Zeugen schaffen mehr Verwirrung
Autor: Markus Häggberg
Lichtenfels, Freitag, 25. März 2016
Im Prozess gegen Nazi-Schmierereien, Schläge und Tritte müssen Richter und Staatsanwalt mühsam nach der Wahrheit suchen. Am Ende steht ein Schuldspruch gegen den 21 Jahre alten Angeklagten.
Dieses Urteil interessierte sogar den Bayerischen Rundfunk, der am Donnerstag einen Filmreporter ins Amtsgericht Lichtenfels schickte. Wie verhielt es sich um den Angeklagten, dem zumindest die Beteiligung an einer Bemalung eines betrunkenen Freundes mit Nazi-Symbolen vorgeworfen wurde? Und würde sich seine Behandlung eines 46-Jährigen vor einer Gaststätte in Bad Staffelstein als gefährliche Körperverletzung herausstellen?
Die Zeugenvernahmen, die an diesem zweiten Prozesstag erfolgten, sollten ein Paradebeispiel für individuelle Wahrnehmungen eines Sachverhalts bieten. Sechs Zeugen traten auf, zwei sogar neuerlich. Aber wieder boten sich Staatsanwalt Christian Pfab und Richter Ortwin Jaunich zahlreiche Ungereimtheiten zum Hergang.
Hat er getreten?
Fest steht so viel:Im Juni 2015 kam es in und vor einer Gaststätte der Kurstadt zu ungewöhnlichen Szenen.
Drinnen wurde ein Betrunkener von drei Freunden "bemalt", und draußen betätigte sich einer von ihnen als Schläger an einem Mann, von dem es hieß, er habe die Vorgänge drinnen draußen kritisiert.Aber trat ihm der Schläger deshalb mit dem Fuß gegen den Kopf? Das würde die Anklage der gefährlichen Körperverletzung rechtfertigen. Keiner der Zeugen, am allerwenigsten die, die zum Lager des Angeklagten gezählt werden können, gab an, wer denn nun die Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen mit einem Markierstift am Kopf des Betrunkenen anbrachte. Einer malte ein Ohr aus, der andere pinselte ein Bärtchen. Aber für das Hakenkreuz wollte niemand die Verantwortung übernehmen.
Auch nicht die Freundin des Beschuldigten, deren Aussage, wonach sie "nicht so genau hingesehen" habe, von Staatsanwalt Christian Pfab mit einem müden Lächeln quittiert wurde. Auch was die Einschätzung von Distanzen anbelangte, gab es abweichende Meinung. Ein Zeuge berichtete davon, dass die Freundin des Angeklagten zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung mit dem 46-Jährigen 50 Meter entfernt war. Ein anderer Zeuge pochte auf drei Meter.
Vollends divergierend wurde es bei der Frage nach dem Fußtritt. Der Verteidiger des Angeklagten, Wolfgang Biedermann, stellte bei zwei Zeugen die Frage nach dem Winkel und nach der freien Sicht auf den Vorfall. Doch ein Zeuge, der schon am ersten Prozesstag vernommen wurde, bekräftige seine Einlassungen, wenngleich er in seiner neuerlichen Schilderung einem von zwei beobachteten Fußtritten die angelastete Wucht nahm.
Überzeugt von derSchuld
"Hier weicht fast jede Aussage von jeder ab", bilanzierte Pfab.
Der Faustschlag sei unstrittig, für den Fußtritt gebe es einen Zeugen, und der Umstand, dass es der 21-jährige Beschuldigte war, der Fotos von den Malereien am Kumpel machte, lege nahe, dass von ihm die Initiative zu den Taten ausging. Doch im Gegensatz zu Pfab erkannte Richter Jaunich nicht auf gefährliche Körperverletzung. Doch dafür überstieg die von ihm verhängte Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro das vom Staatsanwalt geforderte Maß um 300 Euro. Wegen vorsätzlicher, wenn auch "nur" einfacher Körperverletzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen endete der Prozess mit einem Schuldspruch gegen den 21 Jahre alten Angeklagten.