

Aber das Ziel von Ärzten, Schwestern, Betreuern und Patienten ist trotz fortgeschrittener Erkrankung das eine: wieder nach Hause kommen. "Das Leben bis zuletzt leben, auch wenn diese Zeit im Krankenhaus verbracht werden muss", sagt Albert.

Medizinisch geht es darum, den Patienten die Beschwerden zu nehmen, ihre Symptome zu kontrollieren, körperliche wie seelische. Häufig durchleben die Patienten die Zeit der Krankheit als belastend mit Fragen und Ängsten, manchmal auch der Angst vor dem Tod. Keine Schmerzen, und auch keine Sorge davor, alleine zu sterben - dafür sorgen Menschen wie Schwester Anneliese Müller, Sozialpädagogin Walburga Albert und die ehrenamtliche Hospizhelferin Johanna Muckelbauer in ihrer Begleitung. Seelsorger, Therapeuten und Pflegekräfte arbeiten mit Palliativmediziner Engelhardt so zusammen, dass Menschen "ruhig und nicht in schweren Leiden" sterben können, sagt Muckelbauer.


Nicht alleine sein

Albert, Müller, Muckelbauer und Engelhardt befassen sich nicht nur mit dem Tod. Sie haben Tag für Tag die Aufgabe, und gleichzeitig irgendwie damit auch die Möglichkeit, "das Leben und das Sterben zu verstehen", sagt Müller. "Das Annehmen ist der Weg." Sie erachten den Weg durch die Krankheit und das Ende des Lebens als Unumgängliches und Wertvolles. "Es gibt schon Patienten, die fragen: ,Doktor, kann man da vielleicht was machen?‘", sagt Engelhardt über Patienten, die sich in manchen Momenten wünschen, dass es schon vorbei ist. Aber viele "sagen was, meinen es aber eigentlich ganz anders" und sind bereits am nächsten Tag - schmerzfrei - wieder lebensmutiger.

Das kann daran liegen, ob die Sonne scheint, oder ob gerade Besuch da war, manchmal ist es ein runder Geburtstag, den die Patienten unbedingt noch feiern möchten, ein Enkelkind, das erwartet wird - und andere Tage sind dann wieder schlechter. Dieses Empfinden ist bei jedem Menschen anders, und Tag für Tag von der eigenen Stimmung abhängig.


Weiter als in den 90er-Jahren

In der Politik wird aktuell öffentlich diskutiert, ob und wenn ja, in welcher Krankheitssituation, ein Mensch sich für aktive Sterbehilfe frei entscheiden kann. Aus ethischer Sicht ist Engelhardt als Arzt gegen die aktive Sterbehilfe. Manchmal, wenn sich zum Beispiel eine junge, hübsche Frau mit einem offenen Krebsgeschwür quält, dann ist es für ihn aber "auch irgendwie unmenschlich". Walburga Albert findet es "in Extremfällen schon legitim zu fragen: ,Muss ich das jetzt aushalten?‘". Aber in ihren Augen ist zu dieser Zeit eine gesetzliche Sterbehilfe "keine Option". Es gibt die Patientenverfügung, die immer bedeutender - und auch selbstverständlicher - in der Gesellschaft wird. Aber Sterbehilfe lasse sich nicht gesetzlich verordnen, nicht pauschalisieren: "Wie soll es für ein komplexes Thema wie den Tod ein einziges Gesetz geben?", sagt Albert.

Tatsache ist, dass die Medizin Menschen immer länger am Leben erhalten kann. Aber "erhalte ich Leid auch länger?", bringt Albert ein. Es hat sich etwas in den Köpfen verändert seit den 90er-Jahren. "Die Patienten wissen jetzt Bescheid, haben ihren eigenen Willen, ihre Wünsche, die Würde bleibt im Blickfeld bis zum Schluss", sagt Müller. Engelhardt erinnert sich, dass noch vor 20 Jahren viele "nicht bereit zu sterben" waren. Heute erlebt er, wie die "Leute verstehen: Der Tod gehört dazu". Und obwohl der Tod von Geburt an zum Leben dazugehört, bleibt er im irdischen Dasein etwas nicht Fassbares.


In dieser Zeit ist alles anders

Und dieses Einsehen beeinflusst nicht nur seine Patienten, sondern auch seine Mitarbeiter, und ihn selbst: "Du genießt mehr. Man lernt, was wichtig ist. Viele Dinge sind angenehm, wie zum Beispiel ein schönes Auto, aber eigentlich braucht man sie nicht", sagt Engelhardt. Es sind ganz andere Wünsche, meist kleiner und doch so viel bedeutender als beispielsweise ein Auto, die die letzten Stunden, Tage, Wochen - und ja auch Jahre prägen, die sich so ein heftiger Krankheitsprozess hinziehen kann.

Oft zehrt diese Auseinandersetzung zwischen dem Leben und dem Tod auch an den Mitarbeitern. Sensibler wird die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr bei den Kranken wahrgenommen: "Die Stimmung ist ganz besonders", sagt Müller. Deshalb spricht sie einen Wunsch aus: "Wir wünschen allen Patienten und Angehörigen eine gesegnete Zeit und alles Gute im neuen Jahr", sagt Müller. "Und auch den kranken Menschen so viel Wohlbefinden, als dass jeder gesunde Momente erleben kann", sagt Albert.

Denn obwohl an Weihnachten die Geburt Jesu gefeiert wird, ist "Weihnachten auch immer existenziell", "der Anfang mit dem Ende verbunden". Palliativ ist wie Weihnachten: "Es macht das Leben bewusst", sagt Albert. Und mit dieser Haltung kann auch Abschiednehmen "nicht glücklich, aber zufrieden machen", sagt Muckelbauer.