Druckartikel: Als Westdeutschland in Ermershausen endete

Als Westdeutschland in Ermershausen endete


Autor: Carmen Schmitt

Schweickershausen, Mittwoch, 02. Oktober 2013

Zäune teilten zu DDR- Zeiten Land, Nachbarn und Familien. Zwei Frauen aus Schweickershausen pflegen heute ein Heimatmuseum und Kontakt zu alten Bekannten.
Schilder warnten davor, das Sperrgebiet zu betreten. Fotos: Carmen Schmitt


Dichte Holundersträuche stehen an den Mauern des Schlossplatzes in Schweickeshausen. Die dünnen Äste hängen tief. Erika Roth blickt an den dunklen, reifen Früchten vorbei auf eine Wiese. Ein Nussbaum steht dort im Gras. Hinter ihm verläuft ein Zaun. Die Pfosten sind drei Meter hoch. Das Metallgitter dazwischen ist nur noch auf einer kurzen Strecke befestigt. Bis vor 24 Jahren trennte der Zaun Ost- und Westdeutschland, die benachbarten Dörfer Ermershausen und Schweickershausen und viele Menschen voneinander - Erinnerungen am Tag der deutschen Wiedervereinigung.

Auch Erika Roth war von vielen ihrer Verwandten abgeschnitten. "Wir lebten im Sperrgebiet. Da durfte keiner raus und keiner rein", sagt die 74-Jährige. 1939 wurde sie in Ebern geboren. Fortan lebte die Familie in Schweickershausen (Landkreis Hildburghausen), im Heimatort des Vaters.

Großeltern, Cousins, Cousinen und Tanten, die in Westdeutschland lebten, bekam sie während der DDR-Zeiten nicht mehr zu Gesicht. Striktes Ein- und Ausreiseverbot. Das galt auch bei Hochzeiten, Familienfeiern und sogar Beerdigungen, erzählt die Rentnerin gerührt. "Wir haben uns die ganzen Jahre nicht gesehen."

Helga Oppel hatte damals nur Briefkontakt zu ihren Liebsten jenseits der Grenze. Die 74-Jährige stammt aus Schweickershausen. Wie ihre Freundin Erika Roth hatte sie früher bei der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) gearbeitet und sich dort um das Milchvieh gekümmert. Der Grenzzaun verlief damals quer über ihr Grundstück mit dem großen Nussbaum. Um auf das Stück hinter dem Zaun zu kommen, brauchte sie eine Genehmigung, erzählt sie.

Museum zeigt Geschichte

Zusammen mit Erika Roth pflegt Helga Oppel heute ein Heimatmuseum in Schweickershausen. Dort, wo früher der Dorflehrer unterrichtete und wohnte und später das Zimmer für die Arztsprechstunde war, sammeln sich heute Stücke aus vergangenen Zeiten. Uniformen, Möbel, Fotos und Erinnerungen aus über 100 Jahren. Die Dorfgeschichte präsentieren die beiden Frauen auch Schulklassen. "Die können sich meistens nicht vorstellen, dass wir Schüler von der ersten bis zur achten Stufe alle in einer Klasse saßen", sagt Helga Oppel unserer Zeitung und schmunzelt.

Die Seniorin kann sich noch genau daran erinnern, wie es war, als sich die Grenze öffnete. Es gab ein großes Fest im Ort. "Für die Dörfer, die direkt neben der Grenze waren, war das etwas ganz Besonderes", sagt die 74-Jährige. Viele Bürger, die sich nur noch von Fotos kannten, begegneten sich nach Jahren wieder. "So dick wie die Straße war, kamen die Leute von Ermershausen nach Schweickershausen", erinnert sich Erika Roth. Viele einfach aus Neugier, meint sie.

Gute Nachbarschaft

Inzwischen seien die beiden Dörfer aus den Landkreisen Haßberge und Hildburghausen wieder gute Nachbarn geworden, erzählt Helga Oppel. "Wir haben mit Ermershausen einen guten Kontakt. Die Ortschaften sind zusammengewachsen." Besorgungen und Frisörbesuche erledigt sie dort.
"Wir haben jetzt unsere Freiheit wieder zurück", sagt Erika Roth. Niemand mache ihnen heute mehr Vorschriften. "Es war alles mit Schwierigkeiten und Umständen verbunden." Doch etwas Gutes bleibe: "Unsere Fachwerkhäuser sind erhalten. Einfach weil wir nichts zum Verputzen hatten."