Am Heiligabend verkehren keine Geisterzüge
Autor: Ralf Kestel
Ebern, Mittwoch, 25. Dezember 2013
Am Heiligabend mit der Bimmelbahn auf der Nebenstrecke zwischen Ebern und Bamberg unterwegs: Die Lokführer freut's, dass sie stets mit Kundschaft pendeln.
Süßer die Glocken nie klingen? Nein, einen Unterschied hört Hartmut Nisch an diesem Nachmittag nicht heraus. Mit einer Fernsteuerung setzt er von seinem Führerstand das Läutwerk am Bahnübergang am Eberner Bahnhof in Gang.
Das weist Autofahrer zusammen mit einem Blinklicht darauf hin, dass sich der Zug gleich in Bewegung setzt. Wär' auch zu schlimm, ein Unfall am späten Nachmittag des Heiligabend. Nisch ist Lokführer und zweifacher Vater. Diesen Heiligabend müssen sie ohne ihn auskommen. Der 50-jährige hat Dienst und pendelt mit seinem Agilis-Triebwagen im Stundentakt zwischen Bamberg und Ebern.
Mitreisende in jedem Zug
Was ihn freut an diesem Feiertag, den die wenigstens am Arbeitsplatz verbringen: Nisch sitzt nicht alleine im Zug. Neun Mitfahrer verteilen sich ab Ebern im Triebwagen. Darunter sind zwei dreiköpfige Familien, die ihre Kinder in Bamberg besuchen wollen und mit ihnen den Heiligabend feiern wollen. Die einen schwer bepackt mit Geschenken, die anderen eher zurückhaltend.
Und sogar in Manndorf wird der Bedarfshalt genutzt: Ein Sechzigjähriger aus Ebern steigt aus. "Ich gehe zu meiner Freundin, wir feiern heute zusammen."
Für sie alle hat Lokführer Nisch einen besonderen Service parat. Statt der automatischen Ansage greift er selbst zum Mikrofon, wünscht eine angenehme Reise und schöne Feiertage.
Er selbst hat nur am Heiligabend Dienst, die Feiertage danach frei. "Ich bin seit drei Jahre bei Agilis und heuer hat's mich halt einmal erwischt", nimmt der den Feiertagsdienst gelassen.
An eine Heimfahrt denkt er nicht. "Ich komm' aus dem kühlen Norden, und 700 Kilometer sind schon eine weite Strecke", meint der gelernte Kfz-Mechaniker, der auch mal bei einer Reederei beschäftigt war. Jetzt hat er zum Lokführer umgeschult und ist "bei einem gut aufgestellten Unternehmen gelandet". Meist hat er 20 Tage Dienst, dann fünf Tage frei - dann lohne sich die Heimfahrt.
Kein Auge für Weihnachts-Deko
Für die Weihnachts-Deko in den Fenstern entlang der Strecke hat Nisch keine Augen. Zu sehr beschäftigt ihn das Studium der Fahranweisung, die vorgibt, wie schnell er auf jedem Streckenabschnitt fahren darf und wo er hupen muss. Nur der winkende Spaziergänger bei Reckendorf entgeht ihm nicht und er grüßt freundlich zurück. Eine Weihnachtsgeste? "Nein, das kommt öfter vor, nicht nur mit Kindern."
Kein Wunder also, dass der Lokführer Mitglied mit den Anwohnern hat: "Es wird Zeit, dass die unnötigen Bahnübergänge dicht gemacht werden. Dann müssten wir nicht so oft hupen. Ich kann verstehen, dass das Pfeifen die Anwohner nervt."
Diesen Knopf muss auch Frank Mitschel (29), der Lokführer im Gegenzug häufig bedienen. Sieben Passagiere befördert er von Bamberg aus durch die (Heilige) Nacht in den Baunachgrund. Meist junge Leute, die in versunken ins Leere starren, den Kopfhörer übergezogen, auf dem Display des Handys herumtillernd.
In Baunach steigen zwei dieser finstren Gestalten aus.
In Reckendorf zwei: Ein älterer Mann mit Rucksack und Norma-Tüte, der wohl letzte Besorgungen gemacht hat, und eine 68-Jährige, die in Breitengüßbach zugestiegen war. "Ich habe meinen Mann im Awo-Pflegeheim besucht. Für mich ist es ein Segen, dass der Zug jede Stunde und auch am Abend fährt. So kann ich meinen Mann wenigstens regelmäßig besuchen."
Zu Besuch bei Verwandtschaft
Bis Eberns sind's dann noch vier Reisende: Einer schwer bepackt mit großem Rollkoffer. "Ich besuche Verwandtschaft." Der andere hat es gerade noch geschafft: Kurz vor der Endstation, der nördlichsten im Verkehrsverbund Großraum Franken, hat er sein Ticket am Automaten doch noch gelöst, nachdem er es vorher vergeblich versucht hatte.
Aber kontrolliert wird nicht an diesem Heiligabend. Auf dem Bahnsteig stehen schon wieder einige Fahrgäste, die die Bimmelbahn gen Bamberg nutzen wollen . Und ein Ehepaar, das einen Besucher abholen möchte, der aber nicht im Abteil saß.
Viel los im Advent
"Dann kommt er halt mit dem nächsten Zug", entfährt es dem enttäuschten Gastgeber. "Später am Abend werden es bestimmt nochmals mehr Fahrgäste", ist sich Frank Mitschel sicher, der "schon froh ist, dass er nicht als Leerfahrt unterwegs ist".
An den Adventswochenenden war seinen Zählungen zufolge "wirklich richtig viel los". Allerdings hatten dabei auch etliche auf einem Weihnachtsmarkt auch zu viel Glühwein abbekommen.
Den Ehemann stört der Einsatz an Weihnachten nicht so sehr: "Wir haben keine Kinder, Dienst an Silvester oder Neujahr wäre dramatischer."