Die Maßnahmen gegen Corona sind keine moderne Erfindung: Während der Pockenwellen gab es ähnliche Methoden – auch in Haßfurt.
Quarantäne, Meldepflicht im Krankheitsfall, die Entwicklung eines neuen Impfstoffes, infiziertes Pflegepersonal, Desinfektion von Gegenständen – was während der Corona-Pandemie für viele neu klang, hat historische Vorbilder. Denn: Die genannten Maßnahmen und Zustände waren bereits im 19. Jahrhundert zu beobachten, als die Pocken/Blattern in der Region grassierten.
Auch hierbei handelte es sich um eine Viruserkrankung mit hoher Ansteckungsgefahr, die per Tröpfcheninfektion übertragen wurde. Symptomatik und Sterberate unterschieden sich jedoch: Die durch Pocken verursachten Bläschen auf der Haut vereiterten und heilten unter Narbenbildung ab. Oftmals führte das hohe Fieber aber auch zum Tod: Etwa 20 Prozent der Infizierten starben – darunter viele Kinder. Außerdem konnten Erblindung, Taubheit und Störungen des Nervensystems Folgen der Krankheit sein.
Auch der fränkische Dichter Friedrich Rückert wurde mit den Pocken konfrontiert als sich einige seiner Familienmitglieder infizierten. Sein Vers "Als ihr all' erkranket lagt an den bösen Blattern" thematisiert den Krankheitszustand.
Pockenwellen in Haßfurt
Jahre später war die Krankheit auch in Haßfurt gefürchtet. Bereits im Jahr 1866/67 infizierten sich 26 Männer und 28 Frauen mit dem Pockenvirus, jeweils vier von ihnen starben. Die Blatternwelle von 1871 fiel in der heutigen Kreisstadt indes nicht so heftig aus.
Die Quellenlage für dieses Jahr gibt aber mehr Aufschluss über das Geschehen und beleuchtet auch Einzelschicksale von Haßfurter Bürgern. So hatte beispielsweise der Schuhmacher Lorenz Kuhn seine Pockenerkrankung nicht gemeldet und machte sich deshalb nach Artikel 248 des zeitgenössischen Strafgesetzbuches strafbar.
Nachdem ihn die Krankheit dahingerafft hatte, kam es zu besonderen Maßnahmen, mit denen der damalige Haßfurter Amtsarzt Dr. Bauer glaubte, die Ansteckungsgefahr einzudämmen: Das Bettstroh von Kuhn wurde verbrannt und alle Gegenstände, die er berührt hatte, vor allem seine Werkzeuge, wurden mit Chlorwasser abgewaschen. Auch der Transport seiner Leiche fand unter besonderen Auflagen statt: "Die Leiche ist morgen früh 1/2 6 Uhr auf einem Wagen, welcher die Hauptstraße zu vermeiden hat, vielmehr durch die Zwerchmaingasse fahren muß, in den Gottesacker zu verbringen und es darf ausser dem Fuhrmann und dem zur Überwachung dieser Anordnung beorderten Polizeisoldaten Niemand die Leiche begleiten", ordnete der Amtsarzt an. Zum Begräbnis durfte außer dem "einsegnenden Geistlichen Niemand den Kirchhof betreten."
Anschließend isolierten die Behörden den gesamten Hausstand des Verstorbenen: seinen Sohn Christoph, eine Magd sowie seinen Lehrling Peter Helbig, der die Patientenpflege übernommen hatte. Nach dem Tod seines Meisters kehrte der in seinen Heimatort Augsfeld zurück. Dort durfte er aber nicht bleiben, da die Behörden fürchteten, dass er infiziert sei und die Krankheit verbreiten würde. Also holte ihn der Polizeisoldat Göllner ab und brachte ihn zurück in das Haus seines ehemaligen Arbeitgebers. Hier musste Helbig die nächsten zwei Wochen unter ärztlicher Beobachtung in Quarantäne verbringen.
Erntehilfe für Pockenpatienten
Die Krankheitsgeschichte von Michael Mohrbeck ist ein weiteres schicksalhaftes Beispiel aus der Blatternwelle von 1871. Der Bauer erkrankte mit Beginn der Erntezeit und konnte seine Garben deshalb nicht einbringen. Als seine Frau aufs Feld ging, um das zu tun, verstieß sie gegen die bestehende Auflage, das Haus nicht zu verlassen. Nachdem der Magistrat es anfangs nur bei einer Verwarnung belassen hatte, ordnete er auf Anordnung des Bezirksamtes anschließend eine polizeiliche Überwachung ihrer Quarantäne an. Während der Feier zur Rückkehr der Haßfurter Soldaten aus dem Deutsch-Französischen Krieg musste jedoch ein Tagelöhner das Haus überwachen – die Polizisten wurden andernorts gebraucht. Die Isolation wurde so weiterhin aufrechterhalten.
Freunde der Familie brachten daraufhin die Ernte ein. Hierfür erließ der Magistrat besondere Bestimmungen. So gab es eine strikte Kontaktbeschränkung zwischen dem Fuhrmann und den Dienstboten des Bauern Mohrbeck und das Tor zu seinem Hof durfte nur für den Zeitraum geöffnet sein, der nötig war, um den Wagen hinein- oder herauszuschieben. "Ebenso bleibt jede Beihülfe der Mohrbeck'schen Ehefrau und des Michael Mohrbeck selbst unbedingt verboten", hieß es weiter in einer Anordnung.
Dass die Vorsichtsmaßnahmen nicht unbegründet waren, zeigte sich in der Ansteckung der beiden Knechte des Landwirts. Seine Ehefrau und die Magd blieben hingegen verschont. Letztere hatte die Blattern bereits zwei Jahre zuvor überstanden – die Pockennarben auf ihrer Stirn waren der Frau geblieben.
Die Pockenschutzimpfung
Neben der Blatternerkrankung des Menschen gibt es auch eine Reihe ähnlicher Viruserkrankungen bei Tieren, beispielsweise bei Kühen. Die Kuhpocken waren von besonderer Bedeutung, weil sie auf den Menschen übertragbar waren, aber nur eine leichte Erkrankung hervorriefen. Als Folge war der Infizierte auch gegen die menschlichen Pocken immun.
Bereits 1798 veröffentlichte der englische Mediziner Edward Jenner seine Erkenntnisse zur Nützlichkeit einer Pockenschutzimpfung, bei der er eine Kuhpocken-Infektion nutzte. Insbesondere Vertreter der katholischen Kirche lehnten das Verfahren jedoch ab: Die Impfung sei "ein unstatthafter Eingriff des Menschen in den Heilsplan Gottes".
Der Vizepräsident der Kurfürstlichen Landesdirektion Würzburg, Freiherr von Leyden, äußerte seine Meinung hierzu in einem Regierungsblatt: "Dem Schöpfer der Natur nicht vorgreifen zu wollen, ist kein Grundsatz und ein falscher Trost."
Anfangs war die für Haßfurt verantwortliche Regierung in Würzburg jedoch auch noch zurückhaltend. Es fehlten Erfahrungen mit der Impfung. Also zwang sie niemanden dazu und veranlasste, dass wenn dann nur Ärzte und Chirurgen das neue Verfahren vornehmen durften und genaue Aufzeichnungen zu machen seien.
Als einer der ersten Staaten auf dem Kontinent erließ das Königreich Bayern im Sommer 1807 dann eine allgemeine Impfpflicht. Mit dem erneuten Übergang der Würzburger Regierung zu Bayern galt sie ab 1814 auch für Haßfurt und die umliegende Region. Fortan war beispielsweise ein Impfschein die Voraussetzung für den Zuzug als Bürger in die heutige Kreisstadt am Ufer des Mains.
Bereits Jahre vorher erkannte der Haßfurter Arzt Dr. Rebholz das Potenzial der Pockenschutzimpfung. Der Rentbeamte zu Haßfurt bestätigte dem Mediziner, dass er bereits um 1800 "in dem damals noch selbstständigen universitätischen Vogteyamte Mariaburghausen mehreren Kindern dieses Amtes die Schutzblattern umsonst einimpfte". Auch einige Jahre später hielt sein Engagement gegen die Viruserkrankung an.
Fehldiagnose in Ebelsbach
So schrieb der zeitgenössischen Haßfurter Pfarrer, Rebholz habe sich "große Mühe gegeben, die sogenannten Schutzblattern sowohl dahier in der Statt Haßfurt als in denen Filialen mit gutem Erfolg einzuführen". Infolge dieses Einsatzes bestätigte der Haßfurter Landrichter Franz Anton Gessert, "dass das Amt Haßfurt eines derjenigen im Würzburger Lande war, wo die meisten Kinder geimpft waren".
Als bei einem von diesen in Ebelsbach nach dessen Impfung erneut Verdacht auf eine Pockenerkrankung bestand, reiste Dr. Rebholz in das Dorf am gleichnamigen Gewässer und klärte die Angehörigen des jungen Patienten auf: Bei dem Ausschlag auf der Haut des Kindes handelte es sich nicht um die gefürchteten Pocken, sondern um die Frieseln (Scharlach).