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18 Lichter wider das Vergessen in Memmelsdorf


Autor: Johanna Eckert

Memmelsdorf, Dienstag, 12. November 2013

Bei einer Veranstaltung zum 75. Jahrestag der Pogromnacht in der Synagoge Memmelsdorf (Unterfranken) mahnte Würzburgs Bischof Friedhelm Hofmann zum Einsatz gegen Rassismus und Diskriminierung.
Im Gebetsraum kam Würzburgs Bischof Friedhelm mit den Menschen ins Gespräch. Unser Bild zeigt von links die Trägervereinsvorsitzende Iris Wild, Bischof Hofmann, Stellvertretenden Landrat Bernhard Ruß, Untermerzbachs Bürgermeister Helmut Dietz und Kreisrat Jürgen Hennemann aus Ebern. Foto: Johanna Eckert


Der Bischof war zur Stelle, nicht nur um das Erinnern in den Mittelpunkt zu stellen, sondern auch um zu warnen. Auch aktuell sei Vorsicht angesagt. Der gegenwärtige Prozess anlässlich der Verbrechen des NSU und das damit zusammenhängende teilweise Versagen öffentlicher Institutionen habe hellhörig gemacht. Die Vorgänge zeigten deutlich, dass unterschwellig rechtsradikales und fremdenfeindliches Denken weiter verbreitet seien, als viele manchmal wahrhaben wollten.

Diese Gefahr sprach Würzburgs Bischof Friedhelm Hofmann beim Gedenken der schrecklichen Ereignisse in der Reichspogromnacht vor 75 Jahren in der Synagoge von Memmelsdorf offen an. Bei der Veranstaltung des Träger- und Fördervereins für die Synagoge im Untermerzbacher Gemeindeteil betont er, dass der Einsatz gegen Diskriminierung ein wichtiger Dienst für die Gesellschaft ist.

Die Synagogen brannten

Am 9. auf den 10. November 1938 brannten die Synagogen in Deutschland. Sie brannten in Österreich. Sie brannten in der Tschechoslowakei. Der 9. November ist der Tag, an dem organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte und Gotteshäuser in Brand setzten. Es ist der Tag, an dem tausende Juden misshandelt, verhaftet oder getötet wurden. Spätestens an diesem Tag konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren.

Beseitigung aus der Mitte

"Mit der Reichspogromnacht vor 75 Jahren habe sich angekündigt, was das Schicksal der jüdischen Minderheit sein würde: die Beseitigung aus der Mitte der Gesellschaft. Die Shoah und somit die Vernichtung der Juden begann, indem man ihnen den heiligen Ort der Gegenwart Gottes raubte. Wo es keinen Raum für Gott gibt, da gibt es auch keinen Raum für den Menschen", verdeutlichte Bischof Hofmann die Folgen dieses grauenhaften Vorgehens.

In Memmelsdorf brannte die Synagoge im Jahr 1938 nicht. Aufgrund der Nähe der umliegenden Wohnhäuser, welche im Besitz von Christen waren, wurde das Gebäude nicht in Brand gesetzt. Aber der Standort schützte nicht vor Verwüstung. Von der Inneneinrichtung überstand nur der steinerne Toraschrein weitgehend unbeschadet die Schändungen.

Für mehr Menschlichkeit

"Bloß wegen eines anderen Glaubens haben damals die Bürger an den Mitmenschen Hand angelegt", so Bernhard Ruß, der der Gedenkfeier als Landrats-Stellvertreter für den Landkreis Haßberge beiwohnte. "Wir müssen uns ganz bewusst an diesen Tag erinnern. Nicht um eine Schuldfrage zu klären, sondern dafür zu sorgen, dass sich die Geschichte niemals wiederholt. In unserer heutigen Gesellschaft darf kein Millimeter Platz für Rassismus sein."

Der Einsatz gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung sei nicht nur eine Schuldigkeit gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus, sondern auch ein konkreter Beitrag für eine menschlichere Gesellschaft für alle. "Nur so können wir heute alle Formen von Rassismus bekämpfen, der den Keim der Vernichtung des anderen in sich trägt und das demokratische Zusammenleben untergräbt", führte Bischof Hofmann fort.

In vielfacher Hinsicht sei die Shoah für ihn ein Ereignis, das noch nicht vorüber ist, meint der Würzburger Oberhirte: "Ihre Folgen sind noch sichtbar, sie hat die Geschichte und das Gesicht Europas unauslöschlich verwandelt, insbesondere in Osteuropa, weil sie eine ganze Welt vernichtete. Aus der Asche von Auschwitz erstand schließlich auch der Traum eines Europas ohne Grenzen und Trennungen. Dort begann der europäische Einigungsprozess."

Zwei Mal, so der Bischof weiter, sei Krieg vom europäischen Kontinent ausgegangen, bis Adenauer, Schuman oder de Gasperi, die Gründerväter der europäischen Einigung mit christlicher Inspiration, auf der Grundlage dieser dramatischen Erfahrung Einsicht gewonnen hätten. "Nur ein geeintes Europa, das sich seiner Geschichte bewusst sei, kann eine bessere Zukunft ohne Krieg und Rassismus aufbauen", präzisierte Hofmann die Wichtigkeit des Erinnerns.
Carina Kahn, Roßa Gutmann, Hulda Lauchheimer, Klara und David Kaufmann - fünf der 18 Juden, die im Jahr 1938 in Memmelsdorf gewohnt haben. Für jeden von ihnen wurde - besonders bewegende Momente der Gedenkveranstaltung - von den Mitgliedern des Trägervereins der Synagoge Memmelsdorf eine Kerze angezündet.

Spuren bleiben sichtbar

"Auch in einer Zeit, in der die Zeitzeugen nicht mehr leben, müssen wir uns erinnern. Unsere Gedanken sind dabei auf die Zukunft ausgerichtet und zeigen uns, welche Wege wir nicht mehr gehen dürfen", so der Bischof in seiner eindringlichen Ansprache.

Die Synagoge Memmelsdorf versteht sich als Bildungs- und Begegnungsstätte, in der durch die historischen Spuren Geschichte "spürbar" erlebt werden kann. Das Instandsetzungskonzept ist nicht von Rekonstruktion sondern von einer weitgehenden Konservierung geprägt. Sichtbare Spuren der Zerstörung an Mensch und Raum erhalten dieses Gebetshaus noch heute als einen authentischen Ort.

Die Synagoge in Memmelsdorf ist ein lebendiger Ort. Der Trägerverein mit seiner neuen Vorsitzenden Iris Wild macht es möglich, dass Schulklassen dort lernen, Familiengeschichten literarisch nachgelebt werden und deutsche und israelische Jugendliche sich begegnen können.

Bischof Friedhelm Hofmann lobte diese Arbeit im Rahmen der Gedenkkultur besonders. Im Anschluss hat sich der Gast aus Würzburg ins Goldene Buch der Gemeinde Untermerzbach eingetragen. Mit den Gästen im Gebetsraum suchte er den Gedankenaustausch.