Druckartikel: Alles hat 'nen Anfang, nur die Wurst hat sechs

Alles hat 'nen Anfang, nur die Wurst hat sechs


Autor: Marian Hamacher

Zeil am Main, Freitag, 18. Dezember 2015

Wer hat die Bratwurst erfunden? Über Jahrzehnte lieferten sich Franken und Thüringen ein Rennen. Im Kreis Haßberge ist sie längst heimisch geworden. Gibt's dort etwa die typische Wurst?
Der Zeiler Metzgermeister Rainer Hertlein ist hinter dem Grill in seinem Element. Foto: Marian Hamacher


Ein leises Zischen kündigt sie an. Die Flamme schießt empor, züngelt um die Wurst und ist so schnell verschwunden, wie sie gekommen ist. Auch nach fünf Stunden Dauereinsatz gibt es für den Grill keine Verschnaufpause. Die Traube hungriger Zeiler vor dem Stand der Metzgerei Hertlein scheint nicht weniger zu werden. In den späteren Abendstunden geht es schon etwas gemächlicher zu.

Rainer Hertlein hat die heißen Würstchen an der Holztheke im Sekundentakt in kalte Hände gereicht. Manch einer muss aber trotzdem warten: Wenn er nicht die klassisch fränkische Bratwurst möchte, sondern die Eigenkreation, den "feurigen Zeiler", verlangt. Er hat fünf Chilisorten intus. "Bei der Wurst ist das wie mit der Amore", unterstreicht Rainer Hertlein dann und sorgt mit dem zweiten Teil seines Standard-Satzes für ein Schmunzeln in den Gesichtern seiner Kunden: "Beides braucht seine Zeit."


Kulinarische Visitenkarte

Hinter dem Grill ist der 42-Jährige in seinem Element. Das Braten der Wurst, das Scherzen mit den Kunden. Es ist fast seine zweite Natur. Doch oft ist er am Grill gar nicht zu finden. Wenn nicht gerade Weihnachtsmarkt ist oder beim Partyservice Gegrilltes gewünscht wird.

Die Bratwurst hat es ihm trotzdem angetan. Mit ihr sei es ähnlich wie mit dem Leberkäse, sagt er: Jeder Metzger, der etwas auf sich halte, habe eine gute im Angebot. Quasi eine kulinarische Visitenkarte. Zusammen mit seinem Vater Karl-Rainer betreibt er eine Metzgerei und eine Gastwirtschaft am Zeiler Marktplatz. "Uns gibt es seit 130 Jahren", erzählt der Junior stolz. "Das Haus ist das drittälteste in Zeil."

Stellt man sich einen Zeitstrahl als Bratwurst vor, taucht die Geschichte ihrer Metzgerei allerdings bestenfalls als Stückchen des letzten Zipfels auf. Auch wenn Gottlieb Wendehals in seinem Schlager ohrwurmlastig darlegte, dass das liebste Grillgut der Deutschen entgegen allem anderen zwei Enden habe, hat die Geschichte der Bratwurst zumindest mehrere Anfänge. Im Streit, auf wessen Idee sie zurückgeht, legten Thüringen und Franken stets noch ältere Dokumente vor, die die eigene Ansicht stützen sollten. Lange Zeit wähnte sich Franken sicher, hatte es doch eine Urkunde der Nürnberger Metzgerzunft von 1595 als ältestes Dokument vorzuweisen. Bis zur Wende. Die brachte 1989 neben der Mauer auch alte Ansichten zu Fall - und eine Rechnung des Arnstädter Jungfernklosters zu Tage. Sie wies nach, dass schon 1404 Schafsdärme geliefert wurden, um mit ihnen Bratwürste herzustellen.


In Franken verfeinert

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Doch auf die Ersterwähnung der Nürnberger Bratwurstküche "Zur blauen Glocke", die schon 1313 erfolgt sein soll, folgte prompt der Konter aus Thüringen - und der Bratwurst-Zeitstrahl zog sich nun schon in das siebte Jahrhundert. Bereits zu dieser Zeit sollen slawische Sorben in der Gegend um das heutigen Sachsen und Brandenburg Hackfleisch in Därme gefüllt und so für längere Wegstrecken verpackt haben. Den vorläufigen Schlusspunkt in der Herkunftsdebatte setzte der 2012 verstorbene Würzburger Bratwurst-Forscher Heinrich Höllerl, der gar einen keltischen Ursprung vermutete. In Franken sei die Wurst anschließend kultiviert worden, postulierte er.


Majoran ist unerwünscht

Die klassisch fränkische Variante entstand laut Höllerl in der Gegend um das mittelfränkische Weißenburg und wurde dann in den verschiedenen Regionen Frankens verfeinert.

"Die typisch fränkische Bratwurst ist grob", erklärt Rainer Hertlein ganz pragmatisch. "Wir verwenden ein Grundbrät, damit die Wurst nicht austrocknet, wenig Eis und wenig Wasser." Verfeinert werde dann mit Pfeffer, Muskat und etwas Zitronenschale, was für eine besondere Frische sorge. "Die gesetzlichen Vorschriften würden noch viel mehr Zutaten erlauben, aber wir halten es da ganz klassisch", so Hertlein. Auch er hat viel getestet. Experimentiert. Probiert. Gewünscht wird jedoch nach wie vor der Klassiker. Rund 90 Prozent der Kunden auf dem Weihnachtsmarkt fragen am Stand der Hertleins nach der ihnen bekannten Wurst, der Rest testete "feurigen Zeiler."

Eine für den Kreis Haßberge typische Bratwurst gibt es nicht, sagt Hertlein. Zwei Zutaten, das hat er schon herausgefunden, treffen nicht den Haßberge-Geschmack: zu viel Salz und Majoran. "Der ist in unserer Region verpönt", sagt Hertlein.

Die Nürnberger Variante scheidet daher auch für Uli Aumüller aus. Der Eigengeschmack sei ihm einfach zu extrem, sagt der 52-Jährige Zeiler zwischen zwei Bissen in die leicht pfeffrige Bratwurst der Hertleins.

Ihre typische Länge von acht bis neun Zentimetern erhielten die Nürnberger Würste im Mittelalter, als die Metzger aufgrund des damals vorherrschenden Fleischmangels pragmatisch reagierten und die Wurst schlicht verkürzten. Es geht natürlich auch großzügiger - wie man beim Sander Weinfest feststellen kann: Dort misst die so genannte Altmain-Bratwurst etwa 50 Zentimeter.

Und wer in seinem Brötchen eine Bratwurst zwischen 30 und 32 Zentimeter findet, kann sich ziemlich sicher sein, sein Essen gerade in Coburg zu sich zu nehmen. Darüber wacht auf dem Giebel des Rathauses seit 1622 der heilige Mauritius als Schutzpatron der Stadt, in dessen erhobener rechter Hand die Länge des Marschallstabs (31 Zentimeter) als Richtmaß dient.


Das richtige Maß

Im Landkreis Haßberge haben sie offenbar ein passendes Mittelmaß gefunden. Rund 20 Zentimeter sind die in Zeil über die Holztheke gereichten Fleischprodukte lang. "Unsere haben das richtige Maß", ist Heinrich Weisel überzeugt. Für den 80-Jährigen gehört eine Bratwurst zum fränkischen Lebensstandard. Klaus Ulrich pflichtet ihm bei. "Eine Bratwurst geht immer", sagt der Sander. Er esse das Wurstbrät gerne auch einmal roh zur Brotzeit.

Rainer Hertlein steht indes weiter hinter dem Grill, hält hier und da ein Pläuschchen und legt schnell noch einmal eine Handvoll Würste auf den Grill. Eine Gruppe braucht scheinbar die Grundlage für die nächste Runde Glühwein. Noch ist der Dauereinsatz nicht beendet. Nicht für den Grill, nicht für Hertlein.