Zeitgeist weht auch heute in der Medizin
Autor: Marion Krüger-Hundrup
Bamberg, Dienstag, 11. Dezember 2018
Die Diskussion um den damaligen Bamberger Krankenhausdirektor Lobenhoffer war Anlass für einen Vortrag im Klinikum. Die Besucher hörten erschütternde Fakten aus der Nazizeit, aber auch Warnungen vor einer "Erinnerungskultur vom Podest herab".
           
Marion Krüger-Hundrup Es sei "erschütternd und schwer zu ertragen, dass Ärzte mitgemacht haben", sagte Georg Knoblach am Ende des Vortragsabends im Klinikum am Bruderwald. Der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes Bamberg hatte mit zahlreichen Besuchern ein Referat über durchgeführte Zwangssterilisationen und -abtreibungen in der Nazizeit gehört.
Ohne "das Furchtbare aus ideologischen Gründen relativieren zu wollen", wie Knoblach erklärte, warne er jedoch vor einer "Erinnerungskultur vom Podest herab": Ärzte hätten damals teilweise im Zeitgeist gehandelt. Und Zeitgeist wehe auch heute "als große Gefahr", so der Arbeitsmediziner: "Wir müssen uns an die eigene Nase fassen." In der Gegenwart sei die Ökonomie im Gesundheitswesen, die Gewinnmaximierung in der Gesundheitswirtschaft mit gravierenden Folgen für die Patienten, der Widersacher des ärztlichen Berufsethos' schlechthin. "Wer erhebt sich glaubwürdig dagegen?", fragte Knoblach mahnend.
Anlass des medizinhistorischen und gegenwartsbezogenen Exkurses war die in diesem Jahr aufgekommene Diskussion um die Person Wilhelm Lobenhoffers. Es ging um die Frage, ob nach dem damaligen Ärztlichen Direktor des Krankenhauses Bamberg (zwischen 1918 und 1945) weiterhin eine Straße benannt werden könne. Denn Lobenhoffer sei für die einst in seinem Krankenhaus durchgeführten Zwangssterilisationen verantwortlich.
Befunde gefälscht
Georg Knoblach wies darauf hin, dass im Fall Lobenhoffer "die Aktenlage sehr dürftig ist". Es sei bekannt, dass dieser Mitglied der NSDAP und an fünf Zwangssterilisationen von Männern direkt beteiligt war. Lobenhoffer habe Befunde gefälscht, um diese Zwangsmaßnahme anderweitig zu verhindern. Zudem habe er trotz des offiziellen Verbotes den in der Reichspogromnacht schwer misshandelten Willy Lessing stationär behandelt und sich im April 1945 für einen kampflose Übergabe der Stadt Bamberg eingesetzt.
"Eugenik und der Sozialdarwinismus beeinflussten die Medizin damals", leitete Knoblach zu den Ausführungen des Referenten über. Professor Johannes Dietl, emeritierter Direktor der Universitätsfrauenklinik in Würzburg, beleuchtete denn auch die Hintergründe von "Rassenhygiene, Menschenzüchtungsvisionen, Erblichkeitslehre", die keine Erfindung der Nazis gewesen seien. Das erste rassenhygienische Institut sei 1921 im schwedischen Uppsala gegründet worden. Bis 1975 bzw. 1979 seien beispielsweise in Schweden, Dänemark, Finnland in hoher Zahl Zwangssterilisationen durchgeführt worden.
Professor Dietl ging auf das 1933 von den Nazis erlassene "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ein. Demnach konnte das Erbgesundheitsgericht Sterilisationen gegen den Willen der Betroffenen anordnen.
Sterilisationspflichtig seien Hilfsschüler, Wohlfahrtsempfänger, sexuell Abwegige, Kriminelle oder alleinstehende Frauen mit Kindern von verschiedenen Vätern gewesen. (In Bamberg wurden während des Dritten Reiches 847 Anträge auf Zwangssterilisation ans Erbgesundheitsgericht gestellt, wie Georg Knoblach wusste.)