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Beim Spielen lernen


Autor: Günther Geiling

Haßfurt, Donnerstag, 09. Februar 2017

An der Mittelschule in Haßfurt beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe damit, neue Spiele zu erproben.
Spieletrainer Michael Keim (3. von links) gibt nur Tipps zum Lösen, ohne das Ergebnis vorwegzunehmen. Foto: Günther Geiling


Mittwoch, 14 Uhr, an der Albrecht-Dürer-Mittelschule in Haßfurt. 40 Kinder stehen und sitzen um einige Tische im "Silberfisch" und spielen. Sie basteln an geometrischen Figuren, versuchen Metallringe aus einer Kette zu lösen, betätigen sich bei Geschicklichkeits- oder Knobelaufgaben und sind konzentriert bei der Sache. "Zu welchem Fach gehört das auf dem Stundenplan oder wird jetzt an der Schule mehr gespielt als gelernt?" fragt sich vielleicht mancher Außenstehende. Die Antwort: "Wir sind in der Arbeitsgemeinschaft Spiele." Na toll, und wo ist die Schule?

Aus dem "Living-Room" strömen die Schüler, die eben nach dem regulären Vormittagsunterricht auch noch eine Förderung und Betreuung erfahren und erst später ihren Heimweg antreten. Wie die Leiterin der offenen Ganztagesschule, Christine Kettler-Pohl, erklärt, sind derzeit 160 Schüler aus den Schularten Mittelschule, Realschule und Gymnasium in neun Gruppen in diesem Ganztagesangebot. Veränderungen in Gesellschaft und Arbeitswelt bedingten einen tiefgreifenden Wandel der Familienstrukturen, so dass eine solche Einrichtung aus dem Schulalltag gar nicht mehr wegzudenken sei. Inzwischen hätten 80 Prozent der bayerischen allgemeinbildenden Schulen ein solches Angebot.


Knobel- statt Brettspiele

Im Rahmen der Ganztagesbetreuung gibt es an der Mittelschule Haßfurt zahlreiche Arbeitsgemeinschaften, darunter auch eine Spiele-AG, für die sich 17 Schüler entschieden haben. "Wir beschäftigen uns aber nicht mit den normalen und bekannten Brettspielen, sondern es stehen mehr Knobelspiele im Vordergrund - und die haben ihren Namen nicht umsonst", meinte Lehrerin Elke Neidlein, die sich mit ihren Schülern in dieses neue Abenteuer begeben hat.

Unterstützt werden sie dabei seit einiger Zeit von Spieletrainer Michael Keim, der zu diesem Thema mit Main-Connect eine eigene Firma gegründet hat und für seine Spielideen weit über den Landkreis hinaus bekannt ist. Beim jüngsten Bayerischen Ganztagsschulkongress leitete er einen Workshop zum Thema: "Die Überlistung der Mühe durch das Angenehme: Spielen im Ganztag". Der Erfolg war groß und nun will auch die Ganztagesbetreuung in Haßfurt davon profitieren. Dazu hat sich die Schule eine Sammlung mit rund 30 Spielen angeschafft, an denen sich die Schüler versuchen.

"Das Interesse ist da", betont Keim und Lehrerin Neidlein setzt noch eins drauf und betont, mit welchem Interesse die Buben und Mädchen aus der 5.-7. Klasse bei solchen Knobelaufgaben dabei sind. "Schauen sie doch hin! Da sind 40 Kinder auf einem Haufen. Man hört kaum etwas, die Schüler sind hochmotiviert. Bei Mathematik und Deutsch schaffen wir das nicht!"


Um die Ecke denken

Es sind besondere Spiele, bei denen man um die Ecke denken muss. Es sind Spiele, die auf geometrische und räumliche Vorstellungen und Spielereien abzielen, knifflige Puzzles oder Metallvexiere, bei denen zwei oder mehrere anscheinend unlösbar ineinandergreifende Teile getrennt werden sollen. "Solches Problemlösen halte ich für einen wichtigen Aspekt für die Schüler und ihre Zukunft. Sie müssen Dinge strukturieren, dürfen sich durch Fehler nicht entmutigen lassen und bekommen dadurch auch eine Frustationstoleranz", meint Spieletrainer Keim. Auf diese Weise mache sogar Schule Spaß und die Kinder seien mit Begeisterung dabei.

Auch Neidlein ist von der positiven Ausstrahlung dieser AG-Arbeit auf andere Fachbereiche überzeugt. "Unser Ziel ist es erst einmal, dass sich die Kinder intensiv mit Spielen beschäftigen, Ausdauer beweisen, zum genauen Hingucken angehalten und in dem Bewusstsein bestärkt werden: Wir schaffen das, auch durch Geduld." Die Spiele-AG solle dann aber auch ihre Erfahrungen an andere Gruppen weiter geben. Dabei sei es eine besondere Aufgabe, "auch andere zu motivieren, andere zu befähigen und anzuleiten, ohne vorher etwas zu verraten, dass sie das auch schaffen".

Wie schnell und leicht das geht, kann man schon in der einen Stunde sehen, zu der die AG-Schüler andere Mitschüler zu sich eingeladen hatten. Marco Pfeffer zieht gleich ein Geschicklichkeitsspiel heran, bei der ein nur teilweise abgesicherter Dreibock mit einem Stäbchen in die Höhe gehievt werden soll. Tatsächlich schafft er es gleich beim ersten Mal. Dann will er dies stolz einem anderen Schüler zeigen - und plötzlich klappt es nicht mehr.

Eine andere Schülerin steht daneben und will eine an einem Seil befestigte Kugel in einen Holztrichter in ihrer Hand hochschleudern und dort zum Liegen bringen. Während ihre Mitschülerin damit größte Probleme hat, funktioniert es bei ihr immer wieder. Neidlein verrät, warum die eine Schülerin so erfolgreich ist: "Das war anfangs nicht so, aber sie wollte diese Übung unbedingt erlernen. Die Schülerin nahm gleich am Anfang ihr Handy zur Hand und fand bei Youtube einen Einspieler mit genau diesem Spiel. Den schaute sie an und probierte so lange, bis es klappte."

Keim unterstreicht bei seinem Gang durch die Reihen, dass man den anderen von der Lösung nichts verraten, sondern höchstens Tipps zur Lösung geben dürfe. "Spiele zu erklären wäre so etwas, wie einen Witz zu erklären, denn mit der Erklärung geht ja der Witz verloren", zitierte er den Wegbereiter der Spieleforschung, Stuart Brown.


Einsatz auch bei Erwachsenen

Deshalb könne man solches Spielen und Problemlösen auch nicht nur bei Schülern einsetzen, sondern auch bei Erwachsenen. Keim hält es etwa für eine Herausforderung, wenn eine solche Schüler-AG auch einmal mit Senioren in einer Einrichtung zusammentreffe. Dies wäre eine neue Erfahrung für beide Seiten.
Für die Ganztagesschüler in Haßfurt verging an diesem Tag die Zeit jedenfalls wie im Flug. Und sicher hat die Lehrstunde ein Spielefieber entfacht, das in der Schule ansteckend sein wird.