Zwei Inseln der Versöhnung
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Donnerstag, 01. Oktober 2015
Markus Häggberg Der Mensch ist in seine Umstände gestellt. Vorher noch ist er aus seinen Umständen erwachsen. Womit er also verbunden ist, ist seine Geschic...
Markus Häggberg
Der Mensch ist in seine Umstände gestellt. Vorher noch ist er aus seinen Umständen erwachsen. Womit er also verbunden ist, ist seine Geschichte, sind seine Erlebnisse, seine Träume, seine Erinnerungen, Irrtümer und Missverständnisse. Alles seines, schuldlos und exklusiv. Das macht ihn zu einer Insel. Somit ist jede Begegnung zwischen Menschen die Begegnung zweier Inseln.
Damit das reibungslos geschieht, wurde die Höflichkeit erfunden. Am Bahnhof in Lichtenfels hatten neulich sogar zwei Menschen miteinander zu tun, die noch nach erfolgter missverständlicher Begegnung auf reizende Höflichkeit verfielen. Willkommen im Schienenersatzverkehr, willkommen auf der Strecke von Lichtenfels nach Bamberg. Dort nämlich erkundigte sich vor Wochen ein Mann nach der passenden Busverbindung nach Bamberg.
Er tat es zu einer Zeit, zu der der Busfahrer eine lang verdiente Pause machte, weil er schließlich auch nur ein Mensch sei und irgendwann einmal essen muss. Er kaute, er trank, er rauchte seine Zigarette. Und wollte nicht gestört werden.
Zu dieser Zeit hatte er schon Dutzende Fragen über Route und Linie und Anschlüsse über sich ergehen lassen, deren Antworten genauso gut in den ausgehängten Fahrplänen zu lesen stehen. Nun also ein neuer Mensch mit einer altbekannten Frage, auf die der Busfahrer mit dem Hinweis auf seine lang verdiente Spätnachmittagspause antwortete.
Doch weder ist das bloße Fragen eines unsicher Reisenden im Grunde unhöflich, noch die Inanspruchnahme einer notwendigen und zustehenden Pause. Aber wie das bei Menschen so ist: Weil wir die gegenüber liegende Insel nicht betreten können, glauben wir das Recht auf unserer Seite. Nur auf unserer.
So grummelten beide Männer nach dem Erlebten in sich hinein, der eine, weil er sich abgeblitzt, der andere, weil er sich ausgenutzt fühlte.
Dann verging eine Weile und der Busfahrer machte sich an die Reinigung des Busses. Da kam der Reisende wieder und wollte in den Bus steigen. Der Busfahrer aber klopfte zu diesem Moment die Teppiche des Busses aus und sagte an den im Einsteigen begriffenen Mann: "Tuut, tuut." Nichts weiter, nur tuut, tuut. In der Vorstellung des Busfahrers sollte das als Hinweis, noch nicht einsteigen zu sollen, nun wirklich genügen.
In der Vorstellung des Fahrgastes aber war das nicht einmal ein korrekter Satz, geschweige eine klare Aussage. Der eine glaubte, der Höflichkeit Genüge getan zu haben, der andere konnte keine solche erkennen. Da sie Inseln waren, war nun dicke Luft. Aber noch 15 Minuten bis zur Abfahrt.
In diesem Moment kam dem Reisenden eine Idee.
Er ging über die Straße, betrat einen Laden mit allerlei verbilligten Waren und kam nach einiger Zeit mit einem Buch (Krimi) wieder heraus. Dann trat er an den Busfahrer heran, erwähnte, dass man wohl einen ungünstigen gemeinsamen Start gehabt habe und überreichte dem Busfahrer zum Zeichen der Versöhnung den Krimi. Der Fahrer begann sich zu freuen und bald schüttelten sich die beiden Männer einander die Hände. Dann fuhren sie gemeinsam ins Abendrot nach Bamberg.